Welche Auswirkungen hat KI auf die Arbeit in Rechtsabteilungen? Darüber sprachen Unternehmensjuristen auf dem Legal Tech Day. Von Kanzleien fordern sie mehr Transparenz, Effizienz und strategischen Mehrwert statt teurer Routinearbeit.
Wenn auf einem Panel Unternehmensjuristen führender deutscher und internationaler Konzerne (Coca Cola, Hugo Boss, Haribo, Flix) zusammenkommen, ist die Gefahr von üblichem LinkedIn-Erfolgsgerede statt ehrlichem Klartext hoch. So hoch, dass die Macher des Legal Tech Day 2025 die Aufforderung zur Ehrlichkeit direkt in den Titel der Veranstaltung aufnahmen: "Be honest: Learnings aus der Digitalisierung unserer Rechtsabteilung".
Dies nahmen sich alle Teilnehmer zu Herzen. Das Panel machte deutlich, wie Legal Tech die gesamte Arbeitsphilosophie der Rechtsabteilungen und ihrer externen Berater grundlegend umkrempelt. Es geht um Eliminierung von Routinearbeit und die Neudefinition des juristischen Wertbeitrags von Rechtsabteilungen und Kanzleien.
KI in Rechtsabteilungen angekommen – wenn auch nicht immer gut
Professionelle Rechtsabteilungen erwarten nicht nur den Einsatz von KI-Anwendungen durch die sie betreuenden Kanzleien, sondern wenden diese selbst an und wollen die Use-Cases hierfür ausbauen. Trotz der klaren Marschrichtung bleibt die technische Implementierung von KI im Rechtsmarkt kompliziert. Haribo-Justiziar Sebastian Altmann und Nikolai Vokuhl von Hugo Boss wiesen darauf hin, dass bei KI-Entwicklungen die Rechtsabteilung hinten anstehen müsse, wenn Millionen Einsparungen durch KI-Entwicklungen in anderen Bereichen möglich seien.
Für Lorenz Erik Wittjen von Flix sind Budgets oft weniger das Problem als die Leistungsfähigkeit der Produkte. Am Markt werde viel verkauft, was in der Praxis nicht gut funktioniere, berichtete Wittjen sichtlich frustriert von einer jüngsten Erfahrung. Seine These: Weil ChatGPT so gut funktioniere, werde KI allgemein überbewertet. Gerade bei großen Datenmengen sei die Zuverlässigkeit des Outputs allerdings ein großes Problem.
Sebastian Altmann konterte, die Juristen müssten sich von der Perfektionskultur verabschieden. Es sei schon viel gewonnen, wenn Sprachmodelle dazu führten, dass sich Mitarbeiter eines Unternehmens überhaupt mal zum Beispiel mit Betriebsvereinbarungen beschäftigen würden, die als Gesamtdokument schlicht von so gut wie niemandem gelesen würden. Eine 90 Prozent richtige KI sei insofern ein Fortschritt.
Zwischen internem Widerstand und Begeisterung für KI
Dass die Implementierung von KI nicht bei allen Mitarbeitern auf Begeisterung stößt, berichtete Silke Engel von Coca Cola. Erstaunlicherweise reagiere gerade die junge Generation oft mit Abwehr, wenn die KI ihre Arbeit erledige, etwa wenn ein Sprachmodell innerhalb weniger Sekunden Alternativformulierungen für einen Vertragsentwurf vorschlägt. Die Haltung sei dann nicht selten "this will not replace me". Hier sei es Aufgabe der Führungskraft den Mitarbeitern die Unvermeidbarkeit der Transformation zu vermitteln. Notfalls müsse man dann klarmachen: "Du hast keine Wahl". Auch Altmann stellte fest, dass die Verunsicherung in Teams, dadurch dass ihr Expertenwissen sehr bald durch KI ersetzbar ist, "stimmungsmäßig ein Problem" darstelle. Hier sei es wichtig, dass Führungskräfte KI selbst verstünden und gegenüber ihren Mitarbeitern vermitteln könnten.
So sieht es auch Lorenz Erik Wittjen. Sobald die Führungskraft ausstrahle, mit Enthusiasmus an das KI-Thema ranzugehen, übertrage sich das auch auf Mitarbeiter. Wichtig sei es dabei, dass diese konkret in Implementierungen eingebunden werden – dann habe auch noch eine 55-Jährige Spaß und Freude an entsprechenden Entwicklungen. Wittjen ändert sich die Rolle der Unternehmensjuristen durch KI. Das Rechtswissen sei nicht mehr der Kern, umso bedeutsamer aber das Judiz und das strategische Denken, etwa bei Unternehmenskäufen.
