In Ausgabe No. 15 erzählt Neda Wysocki, wie sie dazu kam, Jura zu studieren, was sie unter Gerechtigkeit versteht und welche Vorlesung sie Studierenden dringend empfiehlt.
Neda Wysocki ist 33 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und aktuell in der Vorbereitung für das 1. Staatsexamen. Nach dem Abitur hat sie eine Ausbildung zur Handelsassistentin beendet, nach der Geburt ihres ersten Kindes entschied sie sich für ein Jurastudium. Ihre beiden weiteren Kinder hat sie während des Studiums auf die Welt gebracht.
Eine Überschrift für mein Leben: Built by Dreams and Determination
Mein typischer Montag: Mein Montag beginnt um 6:00 Uhr, damit ich vor den Kindern wach bin und mich in Ruhe fertig machen kann. Danach wecke ich nach und nach meine Kinder und mache sie für die Schule und die Kita fertig: Brotdosen packen, Frühstück vorbereiten, Ranzen packen, Zähne putzen. Sobald die Kids in der Schule sind und ich unseren Jüngsten in die Kita gebracht habe, hole ich mir eine Tasse Kaffee, setze mich an meinen Schreibtisch und starte in meine Jura-Staatsexamen-Vorbereitung.
In meiner Mittagspause filme und bearbeite ich den Content für meinen Instagram-Account und nehme meine wunderbare Community mit in meinen Alltag als Mutter und Jurastudentin in der Examensvorbereitung. Am späten Nachmittag hole ich unseren Kleinen aus der Kita ab und treffe die Großen zuhause. Danach geht’s an die Nachmittagsgestaltung, abends koche ich etwas Leckeres und wir essen gemeinsam als Familie. Während mein Mann die Kinder ins Bett bringt, setze ich mich wieder an meinen Schreibtisch und widme mich meinen Wiederholungseinheiten.
Mein Getränk und meine Bar: Wenn man mich an einer Bar sehen würde, dann höchstens mit einem Flat White Hafermilch in der Hand.
Ein Song, ein Buch, eine Serie: Einer meiner absoluten Lieblingssongs ist "Strong Enough" von Cher. Ein einziges Buch zu nennen, fällt mir tatsächlich ebenso schwer, doch die Romane von Khaled Hosseini haben mich sehr berührt. Seine Geschichten spielen in Afghanistan und er schafft es auf wunderbare Weise mit seinen Worten das ehemalige, wunderschöne Afghanistan wiederaufleben zu lassen.
Warum Jura? Meine eigene Geschichte als geflüchtetes Kind und die Widerstände, die wir damals als Familie gemeistert haben, haben mich motiviert, mich der Rechtswissenschaft zu widmen. Denn ich habe heute das Privileg, zu studieren und mich weiterzubilden, damit ich hoffentlich in wenigen Jahren Volljuristin bin und geflüchteten Menschen ebenso die Hilfe zurückgeben kann, die wir damals erhalten haben.
Jura studieren mit drei Kindern geht gut, weil:
1. Meine Rolle als Mutter mich zwingt, ein gutes Organisations- und Zeitmanagement einzuhalten.
2. Meine Kinder mir immer wieder vor Augen halten, dass es ein Leben neben der meist toxischen Jura-Bubble gibt.
3. Ich meinen Kindern so vorleben kann, dass es im Leben nicht nur auf Talent, sondern auf Fleiß und Disziplin ankommt. So lernen sie, dass sie vieles erreichen können, sofern sie bereit sind, dafür zu arbeiten.
Jura studieren mit drei Kindern geht gar nicht, weil:
1. Die bestehenden Strukturen an vielen Unis Studierende mit Kindern enorm benachteiligen, anstatt sie zu unterstützen. Viele Studierende können beispielsweise Kurse und Vorlesungen nicht besuchen, weil diese zu Randzeiten angeboten werden, in denen sie ihre Kinder betreuen. Darüber hinaus sind die Härtefallverfahren für außerordentliche Lebenssituationen so erschwert, dass sich viele Studierende mit Kindern diese Möglichkeit entweder gar nicht erst wahrnehmen oder eben abbrechen.
2. Studierende mit Kindern immer eine Außenseiterrolle einnehmen, weil es leider nach wie vor selten ist, Eltern in Vorlesungen anzutreffen. Genau das führt dazu, dass viele Studierende mit Kindern vergeblich auf der Suche nach einer Lerngruppe oder Kommiliton*innen sind, die ihre Herausforderungen nachvollziehen können.
