Zwei Unternehmen versuchen, Kartellbußgelder von ihrem ehemaligen Geschäftsführer zurückzuholen. Der BGH legt die Sache dem EuGH vor. André Szesny analysiert den Meinungsstand.
Der ehemalige Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende einer Unternehmensgruppe der Edelstahlproduktion hatte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell beteiligt. Das Bundeskartellamt verhängte daraufhin Bußgelder von 4,1 Millionen Euro gegen die Unternehmen und 126.000 Euro gegen den Beklagten persönlich.
Die klagenden Gesellschaften forderten vom Beklagten die Erstattung des gegen die GmbH verhängten Bußgeldes sowie Ersatz von IT- und Anwaltskosten der AG in Höhe von 1 Million Euro. Außerdem wollten sie festgestellt wissen, dass der Beklagte für alle weiteren Schäden aus dem Kartellverstoß haftet. Die Argumentation: Der Beklagte habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.
An der Frage der Regressierbarkeit von Unternehmensgeldbußen scheiden sich die Geister: Die einen argumentieren, dass der Geschäftsführer bei schuldhafter Pflichtverletzung den daraus entstandenen Schaden zu erstatten habe, und eine Kartellgeldbuße sei ein solcher Schaden. Die anderen differenzieren und verweisen auf die Besonderheit der Verbandsgeldbuße. Diese könne ihrem Wesen nach nicht auf eine natürliche Person abgewälzt werden.
Der BGH sorgt (noch) nicht für die erhoffte Klarheit
Die Sache lag dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) vor, und sein mit Spannung erwartetes Urteil ist von höchster Relevanz. Denn trotzdem Deutschland auch nach jahrzehntelanger Diskussion immer noch nicht über ein Verbandssanktionengesetz verfügt, so erfreut sich die Verhängung von Unternehmensgeldbußen im Sinne von § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes jedenfalls "gefühlt" zunehmender Beliebtheit bei Strafverfolgungsbehörden und Gerichten. Sie sind höchst praxisrelevant.
Das Landgericht (LG) Düsseldorf und in zweiter Instanz das Oberlandesgericht (OLG) haben die Klagen auf Erstattung des Bußgeldes und der Rechtsverteidigungskosten abgewiesen. Nur die Feststellung, dass der Beklagte zum Ersatz weiterer Schäden aus dem Kartellverstoß verpflichtet ist, haben beide Gerichte getroffen. Diese Feststellung bezog sich auf potenzielle zukünftige Schäden, die den Klägerinnen durch die Kartellabsprachen entstehen könnten, beispielsweise durch Schadensersatzansprüche Dritter.
Hinsichtlich der Kartellgeldbuße gegen die klagenden Unternehmen argumentierte das LG Düsseldorf, dass eine persönliche Haftung des Beklagten für das Bußgeld nicht bestehe, da dieses gegen die Unternehmen und nicht gegen das Vorstandsmitglied persönlich verhängt worden sei. Zudem seien die Rechtsverteidigungskosten als Teil der allgemeinen Geschäftskosten der Unternehmen anzusehen.
Auf Berufung sowohl der Klägerinnen als auch des Beklagten bestätigte das OLG Düsseldorf die Entscheidung des Landgerichts im Wesentlichen. Es wies die Berufungen beider Parteien zurück und hielt an der Feststellung fest, dass der Beklagte zum Ersatz der weiteren Schäden verpflichtet ist, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultieren. Bezüglich der Erstattung des Bußgeldes und der Rechtsverteidigungskosten schloss sich das Oberlandesgericht der Argumentation des Landgerichts an und lehnte eine Haftung des Beklagten ab.
Die Spannung hält an: Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am vergangenen Dienstag die Frage nicht entschieden, sondern ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet. Der Senat stellt dem EuGH jetzt die Frage, ob das Europäische Recht eine einschränkende Auslegung der Haftungsvorschriften für Gesellschaftsorgane (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) dahingehend gebietet, dass Unternehmenssanktionen nicht von ihnen erfasst sind.
Die Bundesrichter haben sich offenbar daran erinnert, dass der EuGH bereits festgestellt hatte, dass eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen könnte, wenn Unternehmen sie steuerlich absetzen würden (u.a. Rs. C-429/07, Urt. v. 11.6.2009, Rn. 39). Augenscheinlich sehen sie eine Parallele zur Abwälzung von Unternehmensgeldbußen auf Beschäftigte oder Organe: Auch hier stellt sich die Frage, ob ein Regress nicht ebenfalls den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.
Zweifel an der Regressierbarkeit
Nimmt man die Vorschriften über die Bemessung der Verbandsgeldbuße und die dazu ergangene deutsche Rechtsprechung in Blick, müssen die Zweifel an der Regressierbarkeit steigen: Der Höhe nach orientiert diese sich nämlich ausschließlich an unternehmensspezifischen Umständen, etwa die Vermögenslage der bebußten Gesellschaft (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG) oder den von ihr durch die Anknüpfungstat erlangten wirtschaftlichen Vorteil (§ 17 Abs. 4 OWiG; vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.3.2022, Az. 5 StR 278/21).
Und in der wegweisenden Entscheidung des 1. Strafsenats zur Bedeutung von Compliance Management-Systemen bei der Bemessung von Unternehmensgeldbußen vom 9.5.2017 (Az. 1 StR 265/16) liest sich, dass auch die nachträgliche Implementierung oder sukzessive kontinuierliche Verbesserung eines Compliance Managements bußgeldmindernd wirken können. Und hierbei spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Verbesserungsmaßnahmen die pflichtverletzende Leitungsperson selbst oder möglicherweise schon ein Nachfolger durchgesetzt hat. Die Bemessung der Verbandsgeldbuße erfolgt also völlig entkoppelt von in der Person des Täters der Anknüpfungstat liegenden Umständen.
Die Gegenansicht mag einwenden, dass es gerade im Wesen der Geschäftsführerhaftung liegt, dass bei schuldhaften Pflichtverstößen, die über bloßes Missmanagement hinausgehen oder sogar Gesetze verletzen, Schadenersatz nach oben unbegrenzt fällig wird – und zwar ohne Ansehung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten.
Scheitert die Abwälzbarkeit der Verbandsgeldbuße, so haben Unternehmen gleichwohl die Möglichkeit, die sie treffende Sanktion abzumildern. Eine entsprechende Checkliste enthält die bereits erwähnte Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 2017: Sogar noch nach Entdeckung der Tat und noch während laufender Ermittlungs- oder gar Hauptverfahren wirken Optimierungsmaßnahmen und lessons learned im Compliance-Management erheblich bußgeldmindernd. Zudem kann zumindest der sog. "Abschöpfungsteil" der Verbandsgeldbuße steuerlich geltend gemacht werden, denn er mindert den Unternehmensgewinn.
Die Entscheidung des EuGH darf gleichwohl mit Spannung erwartet werden.
Dr. André-M. Szesny, LL.M., ist Rechtsanwalt und Partner der Wirtschaftskanzlei Heuking. Er berät und verteidigt Unternehmen und Führungskräfte in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren und leitet die Praxisgruppe Strafrecht, Compliance & Internal Investigations.
BGH legt die Regressfrage dem EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 13.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56581 (abgerufen am: 15.03.2025 )
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