Bewerber wollen mehr Freizeit statt ein Spitzengehalt. Das scheint nicht in die Welt der Wirtschaftsanwälte zu passen. Aber einige Kanzleien wollen Vorreiter einer neuen Arbeitswelt sein. Sie müssten Karriere neu definieren.
Wer mit Personalverantwortlichen in großen Wirtschaftskanzleien spricht, kann es mit der Angst zu tun bekommen. Vom "immer härteren Kampf" um die Bewerber ist die Rede. Vom "Aufrüsten" der Gehälter und natürlich nicht zuletzt von der "Bewerberfront". Zu derart martialischen Ausdrücken lässt die Arbeitgeber die Sorge greifen, nicht genügend hochqualifizierte Berufsanfänger für eine Karriere in der Law Firm begeistern zu können.
Wirtschaftskanzleien wünschen sich Absolventen mit Prädikatsexamen – und konkurrieren dabei mit Unternehmen und dem öffentlichen Dienst um eine sehr kleine Gruppe von Bewerbern: Von den 12.744 Studenten, die 2015 die erste juristische Staatsprüfung abgelegt haben, erreichten 2.114 ein Prädikatsexamen, das sind knapp 17 Prozent. In der zweiten Staatsprüfung erreichten im selben Jahr exakt 1.575 Prüflinge das Prädikat, rund 18 Prozent des Jahrgangs.
Top-Bewerber sind selten…
Der hochqualifizierte Berufsanfänger ist also rar. Und droht noch rarer zu werden. Legten Mitte der 90-er Jahre noch mehr als 10.000 Referendare pro Jahr das zweite Staatsexamen ab, sinkt diese Zahl seit der Jahrtausendwende. 2015 haben nur 7.462 Jura-Absolventen die zweite Staatsprüfung bestanden, angetreten waren 8.658.
Doch nicht nur die Demografie macht den Law Firms Sorgen. Auch die Einstellung der jungen Juristen zu Arbeit, Beruf und Freizeit hat sich massiv gewandelt. Frühere Bewerbergenerationen ließen sich von einem hohen Gehalt, Statussymbolen und der Aussicht darauf, eines Tages Partner zu werden, dazu animieren, enorm viel zu arbeiten. Dass sie darüber ihr Privatleben vernachlässigten, fiel den meisten erst dann auf, wenn sie keines mehr hatten.
Heutige Berufsanfänger sind anders. Natürlich wollen sie gut verdienen und interessante Mandate bearbeiten. Aber sie möchten auch pünktlich Feierabend machen, um Zeit für Freunde, Hobbies und Familie zu haben.
…und wollen nicht in die Tretmühle
Auch im Jahr 2017 sagt mehr als die Hälfte der knapp 3.800 Umfrageteilnehmer der "Young Professional Survey" von LTO, dass ihnen die Work-Life-Balance bei der Arbeitgeberwahl sehr wichtig ist. 45 Prozent halten einen wertschätzenden Führungsstil für sehr relevant. Ein möglichst hohes Gehalt stufen dagegen nur 16 Prozent als "sehr wichtig“ ein, "wichtig" finden es aber immerhin noch 52 Prozent. Von den Umfrageteilnehmern, die in beiden Examen mindestens ein vollbefriedigend erreicht haben, halten sogar 57 Prozent die Work-Life-Balance für "sehr wichtig" und immerhin noch 26 Prozent für "wichtig". Ein hohes Gehalt erachten dagegen nur 18 Prozent der Zwei-VB-Juristen für "sehr wichtig".
Den Widerspruch zur Großkanzlei-Kultur auflösen
Viele Law Firms versuchen inzwischen, die Wünsche ihrer potenziellen Mitarbeiter zu erfüllen. Mit mehr oder weniger großem Erfolg. Mayer Brown führte vor sechs Jahren ein Modell ein, das damals für viel Aufsehen sorgte. Es gewährt den Associates statt der üblichen 28 Tage Jahresurlaub bis zu 50 Tage – wenn auch mit entsprechendem Gehaltsabschlag.
