Werden Juristen durch Anwalts-Roboter ersetzt? Angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen könnte man das durchaus befürchten. Ganz so schnell wird es aber wohl nicht gehen, meint Micha-Manuel Bues.
Wir schreiben das Jahr 2040, ein Mandant kommt zum Beratungsgespräch in eine Kanzlei. Dort sitzt ihm nicht ein Anwalt aus Fleisch und Blut gegenüber, sondern ein Roboter. Er beantwortet alle juristischen Fragen des Mandanten in Ruhe und zu dessen vollster Zufriedenheit. Die Rechnung, die der Klient anschließend erhält, ist minimal. Er beschließt deshalb, sich auch mit der nächsten Rechtsfrage wieder an den RoboAnwalt zu wenden.
Ob und wie Juristen durch Artificial Intelligence (AI) bzw. künstliche Intelligenz (KI) ersetzt werden können, wird derzeit kontrovers diskutiert. Artikel hierzu sind Legion. Bei Google News finden sich allein etwa 100.000 Einträge, wenn man nach dem Thema "Artificial Intelligence in Law" sucht.
Die Debatte wurde durch eine Studie von Altman Well mit dem Titel "2015 Law Firms in Transition" weiter befeuert. Dort wurde Kanzleien die Frage gestellt, ob sie sich vorstellen können, Paralegals und Associates durch Watson, den Supercomputer von IBM, in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu ersetzen. 47 Prozent der Befragten bejahten dies bei Paralegals, 35 Prozent bei Frist Year Associates. Dieses Ergebnis wurde von Medien bereitwillig aufgegriffen, die beispielsweise zugespitzt formulierten: "Law firm bosses envision Watson-type computers replacing young lawyers".
RoboAnwalt: Traum und Alptraum zugleich
Viele haben nur eine vage Vorstellung von KI. Einigen wird eine Art superintelligenter Roboter vorschweben, der wie ein Mensch denkt und arbeitet - nur eben besser. Künstliche Intelligenz ist der perfekte Angestellte, der nie schläft und top motiviert immer alles richtig macht. Der Traum eines jeden Partners und der Alptraum eines jeden Jurastudenten. Aber eben nur Science Fiction.
KI ist - vereinfacht gesagt - die Automatisierung intelligenten Verhaltens durch Maschinen. Wer verstehen will, was KI heute schon kann und was noch reine Zukunftsmusik ist, sollte sich den Unterschied zwischen wirklicher KI (auch Artificial General Intelligence, human-level AI oder Strong AI genannt) und angewandter KI (Weak AI) klar machen. Das wird in Diskussionen zu diesem Thema gerne übersehen.
"Angewandte KI" nutzen wir alle schon lange…
In Filmen wie Terminator, A Space Odyssey oder jüngst Ex Machina geht es für gewöhnlich um wirkliche KI, also um Computerwesen, die intelligent wie Menschen sind und uns deshalb zugleich faszinieren und verängstigen. Diese Art von KI ist tatsächlich noch Fiktion - nicht aber die angewandte KI. Sie umgibt uns täglich, ohne dass wir es wissen, bemerken oder es gar beunruhigend finden. Siri auf dem IPhone - angewandte KI, Google Translate - angewandte KI, Spam Filter - angewandte KI. Es handelt sich also um Technologien, die in bestimmten, eng umgrenzten Bereichen "intelligentes" Verhalten ermöglichen bzw. imitieren können.
Diese "intelligenten" Technologien sind beispielsweise unter den Sammelbegriffen Machine Learning (ML) oder Natural Language Processing (NLP) bekannt. ML beschreibt Systeme, die aufgrund bestimmter Algorithmen von Erfahrungen lernen und bestimmte Ereignisse prognostizieren können. Mit NLP sind Systeme gemeint, die Umgangssprache verstehen. Kombiniert man beides, erhält man ein System, dass lernen kann, Sprache zu verstehen.
…allerdings sind die Technologien nicht wirklich intelligent
Man kann diese Technologien als "intelligent" bezeichnen, weil sie Erfahrungen wie Menschen sammeln und hieraus lernen können. Dadurch wird aber gerade kein menschliches Computergehirn geschaffen. Die Anwendungsgebiete und Einsatzmöglichkeiten angewandter KI sind derzeit noch beschränkt. Die erwähnten Technologien sind nicht umfassend intelligent.
Wenn die Anwendung von KI auf die Rechtsbranche diskutiert wird, geht es ausschließlich um das Potential angewandter KI. Schaut man genauer, was angewandte KI derzeit kann, lässt sich abschichten, welche konkreten Auswirkungen (angewandte) KI auf die Rechtsbranche in näherer Zukunft haben könnte.
