Eine ehemalige Militärdiktatur mit unfertigem Rechtssystem? So stellen sich wohl die wenigsten Anwälte ihre Arbeitsumgebung vor. Doch immer mehr Kanzleien zieht es in das südostasiatische Land Myanmar. Warum nur?
Luther startete 2013, im Jahr darauf folgten Allen & Overy, Baker & McKenzie und Rödl & Partner. Deutsche und internationale Kanzleien entdecken Myanmar zunehmend als strategisch günstigen Ort im ASEAN-Verbund (‘Association of South East Asian Nations‘). Die wirtschaftliche Öffnung wird von der Regierung vorangetrieben, weshalb die Verwaltung vergleichsweise zügig funktioniert: "Die formale Gründung einer Gesellschaft mit Spezialbereich wie der Rechts- und Steuerberatung dauert in anderen Ländern, wie etwa in China, schon mal ein ganzes Jahr. In Myanmar bekam man bis zum letzten Jahr bereits nach wenigen Tagen eine temporäre Lizenz", sagt Rödl-Partner Jürgen Baur, Standortleiter in Myanmar. Das System unterliegt allerdings Schwankungen. "Mittlerweile gibt es aber auch hier Beschränkungen und es wurden bereits einige Anträge abgelehnt". Baur begann die Vorbereitungen für den neuen Rödl-Standort im August 2014, bereits drei Monate später feierte er die Eröffnung des neuen Büros.
Woran es allerdings fehlt, sind Arbeitsräume für die Unternehmen, die neu ins Land kommen. Die meisten von ihnen lassen sich im Wirtschaftszentrum Yangon nieder. Mit sichtbaren Folgen: "Die Stadt gleicht einer großen Baustelle", erzählt Baur. "Büroräume sind derzeit noch ein rares Gut. Die lokalen Firmen sitzen häufig in umgebauten Appartements und Häusern, denn es gibt momentan erst zwei Bürotürme, die den Namen verdienen. Doch vieles ist bereits im Bau, weil der Ansturm besonders von internationalen Firmen sehr stark ist."
Lohnkosten geringer als in China oder Thailand
"Die Regierung ist europäischen Unternehmen sehr offen gegenüber eingestellt ", erklärt der Asien-Experte, der seit mehr als zwölf Jahren in verschiedenen asiatischen Ländern lebt und arbeitet. "Noch dominieren japanische, chinesische und koreanische Investoren, aber man möchte in dem Land zusätzlich das westliche Geschäftsklima etablieren." Überhaupt spüre man allerorten eine große Aufbruchsstimmung, die Regierung sei bemüht, ausländische Investoren ins Land zu holen. "Myanmar liegt geografisch günstig inmitten des ASEAN-Verbundes. Da die Lohnkosten hier geringer sind als in China oder Thailand, interessiert sich insbesondere die Herstellerindustrie für einen Markteintritt", sagt Baur.
Die multidisziplinäre Kanzlei Rödl & Partner mit Sitz in Nürnberg hat weltweit in über 40 Ländern Büros. In Myanmar eröffnete Rödl nach Investitionswünschen der Mandanten in diesem Land. "Momentan sind die Mandate eher noch projektbezogen, denn der Großteil unserer deutschen Mandanten ist noch gar nicht mit einer eigenen Niederlassung im Land aktiv." Typische Themen der Anwälte sind daher der Markteintritt, Steuersätze oder die benötigten Lizenzen zum Geschäftsstart. Für diejenigen, die noch nicht wissen, in welchem ASEAN-Land sie eigentlich investieren möchten, erstellen die Anwälte Ländervergleiche, etwa bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Bereits im Jahr zuvor eröffnete auch Luther ein Büro in Yangon. Die Voraussetzungen erschienen günstig: "Im November 2012 verabschiedete das Parlament ein liberaleres Investitionsgesetz und es arbeitet konstant weiter an der Modernisierung wichtiger Gesetze", sagt Alexander Bohusch, Standortleiter von Luther in Myanmar. "Die Bedingungen für Investoren – und damit auch für Rechtsberater – sind zunehmend besser geworden." Bohusch war in den vergangenen Jahren für die deutsche Kanzlei in Singapur tätig, eine hilfreiche Voraussetzung. "Verträge, die Myanmar betreffen, unterliegen oft singapurischem Recht und Gerichtsbarkeit" erklärt Bohusch. "Auch gehört Myanmar genauso wie Singapur zum ‘Common Law‘-Rechtskreis und viele neue Gesetze orientieren sich an Gesetzen in Singapur."
Einheimische Angestellte als Brücke zwischen den Kulturen
Die Mandantenstruktur des neuen Luther-Standorts besteht aus deutschen Unternehmen sowie internationalen und myanmarischen Großkonzernen. Außerdem mandatieren Botschaften und internationale Organisationen die deutsche Kanzlei. Die Inhalte sind ähnlich breit gefächert: "Ausländische Mandanten betreuen wir von der Strukturierung von Investitionen über die Gründung der myanmarischen Niederlassung bis hin zu rechtlichen Fragen des täglichen Geschäfts. Die Mandanten aus Myanmar haben vor allem beim Vertragsrecht sowie in der rechtlichen Compliance Beratungsbedarf", erzählt Bohusch.
