Köpfe: LTO Most Wanted mit Lea Beck­mann

von Stefan Schmidbauer

31.10.2025

Lea Beckmann über das reformbedürftige AGG, Diskriminierungsgefahren durch KI, Ideen zur Verbesserung der juristischen Ausbildung und die Menschen in Berlin.

Lea Beckmann ist Juristin mit einem Schwerpunkt auf Grund- und Menschenrechte. Seit August 2023 ist sie als Grundsatzreferentin bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Berlin tätig. Zuvor war sie unter anderem als Rechtsanwältin im Rechtsteam der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Für LTO Most Wanted wurde sie von Vera Keller nominiert.

Mein typischer Montag: 

Der Montag dient in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes der Wochenplanung. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung bespricht vormittags mit ihren Referatsleitungen das aktuelle Tagesgeschäft, nachmittags besprechen wir im Referat sich daraus ergebende Arbeitsaufträge sowie unsere sonstigen Aufgaben.

Unsere zentrale Aufgabe im Grundsatzreferat ist es, Referent*innenentwürfe der Bundesregierung zu prüfen und auf Diskriminierungsrisiken hinzuweisen. Zuletzt zum Beispiel zum Bundespolizeigesetz: Die meisten Menschen in Deutschland vertrauen in die Arbeit der Polizei. Die letzten Jahre haben die Antidiskriminierungsstelle des Bundes jedoch viele Beschwerden von Personen erreicht, die sich auf Racial Profiling beziehen. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung hat sich dafür eingesetzt, dort den Schutz vor Diskriminierung und Racial Profiling besser zu verankern.

Mein Getränk und meine Bar: 

Kaffee – und immer lieber ein Spaziergang als eine Bar.

Ein Song, ein Buch, ein Vorbild:

Tracy Chapman – Fast Car

James Baldwin – Just above my head

Elisabeth Selbert

Berlin oder Tunis?

Berlin. Ich hatte das Glück und Privileg, 2014 einige Zeit in Tunis zu verbringen, als dort drei Jahre nach der Revolution eine demokratische Verfassung abgestimmt und erste Wahlen auf deren Grundlage abgehalten. Es war eine spannende Erfahrung, zu dieser politisch und historisch besonderen Zeit dort sein zu können. Ich habe währenddessen viel über Tunesien, aber auch über Deutschland, Europa und die Auswirkungen der Kolonialzeit bis in die Gegenwart gelernt. Ich bin Tunis und meinen Freund*innen dort bis heute verbunden. Berlin hingegen ist aber meine Wahlheimat, in der ich verwurzelt bin. Ich liebe diese Stadt und ihre verrückten, großartigen Menschen.

Warum Jura?

Das Jurastudium vermittelt ein sehr gutes Verständnis von politischen Systemen und von den Grundregeln unseres Zusammenlebens. Im besten Fall lehrt es zudem, kritisch zu hinterfragen, gründlich abzuwägen, Entscheidungen zu treffen und die eigene Positionen überzeugend darzulegen. Das sind wichtige Fähigkeiten, gerade für Menschen, die die Welt nicht nur vorfinden, sondern gestalten möchten.

Zahl meiner Arbeitsstunden pro Woche:

Ich arbeite derzeit 32 Stunden an vier Tagen. Das hat es mir ermöglicht, als eine von mehreren Autor*innen das Landesantidiskriminierungsgesetz Berlins zu kommentieren – und trotzdem ein freies Wochenende zu haben.

Meine Definition von Freiheit:

"Werde, der du bist", dieses Zitat (von Pindar) kommt mir in den Sinn, wenn ich an Freiheit denke. Freiheit hat für mich viel mit freier Entfaltung der Persönlichkeit zu tun, und mit einer Gesellschaft, die es ihren Mitgliedern erlaubt, sich selbst zu entdecken und auszuprobieren. Eine solche Freiheit kann es nur geben, wenn sie allen Menschen gleichermaßen zusteht. Insofern setzt Freiheit auch Gleichheit voraus. Inspirierend zur Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft im grundrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrecht finde ich insofern "Freie Entfaltung durch Selbstgestaltung" von Professorin Gabriele Britz.

An meinem Job mag ich:

Ich darf bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes an Themen arbeiten, die mir wichtig sind. Die Themen sind dabei so vielfältig wie die Menschen in Deutschland, denn Diskriminierung kann jeden treffen. Ein Thema, dass uns in den letzten Jahren beschäftigt hat, ist Diskriminierung im Bereich staatlichen Handelns. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt nur im Arbeitsrecht und im Zivilrechtsverkehr vor Diskriminierung. Im Bereich staatlichen Handelns gibt es auf Bundesebene kein vergleichbares Gesetz – und auf Landesebene hat soweit nur Berlin ein Landesantidiskriminierungsgesetz. Mir erscheint es wenig nachvollziehbar, dass eine Person, die in einem Restaurant Diskriminierung erlebt, rechtlich besser geschützt ist, als eine Person die zum Beispiel im Jobcenter diskriminiert wird. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat wissenschaftlich Forschungsvorhaben beauftragt, die Diskriminierung im Bereich der Polizei und im Bereich Justiz untersuchen. Ein Rechtsgutachten soll zudem klären, wie ein besserer gesetzlicher Schutz auf Bundesebene gestaltet werden kann.