Das klingt beinahe zu schön, um wahr zu sein. Und ist es wohl auch, denn Stand Mitte 2017 haben erst zwei Anwälte das Angebot in Anspruch genommen. "Die Resonanz intern war geringer als gedacht", räumt Recruiting-Partner Dr. Ulrich Worm ein. "Wir hatten eine erhebliche Nachfrage erwartet, das ist aber so nicht eingetreten." Dennoch werde er von Bewerbern und anderen Marktteilnehmern bis heute darauf angesprochen, sagt Worm.
Wollen Associates überhaupt mehr Freizeit?
Vielleicht passen Freizeit und Großkanzlei wirklich nicht zusammen? "Unsere Berufseinsteiger entscheiden sich bewusst für eine Großkanzlei, es ist eine Lebensplanentscheidung", sagt Worm. Die Associates würden die ersten Berufsjahre als Lernphase betrachten, in der sie so schnell wie möglich so viel wie möglich mitnehmen wollten. Später seien viele Anwälte auf dem Karriere-Track und wollten sich entsprechend engagieren. Es bleibe also wenig Zeit für Freizeit.
Das Modell mangels Nachfrage zu streichen ist aber nicht geplant. "Ich finde es wichtig, an dem Angebot festzuhalten, denn Lebensplanungen ändern sich", sagt Worm. Er hat dabei vor allem langjährige Mitarbeiter im Blick, denen die Kanzlei die Möglichkeit bieten will, etwas kürzer zu treten.
2/2 Alternative Karrierewege
Bessere Erfahrungen hat Baker McKenzie gemacht. 2014 hat die Kanzlei - im Gegensatz zu Mayer Brown ohne großes PR-Getöse - einen "Alternative Career Track" (ACT) eingeführt. Während der Partnertrack den Associate in die Partnerschaft führt, endet der "Alternative Track" mit dem Counsel-Status. Das System ist jedoch durchlässig: Ein Wechsel ist für Volljuristen jährlich möglich.
Heute arbeiten zehn Associates auf dem ACT, das sind zehn Prozent der angestellten Anwälte in Deutschland. Das klingt nach wenig. Doch Claudia Trillig, HR-Verantwortliche der Sozietät, ist damit zufrieden "angesichts der Tatsache, dass die Kanzlei diesen Weg bewusst behutsam eingeführt hat". Künftig soll der Anteil noch weiter steigen. "Wir wollen mehr dieser Kandidaten an Bord nehmen. Unser Ziel ist eine stärkere Diversifizierung der Teams und die Möglichkeit zu schaffen, auf die verschiedenen Lebensphasen einzugehen", sagt sie.
Neue Modelle bei McDermott und Linklaters
Zuletzt sind zwei weitere internationale Großkanzleien auf den Work-Life-Balance-Zug aufgesprungen. McDermott Will & Emery kündigte im März an, ein neues Arbeitszeitmodell einzuführen. Associates können demnach auswählen, ob sie nach Vertrauensarbeitszeit arbeiten wollen oder in einem Modell, das eine fest vereinbarte Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 38,5 Stunden beinhaltet. Diese verringerte Arbeitszeit geht mit Gehaltsabschlägen einher: Die Einstiegsgehälter liegen nach Kanzleiangaben zwischen 68.000 und 75.000 Euro pro Jahr, gegenüber 115.000 bis 125.000 Euro in der Vertrauensarbeitszeit.
Mit dem neuen Modell will die Kanzlei Kandidaten ansprechen, die "mit guten Noten kommen und gutes Geld verdienen, aber eine geregelte Arbeitswoche mit besser planbarer Zeit für Familie und Freizeit wollen ", sagt Volker Teigelkötter, Partner bei McDermott. "Das ist kein Marketingmodell, wir meinen es ernst", bekräftigt er. Die Resonanz bei den Bewerbern sei gut. Die Praxisprobe steht allerdings noch aus. Im Herbst werden die ersten beiden Juristen eingestellt, die nach dem neuen Modell arbeiten.
