Der französische Präsident Emmanuel Macron löst eines seiner wichtigsten Versprechen aus dem Wahlkampf ein: die umfassende Reform des Arbeitsrechts kommt. Sandra Hundsdörfer aus deutscher Perspektive zu einer historischen Neuerung.
Eines der wichtigsten Versprechen in Macrons Wahlkampf war die umfassende Reform des französischen Arbeitsrechts. Sie gilt in Unternehmenskreisen als Schlüssel für den Aufschwung der französischen Wirtschaft. Bereits Anfang August hat die Nationalversammlung das Gesetz verabschiedet, mit dem die Regierung zum Erlass von entsprechenden Verordnungen ermächtigt wird. Diese wurden am 31. August vorgestellt.
Die viel diskutierte Reform des Arbeitsrechts soll vor allem zu seiner Flexibilisierung führen. Die Maßnahmen zielen unter anderem darauf ab, die bisher komplizierte und schwerfällige Kommunikation zwischen Unternehmen und den verschiedenen Organen der Belegschaftsvertretung und den Gewerkschaften zu vereinfachen.
Kleinen und mittelständischen Unternehmen soll zudem der Weg zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen erleichtert werden. Die Verordnungen enthalten eine Vielzahl von Neuerungen, die Unternehmen dazu bringen sollen, wieder mehr Menschen einzustellen.
Neuer Rahmen für Tarifverträge
In Frankreich gelten bislang für nahezu alle Unternehmen flächendeckende Branchentarifverträge. Anders als in Deutschland sind sie neben dem Arbeitsgesetz zwingendes Recht für alle Betriebe der Branche, unabhängig von ihrer Größe und davon, ob das Unternehmen einem der Arbeitgeberverbände angehört. Die Betriebe können innerhalb der vom Tarifvertrag gesetzten Grenzen auch Betriebsvereinbarungen schließen, dürfen jedoch mit ganz wenigen Ausnahmen nicht zu Ungunsten der Mitarbeiter vom Branchentarifvertrag abweichen.
Künftig sollen Unternehmen im Rahmen des französischen Tarifsystems mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Die Verordnungen legen dazu Bereiche fest, für die die Branche die ausschließliche Regelungshoheit behält, sodass eine Betriebsvereinbarung nur zu Gunsten der Mitarbeiter davon abweichen kann. Dazu zählen elf Kernpunkte, wie etwa das tarifvertragliche Mindestgehalt, die Regelung der Arbeitszeit und die Ausgestaltung der Bedingungen von befristeten Beschäftigungsverhältnissen.
In einem zweiten Schritt legt die Verordnung die Bereiche fest, für die sich die Branche die Regelungshoheit ausdrücklich vorbehalten kann, aber nicht muss. Nimmt die Branche diese Möglichkeit in Anspruch, ist eine Abweichung per Betriebsvereinbarung auch hier nur zu Gunsten der Beschäftigten möglich. Zwei wichtige Punkte in dieser Vorbehaltsliste sind die Gehaltszulagen für gefährliche Tätigkeiten sowie die Belegschaftsgröße, ab der die Bestellung von Gewerkschaftsvertretern möglich ist. Alle anderen Fragen des Arbeitsrechts, die nicht ausdrücklich der Branche vorbehalten sind, dürfen per Betriebsvereinbarung auf Unternehmensebene geregelt werden.
Mehr Sicherheit bei Kündigungen
Französische Unternehmen sind unabhängig von ihrer Größe an strenge Kündigungsschutzvorschriften gebunden. Anders als in Deutschland führt auch eine begründete Entlassung zu einem Anspruch auf gesetzliche beziehungsweise tarifvertragliche Abfindung. Ihre Höhe richtet sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Stellt ein Gericht später fest, dass die Entlassung doch ohne triftigen Grund erfolgt ist, kann der Entlassene darüber hinaus Schadensersatz einfordern.
Die Richter legen die Höhe nach freiem Ermessen fest, Arbeitgeber können die Folgekosten einer Entlassung somit nur schwer kalkulieren. Die neuen Verordnungen haben daher einen Deckel für den gerichtlichen Schadensersatz eingeführt. Allerdings behalten die Richter ihren Ermessenspielraum unter anderem in Fällen von Diskriminierung und Mobbing bei. Die Höchstgrenze liegt bei einer Betriebszugehörigkeit von bis zu zwei Jahren bei drei Monatsgehältern und beträgt 20 Monatsgehälter bei einer Betriebszugehörigkeit von 30 Jahren.
Gleichzeitig wurde der bisher für Unternehmen ab elf Mitarbeitern geltende Sockelbetrag für Schadensersatz gesenkt. Zuvor erhielten Arbeitnehmer von Unternehmen mit der Mindestanzahl an Mitarbeitern und einer Betriebszugehörigkeit von wenigstens zwei Jahren mindestens sechs Monatsgehälter Schadensersatz. Der neue reduzierte Sockelbetrag gilt nun für Unternehmen jeder Größe. Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten müssen für rechtswidrige Entlassungen ein halbes Brutto-Monatsgehalt, alle anderen Unternehmen ein volles Brutto-Monatsgehalt zahlen. Je nach Betriebszugehörigkeit kann der Sockelbetrag auf bis zu drei Brutto-Monatsgehälter Entschädigungssumme steigen.
