Im Strafprozess gegen einen ehemaligen Linklaters-Partner will die Verteidigung mit einem umstrittenen Mittel die Unschuld des wegen Vergewaltigung Angeklagten beweisen. Sie hat einen Lügendetektortest beantragt.
Der ehemalige Linklaters-Steuerrechtspartner muss sich seit Juli vor dem Landgericht (LG) München I verantworten. Er soll nach einer Oktoberfest-Feier der Kanzlei im Jahr 2014 eine studentische Mitarbeiterin zum Sex gezwungen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung vor (§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, S. 2 Nr. 1 a.F., 223 Abs 1, 230 Abs. 1, 52 Strafgesetzbuch). Dem Angeklagten drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Doch die Erläuterungen zum Tatgeschehen gehen weit auseinander. Sicher ist inzwischen, dass es zwischen dem ehemaligen Großkanzleipartner und der Studentin während der After-Wiesn-Party in dem damaligen Szene-Treff Cavos zu sexuellen Handlungen im Wirtsgarten gekommen ist. Andere Studentinnen kamen hinzu, und in der Folge gab es eine Schlägerei zwischen E. und dem weiteren Partner S., der schon im Juli 2017 wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Nach LTO-Informationen gilt weiter als gesichert, dass die Studentin ein Dirndl und einen String-Tanga getragen hat. Der Slip war nicht beschädigt, als Dritte den Wirtsgarten aufsuchten, das Dirndl war zerrissen.
Um die Unschuld des Angeklagten zu beweisen, wollen seine Verteidiger ein umstrittenes Mittel einsetzen: Sie haben beantragt, ein forensisch-physiopsychologisches Sachverständigengutachten einzuholen, in dessen Rahmen ein Polygraphentest durchgeführt werden soll. Die Pressestelle des LG München bestätigte am Freitag auf LTO-Anfrage, dass der Antrag – neben weiteren - gestellt wurde, das Gericht jedoch noch nicht darüber entschieden habe.
Verteidigung will Einvernehmlichkeit sexueller Handlungen beweisen
Von dem Lügendetektor-Test verspricht sich die Verteidigung den Beweis, dass sämtliche körperlichen Berührungen, etwaige Küsse, sexuelle Handlungen und die "körperliche Dynamik", die zwischen dem Angeklagten und der Studentin stattgefunden haben, einvernehmlich waren.
Es stehe dem Angeklagten frei, seine Unschuld durch jedes zulässige Mittel zu beweisen, heißt es zur Begründung in dem Antrag, der LTO vorliegt. Es sei nicht einzusehen, "warum mutmaßliche Opferzeugen ihre Aussagen mithilfe eines psychologischen Gutachtens glaubhafter machen dürfen, wenn dies dem Beschuldigten mittels einer polygraphischen Untersuchung verwehrt wird, obwohl diese deutlich zuverlässiger ist".
Bei einem Polygraphentest werden dem zu Untersuchenden in mehreren Durchgängen Fragen, die auf den Tatvorwurf zielen, sowie Vergleichsfragen gestellt. Dabei werden der arterielle Blutdruck, die Pulsfrequenz, die Atemamplitude und Leitfähigkeit der Haut gemessen. Die körperlichen Reaktionen des Angeklagten auf die Tatfragen werden mit den Reaktionen auf die Vergleichsfragen verglichen. Daraus soll sich ableiten lassen, ob die Tatfragen wahrheitsgemäß oder wahrheitswidrig beantwortet wurden.
Freiwillige Entlastung oder Unterlaufen von In dubio pro reo?
Der Einsatz des Lügendetektors im Strafprozess ist in Deutschland seit vielen Jahren heftig umstritten. Bislang hat der Bundesgerichtshof (BGH) ihn untersagt. In einem Urteil von 1954 verbot er ihn auch für den Fall, dass der Angeklagte dem Test zustimmt - weil dieser ihn zum Objekt mache und ihn daher in seiner Menschenwürde verletze (Urt. v. 16.02.1954, Az: 1 StR 578/53).
Über 40 Jahre später blieb der BGH bei seiner Ablehnung des Kontrollfragentests. Zwar teilten die Richter im Jahr 1998 die Bedenken von 1954 nicht mehr, wonach der Test gegen die Menschenwürde verstoße. Allerdings kam man in Karlsruhenach Anhörung einiger Experten zu dem Ergebnis, dass der Test komplett unzuverlässig sei und keine Indizien dafür liefere, ob eine Aussage glaubhaft sei oder nicht (BGH, Urt. v. 17.12.1998, Az. 1 StR 156/98). Auch im Jahr 2010 betrachtete der BGH den Polygraphen noch nicht als geeignetes Beweismittel – auch dann nicht, wenn derjenige, der ihn auswertet, als Sachverständiger angehört wird (BGH, Beschl. v. 30.11.2010, Az. 1 StR 509/10.
Die Verteidiger im Linklaters-Verfahren verweisen in ihrem Antrag auf ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Bautzen. Es hält das entlastende Ergebnis einer polygraphischen Untersuchung als Indiztatsache auch in Strafverfahren für verwertbar (Urt. v. 26.03.2013, Az. 40 Ls 330 Js 6351/12). Ein Jahr nach dem Urteil des AG Bautzen bezeichnete das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) den Polygraphentest jedoch - im Anschluss an die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2010 - nach wie vor als ungeeignetes Mittel im Straf- und Disziplinarverfahren (Beschl. v. 31.07.2014; Az. 2 B20/14).
Auch Prof. Dr. Marco Mansdörfer sieht "Versuche, die Wahrheit aus dem Betroffenen/Angeklagten ‚herauszuholen#", kritisch. "Das erinnert mich an die Inquisitionsprozesse des späten Mittelalters. Wo soll hier die Grenze sein?" Auch dass ein Angeklagter sich dem Test vermeintlich freiwillig unterziehen will, überzeugt den Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht der Universität des Saarlandes nicht: "Mit dem Argument könnte man auch eine wissenschaftlich begleitete Folter zulassen".
Seines Erachtens handeln die betroffenen Personen doch aufgrund einer latenten Drucksituation. Bei Zweifeln solle der Angeklagte/Betroffene konsequent entlastet werden, "dann benötigt man diese Methoden nicht". Mansdörfer sieht außerdem die Gefahr, dass latent der "In dubio pro reo"-Grundsatz unterlaufen wird. "Gerichte könnten unausgesprochen erwarten, dass wirklich ‚Unschuldige‘ künftig von sich aus solche Tests anbieten - so wie schon heute der Verteidiger die entlastenden Tatsachen vortragen muss und die Staatsanwaltschaft, entgegen ihrem gesetzlichen Auftrag, häufig gerade nicht auch die den Beschuldigten entlastenden Momente entwickelt".
Anja Hall, Linklaters-Prozess nach Oktoberfest-Party: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26077 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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