Meine Interpretation von Gerechtigkeit: Gerechtigkeit bedeutet, allen Menschen mit Fairness und Respekt zu begegnen, indem ihre Rechte und Bedürfnisse gleichermaßen berücksichtigt werden. Sie fordert uns auf, moralische Integrität zu wahren, Entscheidungen auf der Grundlage von Wahrheit und Verantwortung zu treffen und das Wohl der Gemeinschaft im Auge zu behalten. Wahre Gerechtigkeit ist nicht nur das Einhalten von Regeln, sondern das Streben nach einer gerechten und gleichberechtigten Behandlung aller Menschen.
Dieses Gesetz habe ich schon einmal gebrochen: § 265a StGB – ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich dieses Gesetz in den vergangenen Jahr mehrmals gebrochen habe, weil ich in Stresssituationen vergessen habe, ein Fahrticket zu kaufen. Mein Semesterticket lag natürlich warm und trocken zuhause!
Ein Paragraf des Grauens: § 218 StGB – Dieser Paragraf führt zu enormen zahlreichen negativen Folgen, sodass ich mich frage, wann unser Rechtsstaat den § 218 StGB endlich abschafft. Diese Norm stigmatisiert, kriminalisiert und diskriminiert jede Frau, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet und führt unter anderem dazu, dass immer weniger Ärzt:innen in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sodass ungewollt schwangere Menschen hohe Kosten und Wege auf sich nehmen müssen, um die Schwangerschaft abbrechen zu können.
Meine letzte Frage an ChatGPT: Ehrlicherweise war meine letzte auch meine erste Frage an ChatGPT (und das auch nur weil mein Mann mir in den Ohren lag, ChatGPT endlich ausprobieren): "Wie kannst du mir bei der Vorbereitung auf mein 1. Staatsexamen helfen?" – und ich war aufrichtig überrascht, dass die Antworten tatsächlich hilfreich und sinnvoll waren.
Meine Idee(n) für eine Reform der juristischen Ausbildung: Die Möglichkeit, dass sich Studierende mit Kindern bei Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung kurzfristig von Prüfungen abmelden können. Regelmäßige Schulungen von Lehrenden zur Sensibilisierung und Fortbildung in Bezug auf Gendergleichheit, Diskriminierung und Rassismus. Der Lehrplan sollte Themen wie Antidiskriminierungsrecht, Geschlechtergerechtigkeit, Intersektionalität und mentale Gesundheit während des Jurastudiums stärker in den Vordergrund stellen bzw. einführen.
Eine familienfreundlichere, frauenfreundlichere und inklusivere juristische Ausbildung muss strukturelle und kulturelle Veränderungen innerhalb der Hochschulen und der juristischen Praxis mit sich bringen. Flexible Studienmöglichkeiten, gezielte Förderung von marginalisierten Gruppen, eine geschlechtergerechte Lehre und Unterstützung für Studierende mit familiären Verpflichtungen können dazu beitragen, eine gleichberechtigtere und faire juristische Ausbildung zu ermöglichen. Nur so kann der Zugang zur juristischen Ausbildung für alle gleichermaßen verbessert werden.
Eine Vorlesung, die Jura-Studierende auf keinen Fall schwänzen sollten: Strafrecht von Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli (Universität Hamburg). Seine Vorlesungen waren definitiv eines meiner Highlights während des Studiums.
Diese/n Juristin/Juristen müssen die LTO-Leser kennenlernen: Anosha Wahidi. Anosha ist Volljuristin und Beauftragte für Nachhaltigkeitsstandards im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie hat maßgeblich am Entwurf für das deutsche Lieferkettengesetz mitgewirkt. Ich habe Anosha auf einem feministischen Kongress kennenlernen dürfen und ihre Kompetenz, Präsenz und Offenheit haben mich unglaublich inspiriert.
Mehr Most Wanted? Hier geht es zu den bisherigen Ausgaben: Tom Braegelmann | Incoronata Cruciano | Joachim Ponseck | Marc Roberts | Maximilian Riege | Fatima Hussain | Anne Graue | Victoria Fricke | Ann-Kathrin Ludwig | Stephanie Beyrich | Christiane Eymers | Martina Rehman | Martina Flade | Saskia Schlemmer | Marco Buschmann | Anosha Wahidi
Köpfe im Rechtsmarkt: . In: Legal Tribune Online, 10.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56292 (abgerufen am: 18.01.2025 )
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