Wegweisendes OLG-Urteil: Brexit-Folgen für Par­tei­fähig­keit bri­ti­scher Limi­teds

Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Hoeren

24.09.2021

Brexit means Brexit. Keine Parteifähigkeit für britische Limiteds mit deutschem Verwaltungssitz. Das OLG München folgt der harten Auslegungslinie deutscher Gerichte und spricht ein folgenreiches Urteil. Thomas Hoeren erläutert die Konsequenzen.

Das Urteil des OLG München (Az. 29 U 2411/21 Kart) vom 5. August 2021 war zu erwarten, es schockt aber vor allem in seinen Konsequenzen. Ein Onlinehändler für Kosmetika wollte im Eilverfahren einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch mit Blick auf eine Preisbindung für Kosmetikprodukte erreichen. Doch zur Prüfung des Antrags kam es gar nicht erst, da das Unternehmen, eine britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, für das Gericht weder partei- noch rechtsfähig und daher der Antrag unzulässig war. Das Urteil markiert eine "harte Linie" deutscher Gerichte beim Brexit. Auf eine Sonderbehandlung britischer Unternehmen dürfen deren Spitzen wohl nicht hoffen.

Hintergrund der Münchener OLG-Entscheidung ist ein schon lange andauernder Streit um die Frage, welches Recht bei länderübergreifenden Streitigkeiten im Gesellschaftsrecht Anwendung findet. Weil ein spezielles Kollisionsrechts für gesellschaftsrechtliche Streitfragen fehlt, gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in Deutschland grundsätzlich die sogenannte Sitztheorie. Unter dem Begriff „Sitz“ ist der Verwaltungssitz des Unternehmens zu verstehen, also jener Ort, an dem sich die Hauptverwaltung des Unternehmens befindet und die Geschäftsführung tatsächlich tätig wird.  

Sitztheorie vs. Niederlassungsfreiheit

Innerhalb der Grenzen der Europäischen Union (EU) kollidiert diese in Deutschland gültige Sitztheorie allerdings mit der in Art. 49 ff. AEUV geregelten Niederlassungsfreiheit. Nach der Niederlassungsfreiheit kann ein Unternehmen seinen Sitz und das im Streitfall anwendbare Gesellschaftsrecht nämlich frei wählen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist die Sitztheorie für EU-Mitgliedsstaaten nicht anwendbar, da sie gegen die freie Wahl des Unternehmenssitzes verstößt (EuGH, Urt. v. 05.11.2002 Rs. C-208/00 – Überseering).  

Stattdessen soll bei Streitigkeiten mit Bezug zu EU-Mitgliedsstaaten die sog. Gründungstheorie gelten. Nach dieser Theorie soll das Recht desjenigen Staates Anwendung finden, in welchem die Gesellschaft gegründet wurde. Hinsichtlich Drittstaaten (Nicht-EU/EWR-Staaten) findet die Sitztheorie jedoch weiterhin Anwendung, sofern nicht etwas anderes in bilateralen Abkommen vereinbart wurde. Die EU hat mit zahlreichen für den Handel bedeutenden Drittstaaten (z.B. USA und Kanada) solche Abkommen geschlossen, sodass die Sitztheorie nicht mehr oft angewendet wird. Bemerkenswert ist jedoch, dass – wie im Falle der Schweiz – auch eine Angleichung der nationalen Rechtsordnung an EU-Recht nicht zur automatischen Anwendung der Gründungstheorie führt (siehe BGH, Urt. v. 27.10.2008 Az. II ZR 158/06 – Trabrennbahn).  

Keine Anwendung der Gründungstheorie durch das OLG München

Das OLG München stand nun vor der konkreten Frage, welches Recht auf britische Gesellschaften – hier eine britische Limited – nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU Anwendung findet. Lange Zeit galt aufgrund ausdrücklicher Regelungen in der Übergangsphase die Gründungstheorie weiter. Mit dem Ende der Übergangszeit und dem Abschluss des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Großbritannien vom 30. Dezember 2020 war die weitere Geltung der Gründungstheorie fragwürdig. Denn das vereinbarte Abkommen enthält keine konkrete Rechtsposition, die der in Art. 49 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit gleichkommt. Eine Diskrepanz zwischen Sitztheorie und Niederlassungsfreiheit ist nicht zu befürchten und daher die Gründungstheorie nicht notwendig. Die Vorschriften im Abkommen regeln lediglich den Marktzugang, die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigung, derzufolge Handelsvorteile und Vergünstigungen nicht nur ausgewählten Handelspartnern gewährt werden dürfen, sondern in alle Handelsverträge Einklang finden müssen.  