An meinem Job nervt mich:

Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes arbeitet ein großartiges Team von hoch qualifizierten und motivierten Kolleg*innen und wir schaffen viel. Für die Vielzahl und die Bedeutung der Themen, die wir verantworten, ist die Antidiskriminierungsstelle des Bundes personell wie vom Budget jedoch einfach zu klein aufgestellt.

Welches Rechtsgebiet wird sich in den nächsten Jahren am stärksten verändern und warum? 

Das Antidiskriminierungsrecht wird sich in den nächsten Jahren stark verändern und zu einem eigenständigen Rechtsgebiet erwachsen. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag auf eine überfällige Reform des AGG geeinigt, um Bürger*innen besser als bisher vor Diskriminierung zu schützen. Auch die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie wird den Schutz vor Diskriminierung beim Entgelt deutlich stärken, was insbesondere für Frauen wichtig ist. Nach Berlin planen außerdem weitere Bundesländer, Landesantidiskriminierungsgesetze zu verabschieden und damit zum Beispiel den Diskriminierungsschutz für Kinder und Jugendliche in der Schule zu verbessern. Wer sich für die Entwicklung auf Landesebene interessiert, kann dazu mehr in einem aktuellen Standpunktepapier der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nachlesen. Im gegenwärtigen politischen Kontext ist Diskriminierungsschutz wichtiger denn je, darauf wird die Gesetzgebung weiter reagieren müssen.

Wird der zunehmende Einsatz von KI zu einer Verstärkung oder einer Verringerung von Diskriminierung führen?

Die Geschwindigkeit, in der sich Künstliche Intelligenz (KI) aktuell entwickelt, ist beeindruckend. Diese Entwicklung bringt viele Chancen mit sich. Zum Beispiel bietet KI Menschen niedrigschwelligen Zugang zu Wissen. Sie birgt aber auch besorgniserregende Diskriminierungsgefahren, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen – und zwar jetzt, und nicht erst irgendwann. Welche Diskriminierungsrisiken algorithmische Entscheidungssysteme bergen, hat eine 2019 veröffentlichte Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt. Durch KI wird das nun immer mehr Lebensbereiche betreffen.

Auch der europäische Gesetzgeber hat in der KI-Verordnung dieses Diskriminierungsrisiko erkannt. Er weist insofern den Gleichbehandlungsstellen wie der Antidiskriminierungsstelle in Zusammenarbeit mit Marktüberwachungsbehörden eine entscheidende Rolle dabei zu, Diskriminierungsrisiken zu prüfen. Wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes diese Rolle ausüben kann, hängt stark davon ab, ob ihr für diese Aufgabe auch entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Ein Gesetz, das dringend geändert werden sollte: 

Das AGG schützt Menschen in Deutschland seit 2006 vor Diskriminierung. Es ist jedoch dringend reformbedürftig. Zum Beispiel sollten Geltendmachungsfristen deutlich verlängert werden und Verbandsklagemöglichkeiten eingeführt werden. Auch der Katalog von geschützten Diskriminierungsmerkmalen ist lückenhaft. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht, dass Menschen gerade entlang des sozialen Status Diskriminierung erfahren. Diese Kategorie sollte in § 1 AGG aufgenommen werden. Das Grundgesetz verpflichtet dazu, allen Menschen in Deutschland eine kulturelle, soziale und politische Teilhabe zu ermöglichen. Dafür ist es auch wichtig, Menschen besser rechtlich davor zu schützen, aufgrund von Armut ausgegrenzt, abgewertet oder stigmatisiert zu werden.

Eine Idee zur Verbesserung der juristischen Ausbildung: 

Die juristische Ausbildung ist hart und ich fand sie in mancherlei Hinsicht quälend. Es ist schade, dass sie dadurch viele junge Menschen abschreckt. Das betrifft gerade diejenigen, die ein Jurastudium zuhause nicht als selbstverständliche Option vorgelebt bekommen. Möglichst kleine Arbeitsgruppen, in denen praktische Fälle besprochen werden, sollten als wichtige Säule des Studiums weiter gestärkt werden. Statt als Gesamtnote des Studiums nur die letzten Examensklausuren sowie eine Schwerpunktprüfung zu werten, sollten auch die über Jahre hinweg erarbeiteten Noten aus dem Studium mit einbezogen werden. Das würde die Angst und den Druck vor jeder einzelnen Prüfung etwas erleichtern.

Eine Vorlesung, die Jura-Studierende auf keinen Fall schwänzen sollten:

Ich lege allen Studierenden der HU Berlin die Rechtssoziologie-Vorlesung von Professorin Susanne Baer ans Herzen, wie überhaupt alle ihre Vorlesungen. Sie ist nicht nur eine beeindruckende Wissenschaftlerin und ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch eine begeisternde Dozentin, die zu kritischem Denken anregt.

Diese Juristin oder diesen Juristen müssen die LTO-Leser kennenlernen: 

Ronska Grimm, Rechtsanwält*in mit einem Schwerpunkt auf Nebenklagevertretung! Ich hatte die Ehre und das große Vergnügen mit Ronska an einem Verfahren zusammenarbeiten und Ronskas anwaltliches Selbstverständnis hat mich tief beeindruckt. Ronska ist nicht nur ein*e kluge*r, erfahrene*r und empathische*r Rechtsanwält*in, sondern hat auch besondere Expertise im Themenbereich Gewaltschutz und der Rechte von Frauen mit Behinderungen.

 

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Zitiervorschlag

Köpfe: . In: Legal Tribune Online, 31.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58484 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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