KI für Juristen: Suchmaschinen, Datenbanken, Vertragsgenerierung
Bereits heute beobachten wir, dass in bestimmten juristischen Teilbereichen "intelligente Technologien" anstelle von Menschen eingesetzt werden. Juristische Suchmaschinen, beispielsweise FastCase, WestLaw oder Ravel, setzen intelligente Such- und Sortiertechnologien, etwa Kontextclusterungen und semantische Gewichtungen, ein, um aus einer großen Datenmenge die richtigen Ergebnisse zu filtern. Der deutsche Jurist wünscht sich manchmal, dass die hierzulande bekannten juristischen Suchdienste Vergleichbares einsetzen würden.
Auch im Bereich von eDiscovery werden bereits seit längerem ähnliche Technologien genutzt, um riesige Datenmengen nach bestimmten Kriterien zu sortieren, zu priorisieren und zu analysieren. Hier sind die Maschinen den Juristen überlegen, weil sie große Datenmengen durchforsten können, wie es Menschen nur unter enormen Zeitaufwand überhaupt möglich wäre.
Ein weiteres Feld ist die automatische Vertragsgenerierung und -analyse, die Vertragsformulare und "copy&paste" ersetzt. In diesen Bereichen wird das Verdrängungspotential besonders deutlich. Der Druck wird sich durch verbesserte Technologie noch erhöhen.
2/2: Der RoboAnwalt im Gerichtssaal?
Aufgaben, die sich relativ leicht automatisieren lassen und viele repetitive Elemente enthalten, werden durch “intelligente” Technologien in absehbarer Zeit übernommen bzw. effizienter gestaltet. Je mehr für eine Aufgabe aber eine genuine juristische Wertung erforderlich ist, desto unwahrscheinlicher ist, dass sie durch KI ersetzt werden kann.
Insbesondere wenn es dazu kommt, menschliche Erfahrung, Intuition, Kreativität, soziale Intelligenz, Gerechtigkeitsempfinden und strategische Planung zu imitieren, werden menschliche Juristen noch lange - oder vielleicht auch immer - einen Wettbewerbsvorsprung haben. Auch im Gerichtssaal sind RoboAnwälte, die über Menschen urteilen oder diese verteidigen, kaum vorstellbar.
Mensch und Maschine lernen voneinander
Die Auswirkungen von KI werden daher je nach Position, Rechtsgebiet und Art der Tätigkeit höchst unterschiedlich ausfallen und zu spüren sein. Generell werden sich aber die Arbeitsweise und Berufsfelder von Juristen ändern. Juristen werden beispielsweise gebraucht, um die nur teilweise "intelligenten" Technologien zu bedienen. Da es sich bei angewandter KI gerade nicht um ein superintelligentes Wesen handelt, das Menschen komplett ersetzt, bedarf es menschlicher Experten, die die Technologien einsetzen und damit wirklichen Mehrwert generieren.
Es kommt zu einer Partnerschaft zwischen Mensch und Maschine. Vielfach wird heute daher nicht mehr von "Artificial Intelligence", sondern lieber von "Augmented Intelligence" gesprochen. Damit will man verdeutlichen, dass Maschinen derzeit Menschen helfen, bessere Lösungen zu finden. Maschine und Mensch lernen wechselseitig voneinander und treten nicht etwa in Konkurrenz zueinander.
Weniger, aber kreativere Anwaltsjobs
Also alles halb so wild? Es kommt darauf an: Es ist richtig, dass Anwälte so schnell nicht überflüssig werden. Richtig ist aber auch, dass angewandte KI zu erheblichen Veränderungen im Rechtsmarkt führen wird, wenn Anwälte mit Hilfe intelligenter Technologien ihre Arbeit bestreiten. Während sich Anwälte auf den kreativen Kern ihrer Tätigkeit konzentrieren können, werden viele automatisierbare und wiederkehrende Aufgaben von Maschinen übernommen werden. Dadurch wird es wahrscheinlich, so einige Prognosen, in der Summe weniger Arbeitsplätze für Anwälte geben.
Diese Entwicklung bietet aber auch die Chance, sich vermehrt den "menschlichen" und kreativen Aspekten anwaltlicher Arbeit zu widmen, etwa bei strategischen Überlegungen in Gerichtsverfahren oder bei Übernahmeverhandlungen. Es werden auch gänzlich neue Berufsfelder und Tätigkeitsbereiche entstehen. Nicht aus den Augen verlieren sollte man aber, dass die Entwicklung eines Computers mit menschenähnlichen Fähigkeiten (wirkliche KI) bereits in 20 bis 40 Jahren erwartet wird. Ganz unrealistisch ist das eingangs beschriebene Szenario daher nicht.
Der Autor Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Anwalt und Legal Tech Experte, betreibt den Blog www.legal-tech-blog.de.
Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Künstliche Intelligenz: Wenn der RoboAnwalt an die Kanzleitür klopft . In: Legal Tribune Online, 18.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17893/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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