Linklaters hat im Mai das Karriere-Modell "YourLink" eingeführt, das ähnlich wie McDermott fest vereinbarte Arbeitszeiten gegen einen Gehaltsabschlag vorsieht: Wer im neuen Modell arbeitet, steigt mit 80.000 Euro Jahresgehalt ein, im klassischen Modell sind es 120.000 Euro. Die Beförderung zum Managing Associate und Counsel ist im YourLink-Modell ebenso möglich wie im klassischen Modell. Dann ist die alternative Karriere aber auch schon zu Ende. Anders als bei McDermott, wo die Partnerschaft zumindest nicht ausgeschlossen ist, müssen YourLink-Anwälte in das klassische Modell wechseln, um Partner zu werden. Linklaters rechnet damit, dass zehn bis 20 Prozent der Mitarbeiter das neue Modell wählen. Zwischenbilanz nach knapp zwei Monaten: Es gab viele Anfragen von Mitarbeitern und Bewerbern - und einen ersten Vertragsschluss.
Kanzleien werden bunter
Ob die neuen Karrierewege bei Linklaters und McDermott tatsächlich auf Dauer genügend Bewerber anlocken können, wird sich zeigen. Vielleicht machen die Kanzleien auch ähnliche Erfahrungen wie Baker McKenzie, wo der ACT seit drei Jahren erprobt wird. Dort hat man gelernt, dass es um viel mehr geht als darum, pünktlich Feierabend zu machen. "Ursprünglich hatten wir mit dem ACT die Kandidaten im Sinn, die eine gute Work-Life-Balance suchen", erzählt Trillig. Diese hat die Kanzlei zwar auch erreicht.
Der Track hat sich aber auch als gute Alternative für Anwälte herausgestellt, die nicht so recht in das stromlinienförmige Konzept der Großkanzleien passen wollen. Etwa junge Väter, die nach der Geburt ihrer Tochter für einige Jahre kürzer treten wollen - aber eben nicht dauerhaft. Oder Associates, die zwar gerne anwaltlich arbeiten und denen ungeregelte Arbeitszeiten überhaupt nichts ausmachen, die aber kein Interesse haben, Partner zu werden. "Manche der Kollegen haben nicht in das klassische Schema gepasst, und die haben wir früher verloren", berichtet Trillig. Mit dem ACT-Modell haben diese Juristen jetzt eine Alternative zur Kündigung.
Was die Zusammensetzung der Teams angeht, denkt man bei Baker übrigens noch einen Schritt weiter: "Wo brauchen wir Volljuristen, wo passen auch andere Qualifikationen? Wo kann man Wirtschaftsjuristen und sogar nicht-anwaltliche Kollegen einsetzen und wo ersetzt Technik die Arbeit?", umreißt Trillig die Fragestellungen, mit denen sich die HR-Verantwortlichen der Kanzlei derzeit beschäftigen.
Wie die Arbeitswelt der Kanzleien in 20 Jahren aussehen wird, kann wohl niemand verlässlich prognostizieren. Eines aber ist sicher: Mit alternativen Arbeitsmodellen werden Großkanzleien bunter. In den Teams arbeiten künftig karrierebewusste Workaholics auf dem Partnertrack mit Kollegen zusammen, die nachmittags das Büro verlassen, um dem Schulkonzert ihrer Kinder zu lauschen. Das erweitert den Horizont, erfordert aber auch viel Toleranz und eine gute Führung.
Anja Hall, Alternative Arbeitsmodelle: Das Ende der Kanzleiwelt, wie wir sie kennen? . In: Legal Tribune Online, 07.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24363/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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