Ralf Leifeld über die Alltäglichkeit des Rechts, Juristen als Problemlöser mit Helfersyndrom und Änderungsbedarf bei § 80 Abs. 3 BetrVG.
Ralf Leifeld ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Leifeld Niechoj Scholten (LNS). Als Spezialist für das kollektive Arbeitsrecht berät er seit fast drei Jahrzehnten unter anderem zu Restrukturierungsprozessen, Übernahmen und Zusammenschlüssen von Unternehmen, Personalabbau und Sozialplanverhandlungen.
Mein typischer Montag:
Kommt darauf an. Der Lieblingssatz aller Juristen. Aber so ist es. Einen typischen Montag gibt es selten. Eine montägliche Konstante ist allerding mein Unverständnis über die Arbeitswut so vieler Kollegen am Wochenende mit der Folge, dass um 08:15 Uhr morgens schon knapp 30 E-Mails vom Wochenende und vom frühen Montag-Morgen eingelaufen sind, was mich doch ein wenig verzweifeln lässt, denke ich mich zu dieser Uhrzeit doch erst ganz langsam in den Montag hinein. Frühes Aufstehen ist für den Kollektivrechtler normal, weil der Arbeitstag regelmäßig mit Anfahrten zum Mandanten beginnt, die durchaus schon mal zwei Stunden oder länger andauern können. Gerade an einem Montag. Dann folgen viel Kaffee, Mandantengespräche, Rücksprachen mit dem Büro, was sonst so von Freitag bis Montag passiert ist. Am Ende ein Wochenbeginn mit Herausforderungen.
Mein Getränk und meine Bar:
Sehr bequem parterre im Bürogebäude gibt es Silvias Cafélito. Hier findet man alles vom Kaffee bis zum Sektfrühstück, vom Cocktail bis zum Biosaft. Für Kuchen und Snacks ist stets gesorgt. Das Bedürfnis während des Arbeitstages mal durchzuatmen kann hier in angenehmer Atmosphäre umgesetzt werden. Natürlich mache ist das viel zu selten, allein der Gedanke zählt.
Ein Song, ein Buch:
Mein Song: Schwer zu sagen. Ich bin ein Kind der 70iger, 80iger und 90iger Jahre. Musik ist breit angelegt und die Reduktion auf einen Song gelingt mir nicht. Tagesformabhängig von Klassik bis R&B.
Mein Buch: Dem Grunde bin ich (wohl) ca. 100 Jahre zu spät geboren. Deshalb fasziniert mich immer mal wieder "Die Entdeckung der Langsamkeit" von Sten Nadolny. Der Sog in ein anderes Jahrhundert der Entdeckungen; die unbeantwortete Frage, ob Schnelligkeit oder Gründlichkeit der richtige Weg ist; oder wie Beharrlichkeit zum Ziel findet; fantastisches Buch, wie ich finde.
Warum Jura?
Zu Beginn studierte ich eine Naturwissenschaft und zu Jura kam ich allein über Umwege und Zufall. Mich begeistert noch heute die Alltäglichkeit, mit der uns das Recht umgibt. Man kann dem Recht nicht ausweichen. Es ist immer präsent und regelt unser aller Zusammenleben auf vielfältigste Weise. Zum Glück bemerken wir es im Alltag nicht, aber Jura ist der Schatten, den wir nicht sehen können. Ich wollte verstehen, wie diese Schattenwelt funktioniert und wurde von ihr aufgesogen.
Und warum gerade das Arbeitsrecht?
Kollektives Arbeitsrecht – so viel Zeit muss sein. Seit Jahrhunderten streiten Menschen um die gerechte Teilhabe, um den verdienten Lohn für ihre Arbeit und um Demokratisierung oder auch Mitbestimmung der Beschäftigten in der Wirtschaft. Und ich stecke mittendrin in diesem Prozess. Kann es etwas Spannenderes geben? Drei Themen, die aufgrund fortschreitender Veränderung immer wieder neu gedacht, neu konzipiert und deren Umsetzung neu aufgeschrieben werden muss. Es ist rechtlich, sozial-politisch und psychologisch anspruchsvoll. Ich arbeite mit vielen Menschen, verschiedenen Charakteren und alle verbindet ein Ziel. Es muss betrieblich oder im Unternehmen oder gar für einen ganzen Konzern eine Lösung her. An der arbeiten wir gemeinsam. Sachlich und emotional.
Zahl meiner Arbeitsstunden pro Woche:
Ich habe die Stunden nie gezählt und werde sie auch nie zählen, vermutlich, weil ich immer Angst vor dem Ergebnis hatte. Es sind zahlenmäßig sicherlich sehr viele Stunden, die aber wie im Flug vergehen, weil es einfach Spaß macht, einen kreativen Schaffensprozess zu begleiten und am Ende ein gutes Ergebnis bestaunen zu können. Gelingt nicht jeden Tag. Aber über die Zeit gesehen, ist es eine sehr positive Arbeit.
Das größte Plus in meinem Job:
Viele Juristen sind (wohl) tief in ihrem Herzen Problemlöser mit Helfersyndrom. Es ist positive Energie, die in stundenlangen Verhandlungen, Besprechungen und in der Bearbeitung von Verträgen freigesetzt wird, weil wir am Ende einen gemeinsamen Willen zwischen Unternehmen und Belegschaft formulieren, der alle miteinander nach vorne trägt und hinter dem sich eine breite Mehrheit zusammenschließen kann.