Das OLG München legte die einschlägigen Regeln im Abkommen entsprechend der Trabrennbahn-Rechtsprechung des BGH aus, wonach eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft mit Verwaltungssitz in Deutschland als eine in Deutschland rechtsfähige Personengesellschaft zu behandeln sei. Das OLG München urteilte analog, dass die Gründungstheorie mangels expliziter Anerkennung im Brexit-Abkommen im vorliegenden Fall keine Anwendung mehr findet.  

Im konkreten Fall führte die Anwendung der Sitztheorie zu weiteren Problemen, denn das deutsche Gesellschaftsrecht folgt einem strikten numerus clausus. Dem deutschen Recht unbekannte Rechtsformen können daher nicht einfach übertragen werden. Viele ausländische Rechtsformen sind dem deutschen Gesellschaftsrecht fremd; so auch die britische Limited. Dies hat zur Konsequenz, dass Gesellschaftsformen, die im deutschen Recht nicht ausdrücklich angeführt werden, nicht rechtsfähig und damit auch nicht parteifähig sind. Sie sind aber den OLG-Richterinnen und -Richtern zufolge nicht in jedem Fall als ein „rechtliches Nullum“ anzusehen, sondern können orientiert an den deutschen Gesellschaftsformen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. §§ 705 ff. BGB oder der offenen Handelsgesellschaft gem. §§ 105 ff. HGB behandelt werden (sog. milde Sitztheorie).  

Für den vom OLG München zu entscheidenden Fall führte das dazu, dass die Antragstellerin nach Einschätzung des Gerichts als einzelkaufmännisches Unternehmen anzusehen sei und damit nicht parteifähig war und persönlich haften musste.

Ein Urteil mit Sprengkraft

Dieses Urteil kann weitreichende Folgen haben und dürfte Anwälte besonders hellhörig werden lassen. Denn nach diesem Urteil scheint klar, dass die deutschen Gerichte eine Tendenz zu einem „harten Brexit“ verfolgen. Das bedeutet, dass es keine Sonderbehandlung von Großbritannien gibt, obwohl von einigen Stimmen in der Literatur ein praktisches Bedürfnis für die weitere Anwendung der Gründungstheorie angeführt wird. Die Rechtsberatung ist also nur dann erfolgversprechend, wenn eine im deutschen Recht anerkannte Gesellschaftsform vorliegt. Es ist deshalb dringend ratsam, sofern sich der Verwaltungssitz eines Unternehmens in Deutschland befindet, bestehende britische Gesellschaftsformen umzuwandeln, um die Rechts- und Parteifähigkeit zu gewährleisten und eine uneingeschränkte persönliche Haftung zu vermeiden.  

Für eine solche Gesellschaftsumwandlung bieten sich folgende Möglichkeiten an: Erstens kann eine Verschmelzung zu einer GmbH erfolgen. Dann wird die GmbH gem. § 5 Abs. 1 GmbHG der Rechtsnachfolger der Limited. Dies garantiert einen nahtlosen Übergang der Geschäfte, erfordert aber auch ein Stammkapital von 25.000 Euro. Besonders das aufzubringende Stammkapital dürfte für kleinere Limiteds unattraktiv sein. Zweitens kann eine Unternehmergesellschaft (UG) gem. § 5a GmbHG gegründet werden. Diese Gesellschaftsform wurde 2008 als deutsches Pendant zur britischen Limited eingeführt und kann ab einem Stammkapital von 1 Euro gegründet werden. Es ist allerdings eine Neugründung erforderlich, weil der Geschäftsbetrieb nicht automatisch übergeht. Drittens bleibt noch die Möglichkeit der Gründung einer irischen Limited, die als EU-Gesellschaft weiterhin anerkannt ist. Danach werden die Shares der britischen Limited als Sacheinlage für die irische Limited gem. Companies Act 2014, Section 71 geleistet.  

Unabhängig von der Art der Umwandlung, muss beachtet werden, dass auch eine umgehende Umwandlung der Gesellschaftsform nicht dazu führt, dass für Streitigkeiten, die in den Zeitraum ab dem 30. Dezember 2020 bis zur Umwandlung fallen, die neue Gesellschaftsform ab Umwandlung maßgeblich ist. Das Urteil des OLG München ist insofern ein Weckruf für alle in Deutschland verbliebenen britischen Gesellschaftsformen.  

 

Prof. Dr. Thomas Hoeren ist Leiter der Zivilrechtlichen Abteilung des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. 

Zitiervorschlag

Wegweisendes OLG-Urteil: Brexit-Folgen für Parteifähigkeit britischer Limiteds . In: Legal Tribune Online, 24.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46107/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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