Klägeranwälte versuchen, Gerichte in New York für Klagen gegen deutsche Unternehmen nutzbar zu machen. Dort wollen sie für Aktionäre Ansprüche gegen Vorstände und Aufsichtsräte durchsetzen. Jan Friedeborn kennt ein Gegenmittel.
Deutsche Unternehmen sehen sich zunehmend mit Klagen im US-Bundesstaat New York konfrontiert, mit denen Aktionäre im Namen der Gesellschaft Haftungsansprüche gegen Vorstände und Aufsichtsräte der Unternehmen geltend machen. Gerichtsstandsklauseln in Satzungen wehren solche Klagen effektiv ab.
Das deutsche Pendant der Aktionärsklage, mit der ein Aktionär Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Vorstände oder Aufsichtsräte geltend machen kann, fristet derweil seit ihrer Einführung im Jahr 2005 ein Schattendasein. Dies wird den Einstiegshürden für das Klagezulassungsverfahren und den fehlenden finanziellen Anreizen für den klagenden Aktionär zugeschrieben.
Derivative Actions in New York
Die Möglichkeit, in New York zu klagen, ergibt sich aus einer Vorschrift im Gesellschaftsrecht des Bundesstaates, wonach Aktionäre Ansprüche einer Gesellschaft mit Sitz außerhalb von New York wegen der Verletzung von Vorstands- und Aufsichtsratspflichten (sogenannte derivative actions) vor Gerichten in New York geltend machen können, wenn das Unternehmen in New York tätig ist.
Die Vorschrift ist der föderalen Struktur der USA geschuldet und soll vor allem Klagen in New York gegen Unternehmen, die ihren Sitz in einem anderen US-Bundesstaat haben, ermöglichen. Sie gilt allerdings auch für Gesellschaften mit Sitz außerhalb der USA. In solchen Verfahren ist einerseits das jeweilige ausländische Gesellschaftsrecht und andererseits das Prozessrecht des Gerichts in New York anwendbar.
Höchstes New Yorker Gericht erleichtert Aktionärsklagen gegen Unternehmen im Ausland
Das höchste Gericht in New York hat im Jahr 2017 für eine Klage von Aktionären eines auf den Cayman Islands registrierten Unternehmens entschieden, dass prozessuale Hürden auf den Cayman Islands einer Klageerhebung in New York nicht entgegenstehen. In dem Verfahren ging es um eine Benachteiligung der klagenden Minderheitsaktionäre durch die Mehrheitsaktionäre und das durch diese eingesetzte Management.
Auf den Cayman Islands müssen Aktionärsklagen von einem dortigen Gericht freigegeben werden, um missbräuchliche Klagen auszuschließen. Das oberste Gericht in New Yorker entschied, dass dieses Zulassungsverfahren prozessualer Natur ist und daher auf Verfahren in New York keine Anwendung findet. Nach dem Gesetzeswortlaut komme das Zulassungsverfahren nur bei Klagen in den Cayman Islands zur Anwendung. Der Weg für Aktionärsklagen in New York gegen ausländische Unternehmen war damit wesentlich erleichtert.
Das gab Klägeranwälten die Hoffnung, dass ähnliche Zulassungsvoraussetzungen in anderen Ländern von Gerichten in New York ebenfalls nicht angewendet würden. Dass solche Klagen in New York nicht aussichtslos sind, zeigt ein Verfahren gegen ein in den USA börsennotiertes chinesisches Unternehmen, das ebenfalls auf den Cayman Islands registriert war. Im Jahr 2021 schloss das Unternehmen in dem Verfahren in New York einen Vergleich über die Zahlung von 300 Millionen US-Dollar an seine Minderheitsaktionäre. Für die Klägeranwälte, die ungefähr ein Drittel dieser Vergleichssumme für sich beanspruchten, war dies ein lukratives Verfahren.
Klagen in New York gegen europäische Unternehmen
Von solchen finanziellen Anreizen beflügelt, kam es zu einer kleinen Klagewelle in New York gegen das Management und die Aufsichtsorgane einer Reihe großer, börsennotierter Unternehmen in Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz. Die Vorwürfe gründeten auf der Verletzung von Sorgfalts- und Treuepflichten, beispielsweise im Zusammenhang mit der Verhängung von Bußgeldern oder mit Unternehmenskäufen in den USA.
Die Kläger in den Verfahren gegen deutsche Unternehmen stützten sich darauf, dass das deutsche Klagezulassungsverfahren als Teil des Prozessrechts anzusehen und damit von den New Yorker Gerichten nicht zu beachten sei. Die Eingangsinstanzen in New York haben die Klagen gegen europäische Unternehmen allerdings durchweg abgewiesen. Letztes Jahr hat auch die Berufungsinstanz in zwei Verfahren die erstinstanzlichen Urteile bestätigt. Denn nach Ansicht der New Yorker Gerichte gilt für die internen Angelegenheiten der Unternehmen das Recht am Sitz des Unternehmens. Somit müssen klagende Aktionäre auch in einem Verfahren in New York gegen deutsche Unternehmen die Voraussetzungen des deutschen Klagezulassungsverfahrens erfüllen.
Aus den Urteilsbegründungen ist zudem ersichtlich, dass die Richter in New York kein Interesse haben, sich mit Fragen der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung nach deutschem Aktienrecht zu befassen. Diese Rechtsprechung deutet darauf hin, dass die Klagewelle gegen deutsche und europäische Unternehmen zu einem Ende kommen könnte. Eine Entscheidung des höchsten New Yorker Gerichts zu diesen Fällen, das mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2017 die Klagewelle der letzten Jahre erst befördert hat, steht allerdings noch aus.
Gerichtsstandsklauseln als vorbeugende Maßnahme
Ein besonders effektives Mittel zur Verteidigung gegen solche Klagen in New York sind satzungsmäßige Gerichtsstandsklauseln, die für Ansprüche zwischen Aktionären und der Gesellschaft einen zwingenden Gerichtsstand am Sitz des Unternehmens vorsehen.
Die Gerichte in New York haben in Verfahren gegen zwei schweizerische Unternehmen solche Gerichtsstandsklauseln in den Satzungen der beiden Gesellschaften für wirksam erachtet und die Klagen aus diesem Grund abgewiesen. Sie haben sich nicht weiter mit der Frage beschäftigt, ob das anwendbare schweizerische Recht einer Klageerhebung in New York entgegensteht.
Auch deutsche Aktiengesellschaften können solche Gerichtsstandsklauseln in ihre Satzungen aufnehmen. Danach besteht für Streitigkeiten zwischen Aktionären und der Gesellschaft ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz der Gesellschaft und ausländische Gerichte sind für solche Streitigkeiten nicht zuständig.
Neun der 40 DAX-Unternehmen haben in ihren Satzungen Gerichtsstandsklauseln dieser Art. Die Verfahren in New York zeigen, dass deutsche Unternehmen mit Gerichtsstandsklauseln in ihren Satzungen gegen die Vereinnahmung ausländischer Gerichte als Klageforum besser gewappnet sind.
Der Autor Dr. Jan Friedeborn, LL.M. (Columbia), Rechtsanwalt und Attorney-at-Law (New York), ist bei Covington & Burling in Frankfurt am Main tätig.
Deutsche Unternehmen wehren sich gegen neuen Trend: . In: Legal Tribune Online, 08.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54271 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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