Für Baker & McKenzie sind ebenfalls die Ambitionen ihrer Mandanten der Hauptgrund für die Standort-Eröffnung in der noch jungen Demokratie gewesen. Bruce Hambrett ist Asia Pacific Regional Chairman bei Baker und kennt die Erwartungen der Mandanten: "Zahlreiche unserer internationalen Mandanten investieren bereits in Myanmar oder sehen sich nach neuen Optionen um. Sie möchten ihre Anwälte an ihrer Seite wissen, wenn sie neue Märkte betreten." Vor allem Unternehmen und Akteure aus der Finanzbranche, IT und Telekommunikation und der Konsumgüterindustrie sind bereits im Land aktiv. Dementsprechend breit aufgestellt zeigt sich Baker in Myanmar. "Wir beraten unsere Mandanten im Energie- und Finanzsektor sowie Telekommunikation und Konsumgüter. Dabei spielen Fragen zu Auslandsinvestitionen, Transaktionen oder Banking, aber auch zum Marken-, Steuer- und Handelsrecht eine Rolle."
Vor Ort nutzen die Kanzleien lokales Know-How. Sie stellen zusätzlich zu deutschen Rechtsberatern myanmarische Anwälte ein, die die Besonderheiten in der Geschäftskultur kennen. Meist wurden die Anwälte in benachbarten Ländern – etwa Singapur oder Bangkok – ausgebildet. "Wir unterstützen unsere Mandanten mit lokal ausgebildeten Anwälten, die international orientiert arbeiten", sagt Hambrett. "In einer jungen Wirtschaft wie der Myanmars gibt es oft Probleme, die man in industriell fortgeschrittenen Ländern nicht mehr kennt. Zum Beispiel eine instabile Elektrizitätsversorgung oder langsames Internet. Auch die andere Geschäftskultur muss man berücksichtigen." Die einheimischen Angestellten stellen somit eine wichtige Brücke zwischen den Kulturen dar. Und können helfen, wenn deutsche Anwälte vor unbekannten Herausforderungen stehen.
2/2: Konzept der Rechtsstaatlichkeit ist im Kommen
Das Rechtssystem in Myanmar befindet sich noch in dem Stadium der Entwicklung. "Viele Gesetze sind mehr als einhundert Jahre alt. Demokratie und Rechtsstaatsprinzip sind Konzepte, die sich nur langsam in Myanmar durchsetzen", erzählt Luther-Partner Bohusch. "Nicht selten führt dies zu grundlegenden Verständnisproblemen zwischen internationalen Investoren und myanmarischen Behörden und Geschäftspartnern, die oft nicht einfach zu lösen sind."
Nichtsdestotrotz bestehe eine enge Zusammenarbeit zwischen den Luther-Anwälten und dortigen Ministerien und Behörden. Regelmäßig reisen Bohusch und seine Kollegen in die Hauptstadt Naypyitaw für Termine mit Ministern und arbeiten an Gesetzesentwürfen mit. Das sei aber nicht selbstverständlich, betont Bohusch: "Als deutscher Rechtsanwalt in einem Common-Law-Staat ist das natürlich nicht die Regel. Nicht zuletzt aufgrund der Größe unserer internationalen Mandate sowie der Zusammenarbeit mit den europäischen Handelskammern sind wir aber vielen Ministern bekannt und deshalb immer wieder an den rechtlichen Entwicklungen in Myanmar beteiligt."
Nicht nur das Rechtssystem wandelt sich – das gesamte politische System ist auf einem Weg der Öffnung. Im November dieses Jahres soll ein neues Parlament gewählt werden. Ob Präsident Thein Sein erneut kandidieren wird, ist noch unklar. Inwiefern sich die Wahl auf die Geschäftstätigkeiten der Kanzleien und ihrer Mandanten auswirken wird, ist derzeit offen: "Wir erwarten vom Ausgang der Wahlen keine wesentlichen Änderungen in der aktuellen Öffnungspolitik", sagt Luther-Partner Bohusch. "Aber natürlich sollte damit gerechnet werden, dass es von November 2015 bis März 2016 im Rahmen der Regierungsbildung zu Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen zur Genehmigung ausländischer Investitionen kommen kann." Tatsächlich rechnet keiner der Anwälte damit, dass der Wahlausgang negative Auswirkungen auf die Aktivitäten der Unternehmen haben wird - im Gegenteil. Bohusch zeichnet ein positives Bild: "Abhängig vom Ausgang der Wahlen gehen wir davon aus, dass die Zahl der ausländischen Investitionen ab April 2016 sogar noch einmal stark zunehmen könnte."
Fakten zu Myanmar:
Myanmar, in der Fläche knapp zwei Mal so groß wie Deutschland, liegt zwischen den mächtigen Nachbarn China und Indien, angrenzend an das beliebte Urlaubsziel Thailand und den Golf von Bengalen sowie Bangladesh und Laos. Die ehemalige britische Kolonie befand sich nach ihrer Unabhängigkeit 1948 in zahlreichen bewaffneten Konflikten und war bis 2011 eine Militärdiktatur. Die größte Partei ist die Regierungspartei Union Solidarity and Development Party (USDP), die 2010 von der vormaligen Militärregierung aus einer regimenahen Massenorganisation mit 24 Millionen Mitgliedern gebildet worden war. Für den 8. November 2015 sind Parlamentswahlen angekündigt. Das Land hat Schätzungen zufolge um die 54 Millionen Einwohner, fast 90 Prozent der Bevölkerung sind Buddhisten. Das wirtschaftliche Zentrum ist nicht die Hauptstadt Naypyidaw, sondern Yangon im Süden des Landes, wo auch die meisten Kanzleien ihre Standorte eröffnet haben.
Désirée Balthasar, Kanzleien in Myanmar: Strategisch günstige Baustelle . In: Legal Tribune Online, 20.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16663/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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