Das größte Minus in meinem Job:
Der Weg zu einem guten Ergebnis braucht häufig sehr viel Lebenszeit und -energie, die in den Prozess eingebracht werden muss. Newton soll mal gesagt haben: Wer Vorwärts will, muss was zurücklassen. Lebenszeit und -energie gehören in meinen Job dazu.
Ein Gesetz im Arbeitsrecht, das dringend geändert werden sollte:
§ 80 Abs. 3 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Arbeitnehmervertretungen können fachliche, externe Sachverständige in den beschriebenen Prozessen hinzuziehen. Sehr häufig sind dies Juristen. Die Arbeitgeberseite macht das gleich so. Die Bezahlung der Experten auf Arbeitnehmervertretungsseite ist aber leider sehr umstritten, weil § 80 Abs. 3 BetrVG nicht klar und nicht selbstverständlich genug für die Hinzuziehung solcher Sachverständiger formuliert ist. Die Themen, die heute bearbeitet werden müssen, erfordern indes regelmäßig weitreichende Spezialkenntnisse im nationalen und internationalen Recht. Das kann keine Arbeitnehmervertretung von sich aus niemals vorrätig halten. § 80 Abs. 3 BetrVG muss deshalb dringend reformiert werden, um die Gespräche und Verhandlungen, wie es sich in einer erwachsenen Sozialpartnerschaft gehört, weiterhin auf Augenhöhe von beiden Seiten führen zu können.
Anwalts- und Kanzleirankings sind:
Komplett dummes Zeug! Wer kennt den schönsten Stern am Himmel, könnte eine ähnliche Frage sein. Natürlich niemand, weil niemand alle Sterne kennt. Wer kennt die Fachlichkeit und die Güte aller Kanzleien und kann diese objektiv bewerten? – genau! Ebenso niemand!
Meine letzte Frage an ChatGPT:
Das war vor wenigen Tagen. Ich war wirklich verzweifelt, weil ich Visa für unseren Urlaub online beantragt hatte und nun an der online-Bezahlung zu scheitern drohte; es funktionierte einfach nicht. Aus lauter Verzweiflung und mit viel Humor fragte ich also ChatGPT, ob er/sie/es sich nicht in den Zentralrechner des gewünschten Einreiselandes einloggen und dort für eine korrekte online-Zahlung unsererseits Sorge tragen könne? Die Antwort war verblüffend: ChatGPT erkannte sowohl meine Verzweiflung als auch das zwischen den Zeilen zu lesende "Augenzwinkern" meinerseits und lehnte mein Begehren mit einer humoristischen Antwort richtigerweise kategorisch ab. Ich hätte nicht gedacht, dass das System diese Feinsinnigkeit in meinen Worten erkennen kann.
Zwei Ideen zur Reform der juristischen Ausbildung:
Die universitäre Ausbildung ist, denke ich, in Ordnung. Im Referendariat würde ich mir eine striktere Trennung und Spezialisierung für den späteren Berufsweg wünschen, Richter, Anwalt, Staatsanwalt, allgemeiner Staatsdienst sollten getrennte Referendariate nach sich ziehen. Der gut ausgebildete Generalist bleibt heute in Ermangelung tiefen Spezialwissens trotz überlanger Ausbildung ein Anfänger. Das sollte nicht sein.
Eine Vorlesung, die Jura-Studierende auf keinen Fall schwänzen sollten:
Der Grund, warum ich am Ende Jura studiert habe, war eine Vorlesung über "Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie" von Prof. Dr. Röhl an der Uni Bochum. Der Satz des Rechtsphilosophen: "Nur, wenn man weiß, woher man kommt, weiß man, wohin man sich gerade aufmacht" spukt mir noch heute durch meinen Kopf. Gerade in diesen Zeiten der flutartigen Veränderungen und der hieraus resultierenden Orientierungslosigkeit brauchen wir alle Geschichte und Erkenntnis, um uns nicht auf Abwege zu begeben.
Diese/n Juristin/Juristen müssen die LTO-Leser kennenlernen:
Holger Dahl, Jurist, Richter a.D., Mediator und Stimme für den gemeinsamen Weg zweier Parteien, die sich einen gemeinsamen Weg gerade so gar nicht vorstellen können. Mutig hat er sein Richteramt "an den Nagel" gehängt und gründete "Die Schlichtung". Vom Richtersessel aufgestanden und hinein in die Welt der Konflikte getreten. Ohne doppelten Boden, aber dafür mit unnachahmlicher Empathie für die Sache der Schlichtung.
Mehr Most Wanted? Hier geht es zu den bisherigen Ausgaben: Tom Braegelmann | Incoronata Cruciano | Joachim Ponseck | Marc Roberts | Maximilian Riege | Fatima Hussain | Anne Graue | Victoria Fricke | Ann-Kathrin Ludwig | Stephanie Beyrich | Christiane Eymers | Martina Rehman | Martina Flade | Saskia Schlemmer | Marco Buschmann | Neda Wysocki | Anosha Wahidi | Gregor Gysi | Dirk Wiese | Konstantin von Notz | Sabine Stetter | Katharina Humphrey | Jutta Otto | Hanno Kunkel | Alfred Dierlamm | Mohamad El-Ghazi | Jan Philipp Albrecht | Helene Bubrowski | Ali B. Norouzi | Naila Widmaier | Andrej Umansky | Tijen Ataoğlu | Philippos Botsaris | Herta Däubler-Gmelin | Volker Römermann | Jerry Roth | Sebastiaan Moolenaar | Eckart Brödermann | Dominique Grüter | Vivian Kube | Die Übersicht mit allen bisherigen Ausgaben finden Sie hier.
Köpfe: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57604 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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