Jutta Otto über das (fehlende) Fugen-s im Einkommensteuergesetz, Ohrwürmer und die Akzeptanz des Unperfekten. Reformbedarf in der juristischen Ausbildung sieht sie auch.
Jutta Otto ist Rechtsanwältin und Head of Compliance Investigations, E-Discovery bei der BMW Group. Zuvor war sie unter anderem für die Wirtschaftskanzleien Gibson, Dunn & Crutcher sowie Beiten Burkhardt tätig.
Eine Überschrift für mein Leben: Better done than perfect.
Mein typischer Montag: Die Struktur meines Arbeitsalltags ist nicht so sehr eine Frage des Wochentags, sondern primär davon abhängig, welche Hinweise bei uns eingehen bzw. wo wir in einer internen Untersuchung stehen. Sachverhaltsaufarbeitung und -analyse, Interviews, E-Discoverythemen, Gremienvorbereitung, Abstimmung mit Fachabteilungen und Betriebsrat sowie Behördentermine gehören zu den Evergreens.
Mein Getränk und meine Bar: Jeder Caffè in jeder italienischen Bar. Selbst die hinterletzte Tankstelle an der Autobahn kriegt ja problemlos eine erstklassige Crema hin.
Ein Song, ein Buch, ein Podcast: Ich bin sehr empfänglich für Ohrwürmer, so dass mein Tag oft von mitunter recht penetranten Musikfetzen begleitet wird. Aktuell wippe ich zu “We got to move these refrigerators” durch die Gegend, weil mein Mann die Familie mit “Money for nothing” von den Dire Straits weckt. Bei Literatur bin ich ein Freund der Neuen Sachlichkeit. Und ich lese gerade mit großer Begeisterung “Die Jahre im Zoo” von Durs Grünbein. Mit Podcasts bin ich nie richtig warm geworden.
Warum Jura? Das war gar keine so einfache Entscheidung. Ich hatte damals lauter "Berufene" in meinem Umfeld, auch unter meinen Geschwistern, die schon immer Arzt oder Architektin werden wollten. Ich selbst hatte keine so klare Ausrichtung. Jura ist dann das Ergebnis vieler Abwägungen geworden, das ich zwischendrin durchaus immer mal wieder infrage gestellt habe. Angesichts meiner Freude an meiner beruflichen Tätigkeit bei der BMW Group bin ich inzwischen aber überzeugt, dass es der richtige Weg für mich ist.
Zahl meiner Arbeitsstunden pro Woche: Bedarfsorientiert.
Der Kanzleiwelt habe ich den Rücken gekehrt, weil: ich gerne näher an einem Produkt sein wollte, hinter dem ich stehe, und die Automobilbranche faszinierend finde. Die Zeit als Anwältin in der Kanzlei möchte ich in keiner Weise missen. Durch die Unternehmensbrille habe ich mein fachliches Themengebiet aber noch einmal von einer ganz anderen Seite und mit neuen Facetten kennengelernt. Spannend!
Wäre ich keine Juristin, dann würde ich: womöglich als Agentin sehr geheim durch die Welt jetten und abends in Bars sitzen (dann natürlich nicht die an der hinterletzten Tankstelle). Ich hatte bis ins junge Erwachsenenalter durchaus lebhafte Vorstellungen davon.
Ein Paragraf des Grauens: Alles aus dem Steuerrecht, um das ich im Referendariat leider nicht herum gekommen bin. Ich war schon befremdet, als ich festgestellt habe, dass man dem Einkommensteuergesetz (wie im Übrigen allen anderen Steuergesetzen auch) nicht einmal das Fugen-s gegönnt hat. Bei diesem Gefühl ist es dann auch geblieben.
Handelszölle sind: in Zeiten globaler Lieferketten und Handelswege ein mächtiges politisches Instrument, das uns als BMW Group aktuell besonders betrifft.
Drei Wünsche an die nächste Bundesregierung: Angesichts der aktuellen politischen Großwetterlage erscheint es mir eher angezeigt, der Bundesregierung meinerseits etwas zu wünschen, nämlich Mut, Entschlossenheit und diplomatisches Geschick.
Meine letzte Frage an ChatGPT: Aufgrund der kürzlich erschienenen DGB-Studie, wonach über die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Deutschland langfristig nicht von ihrem eigenen Einkommen leben kann, habe ich ChatGPT nach Zahlen zur Entwicklung der Altersarmut bei Frauen in den vergangenen 20 Jahren gefragt. Ergebnis: Wir haben uns kaum bewegt. Ich finde das ziemlich frustrierend.
Zwei Ideen zur Reform der juristischen Ausbildung: Die Einführung einer unabhängigen Zweitkorrektur (d.h. keine Kenntnis des Ergebnisses der Erstkorrektur) ist wohl überfällig. Auch die Mentoring-Fähigkeiten vieler Einzelausbilder in den Pflichtstationen Zivilgericht und Staatsanwaltschaft/Strafgericht können ausgebaut werden. Ich habe meine Ideen mal mit unseren Referendaren verprobt – die Themen ähneln sich immer noch stark.
Eine Vorlesung, die Jura-Studierende auf keinen Fall schwänzen sollten: Durchaus schon etwas her, aber besonders gut in Erinnerung habe ich Römische Rechtsgeschichte bei Prof. Ulrich Manthe an der Uni Passau und die Strafrechtsübung bei Prof. Ulrich Schroth an der LMU.
Diese/n Juristin/Juristen müssen die LTO-Leser kennenlernen: Hanno Kunkel, den CCO von Siemens. Hanno ist nicht nur ein sehr vielseitiger Jurist, sondern verfügt über ein hervorragendes Gespür für Personen und Situationen.
Mehr Most Wanted? Hier geht es zu den bisherigen Ausgaben: Tom Braegelmann | Incoronata Cruciano | Joachim Ponseck | Marc Roberts | Maximilian Riege | Fatima Hussain | Anne Graue | Victoria Fricke | Ann-Kathrin Ludwig | Stephanie Beyrich | Christiane Eymers | Martina Rehman | Martina Flade | Saskia Schlemmer | Marco Buschmann | Neda Wysocki | Anosha Wahidi | Gregor Gysi | Dirk Wiese | Konstantin von Notz | Sabine Stetter | Katharina Humphrey
Köpfe im Rechtsmarkt: . In: Legal Tribune Online, 14.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56783 (abgerufen am: 16.03.2025 )
Infos zum Zitiervorschlag