2/2: Neue Grenzen des Arbeitsrechts
Die Deckelung des Schadensersatzes gilt in Gewerkschaftskreisen als ein massiver Angriff auf die Errungenschaften des französischen Arbeitsrechts. Als Ausgleich wurde daher die gesetzliche Entlassungsabfindung von bisher 20 Prozent eines Monatsgehalts pro Jahr Betriebszugehörigkeit auf 25 Prozent erhöht.
Ein weiterer Schritt zur Lockerung des Kündigungsschutzes ist die Verkürzung der Klagefrist gegen Entlassungen. Diese wird unabhängig vom Entlassungsgrund auf ein Jahr begrenzt. Bislang galt dies nur für Entlassungen aus betrieblichen Gründen, bei anders begründeten Entlassungen betrug sie zwei Jahre.
Besonders schwer sind betriebsbedingte Entlassungen bisher für Gruppenunternehmen. Zulässig ist eine Kündigung hier bislang überhaupt nur, wenn der Unternehmenssektor der Gruppe insgesamt in Schwierigkeiten ist. Eine regionale Tochter beispielsweise darf für sich allein keine betrieblichen Kündigungsgründe geltend machen, solange es anderen Unternehmenstöchtern desselben Sektors gut geht. Betriebsbedingte Kündigungen sind hier also rechtlich an hohe Anforderungen geknüpft. Dies gilt bislang auch für die Töchter ausländischer Konzerne und bildete ein erhebliches Investitionshindernis.
Das Reformpaket sieht nun vor, den geografischen Bereich zu ändern, in dem die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorliegen müssen, und ihn bei internationalen Gruppen auf Frankreich zu beschränken. Diese Änderung soll erhebliche Anreize auch für Investoren aus dem Ausland bieten: Sie könnten sich bei in die Krise geratenen französischen Unternehmen engagieren, ohne sofort auch ihre heimischen Unternehmenszweige in Mitleidenschaft zu ziehen.
Arbeitnehmergremien verschmelzen
Die bislang drei Personalvertretungsgremien -Personalvertreter, Betriebsrat, Hygiene- und Sicherheitsausschuss- werden zu einem sozial-ökonomischen Beirat (comité social et économique) zusammengelegt. Im Wege einer mit Gewerkschaftsvertretern geschlossenen Betriebsvereinbarung erhalten Unternehmen zudem künftig die Möglichkeit, einen conseil d’entreprise einzurichten, also ein Personalvertretungsorgan, mit dem Betriebsvereinbarungen ausgehandelt werden dürfen.
Kleinstunternehmen mit höchstens 20 Mitarbeitern dürfen ihre Betriebsvereinbarungen in Zukunft direkt mit ihrer Belegschaft verhandeln, wenn es keine Gewerkschaftsbeauftragte gibt. In Unternehmen mit 20 bis 50 Mitarbeitern können Betriebsvereinbarungen direkt mit dem comité social et économique geschlossen werden, vorausgesetzt, es gibt keine Gewerkschaftsvertreter im Unternehmen. Bislang war jede Verhandlung Gewerkschaftssache.
Mit der Reform will Macron die Weichen neu stellen, nicht zuletzt in Richtung der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen. Insbesondere Unternehmen des deutschen Mittelstands sind ja aus Deutschland an flexiblere Regeln und eine offenere Verhandlungskultur im Unternehmen gewöhnt. Sie empfinden die starren Regeln des französischen Arbeitsrechts daher oft als Hindernis, wenn nicht sogar als Investitionshemmnis.
Den Bedürfnissen von kleinen und mittelständischen Unternehmen trägt das französische Arbeitsrecht nur unzureichend Rechnung. Doch gerade im französischen Mittelstand soll die wirtschaftliche Zukunft liegen. Macron sendet mit seiner Reform ein klares Zeichen sowohl an den französischen Mittelstand als auch an ausländische Investoren. Frankreich soll als Investitionsstandort wieder attraktiv werden. Ob dies gelingt, wird sich Ende September zeigen, wenn die Verordnungen noch verschiedene Genehmigungsetappen durchlaufen haben.
Die Autorin Sandra Hundsdörfer ist Partnerin der deutsch-französischen Kanzlei GGV Avocats à la Cour Rechtsanwälte in Paris. Sie berät international tätige Unternehmen im französischen Arbeits- und Handelsrecht.
Sandra Hundsdörfer, Reform des französischen Arbeitsrechts: Die Umwälzung . In: Legal Tribune Online, 06.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24357/ (abgerufen am: 08.12.2023 )
Infos zum Zitiervorschlag