Arbeitsplatzabbau in Rechtsabteilungen?
Doch ein solches Judiz braucht Berufserfahrung, um sich zu entwickeln. Führt nun der Einsatz von KI aber nicht dazu, dass gerade "junior roles" ersetzt werden, fragte Moderator Sven-Alexander von Normann von Bauer Media. KI könne ja gerade deren Tätigkeiten ersetzen, also etwa Vertragsklauseln erstellen, Verträge prüfen und Entwürfe anfertigen.
Die Teilnehmer beschwichtigen. Vokuhl bemühte englische Sprachbilder, um Sorgen vor Stellenabbau zu zerstreuen. Durch KI könne man sich nun mit "rocks" beschäftigen und den "gravel" automatisiert erledigen lassen. Altmann kam sogar zu der Annahme, durch KI könne das Unternehmen schneller und stärker wachsen, was auch zu Stellenzuwachs in der Rechtsabteilung führen werde.
Druck auf Kanzleien wächst
Wenn schon nicht in den Rechtsabteilungen Stellen wegfallen, so aber möglicherweise bei den Kanzleien. Klar wurde auf dem Panel: Der Wandel der Inhouse-Abteilungen zu Legal Operations-Managern mit IT-Kompetenz übt massiven Druck auf die Kanzleien aus. Die Unternehmensjuristen sind nicht mehr bereit, für standardisierbare "Commodity-Arbeit" hohe Stundensätze zu zahlen, wenn sie diese mit geringem Aufwand selbst erledigen können.
Besonders klar machte das Vokuhl anhand eines konkreten Beispiels. Hugo Boss gibt Angestellten die Möglichkeit, Aktien des Unternehmens zu kaufen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen hierzu müssten ab und zu überprüft werden. Für die Überprüfung habe eine Kanzlei 60.000 Euro Kosten veranschlagt. Dies habe ihn fassungslos gemacht und ihn die Kanzlei fragen lassen: "Ihr macht das täglich für viele Unternehmen, da müsst Ihr doch wissen, was sich ändert – was muss da so lange geprüft werden?"
Da die einschlägigen Rechtsvorschriften aus einer vorangegangenen Prüfung der Kanzlei bekannt waren, ließ Vokuhl dann mithilfe von KI checken, inwieweit Veränderungen aufgetreten sind. Vokuhl machte das Motto der Zukunft deutlich: "Entweder machen die Kanzleien das billiger oder wir machen es selbst". Das von Kanzleien bei Kostendiskussionen gerne ins Feld geführte Haftungsrisiko ist für Vokuhl eine Ausrede. "Ich stelle da immer die Gegenfrage: Wie oft wurdet ihr denn wirklich mal erfolgreich verklagt?", so der Unternehmensjurist.
Kanzleien müssen transparenter werden
Silke Engel forderte mehr Transparenz von Kanzleien bei der Abrechnung und Erläuterung des tatsächlichen Aufwands. Man zahle gerne für strategischen Rat, aber bei routinemäßigen Dingen müsse die Kostenstruktur und der Einsatz von KI offengelegt werden. Sie brachte den Wandel des Wertbeitrags externer Rechtsberatung auf den Punkt. Der Mehrwert bestehe nun weniger in rechtlicher, als in strategischer Beratung, die sich durch die Expertise von Großkanzleien aufgrund der Beratung vieler Unternehmen ergebe.
Die Diskussion auf dem Legal Tech Day zeigt: KI verschiebt die Machtverhältnisse zwischen Rechtsabteilungen und Kanzleien. Die Rechtsabteilung ist mitten in der Evolution zum strategischen Business-Generalisten. Der Unternehmensjurist von morgen wird die Sprache der IT und der Legal Operations beherrschen und einfache, aber auch komplexere Fragestellungen mit Hilfe von KI selbst lösen (lassen).
Für Kanzleien bedeutet dies ein sofortiges Umdenken. Wer weiterhin versucht, Routinearbeit als Premium-Leistung zu verkaufen, wird von den Inhouse-Abteilungen umgangen. Die Zukunft der externen Rechtsberatung liegt in der strategischen Expertise, die sich durch KI selbst schlank aufstellt und die Kosten transparent macht. Nur so kann das Vertrauen der preisbewussten Unternehmensjuristen weiter gewonnen und das Mandat gegen die Konkurrenz der eigenen Kunden verteidigt werden.
KI verändert Rechtsabteilungen und erhöht Druck auf Kanzleien: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58368 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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