Einen familienfreundlichen Arbeitgeber wünschen sich nicht nur junge Mütter. Diversity-Beraterin Anna Engers erzählt von den Sorgen junger Väter und davon, wie sich die Kultur in den Kanzleien allmählich wandelt.
LTO: Wissen Väter in Kanzleien eigentlich, dass auch sie Anspruch auf Elternzeit haben?
Anna Engers: Natürlich wissen sie das. Außerdem verweisen die Kanzleimanager gleich auf das Gleichbehandlungsgesetz, wenn man sie nach der Väterfreundlichkeit fragt. Und natürlich hat niemand etwas dagegen, wenn männliche Anwälte Elternzeit nehmen. Doch davon, dass sich zum Beispiel Eltern die Elternzeit gleichberechtigt aufteilen, sind wir in den Kanzleien noch meilenweit entfernt. Mehr als die typischen zwei Monate nehmen Väter kaum.
LTO: Woran liegt das?
Anna Engers: Es ist schlicht noch nicht akzeptiert. Möchte ein Anwalt sechs Monate Elternzeit nehmen, wird er auf kein Verständnis treffen. Die Kanzleien haben sich in den vergangenen fünf Jahren langsam an die zwei Monate herangearbeitet. Immerhin ist das bereits ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass bei Einführung des Elterngeldes zu Beginn des Jahres 2007 niemand im Traum daran gedacht hätte, als Anwalt in Elternzeit zu gehen.
Und ehrlicherweise muss man sagen, dass das Umfeld der Großkanzlei nicht für Familienzeit geschaffen ist. Wer sich dafür entscheidet, dem ist klar, dass er nicht viel Zeit für die Familie freischaufeln wird. In kleineren Einheiten ist das schon realistischer – auch wenn hier nicht notwendigerweise weniger gearbeitet wird. Hier sind die Strukturen häufig weniger starr, was die Einteilung der Arbeitszeit flexibler gestalten lässt.
Führungsqualitäten bestimmen Elternfreundlichkeit
LTO: Was wäre Ihrer Meinung nach ein väterfreundlicher Arbeitgeber?
Anna Engers: Für mich ist es mehr als die bloße Abarbeitung von Diversity-Maßnahmen, wie etwa die Elternzeit. Es geht um die innere Haltung: 'Wie gehe ich mit meinem Team um? Wie begegne ich Menschen?'. Denn darauf basiert mein Handeln, wenn ich Probleme lösen muss. Es geht also um Führungsqualitäten, Kommunikation und Eigenverantwortung.
LTO: Nehmen wir an, ein Anwalt aus einem Team einer Kanzlei fordert Elternzeit ein. Wie ist die typische Reaktion darauf von Seiten des Managements?
Anna Engers: Da Juristen darauf gepolt sind, Probleme zu finden und zu lösen, sehen die allermeisten hier erst mal ein Problem. 'Was tun wir, während er weg ist? Wie organisieren wir die Arbeit?' Diese Herangehensweise, in der das Problem im Fokus steht, ist natürlich schwierig. Besser wäre es, die positiven Seiten zu betrachten. 'Wie kommt er nach dieser Zeit zurück? Welche Fähigkeiten wird er erlernt haben? Wie groß wird seine Motivation sein?' Sieht man nicht das Problem, sondern die Chance, dann ist man als Kanzlei elternfreundlich.
"Väterfreundlichkeit ist mehr als 2 Monate Elternzeit"
LTO: Viele Partner werden nun einwenden, dass die Arbeit doch irgendwie erledigt werden muss in der Abwesenheit.
Anna Engers: Ganz klar muss sie das. Doch Väterfreundlichkeit geht ja über die zwei Monate Elternzeit hinaus. Da kommen dann Maßnahmen wie Home Office, Sabbatical oder flexible Arbeitszeiten ins Spiel. Und auch hier entscheidet die Führungsqualität des verantwortlichen Partners. Denn wenn die Arbeit unter den Anwälten gut organisiert ist und diese eigenverantwortlich entscheiden, sollte es kein Problem darstellen. Immerhin sind Wirtschaftsanwälte prinzipiell sehr pflichtbewusst, klug und ehrgeizig. An der Einstellung zur Arbeit scheitert es also nicht. Sondern daran, wie grundsätzlich mit dem Thema Familie umgegangen wird.
LTO: Welchen Stellenwert hat die Familie heutzutage in den Kanzleien?
Anna Engers: Wir befinden uns glücklicherweise nicht mehr in Zeiten, als die Familie totgeschwiegen wurde. Kinder werden sichtbarer, sie werden mitgebracht und man hört ihre Stimmen in den Fluren. Manche Kanzleien haben sogar Kinderbüros eingerichtet. Früher hatte man natürlich auch eine Familie und präsentierte sie auf dem Sommerfest. Aber das restliche Jahr sah und hörte man nichts von ihr. Heute ist die Familie kein Tabuthema mehr. Das ist der eigentliche, tiefgreifende Wechsel, der gerade stattfindet.
"Es zählt nicht mehr nur die reine Arbeitskraft"
LTO: Können Sie diesen Wandel genauer erklären?
Anna Engers: Bevor dieser Wechsel eingesetzt hat, war es üblich, nur das Geld, den Beruf und die Arbeitsleistung zu sehen. Alles andere hatte in Kanzleien nichts zu suchen. Derartige Sozietäten gibt es sicher heute auch noch. Aber die meisten haben begonnen, den Menschen hinter dem Anwaltsprofil wahrzunehmen.
Es zählt nicht mehr nur die reine Arbeitskraft, sondern der ganze Mensch wird mit eingekauft. Und dieser Mensch hat Bedürfnisse. Zum Beispiel kommt man heute auch mal später ins Büro, weil das Kind krank ist oder geht früher, weil ein Sportturnier ansteht. Und wenn die Familie einen höheren Stellenwert bekommt, machen auch Frauen Karriere.
LTO: Und schon wieder geht es um Frauen!
Anna Engers: Nein, es geht um Personalengpässe. Die Kanzleien haben nicht nur ernsthafte Probleme, den geeigneten Anwaltsnachwuchs zu finden. Sondern sie haben auch hohen finanziellen Aufwand dadurch, dass gute Anwältinnen nach einigen Jahren die Kanzlei wieder verlassen. Die Ausbildung in den ersten Berufsjahren von Anwälten kostet schon mal einen sechsstelligen Betrag. Doch die Anwältinnen bleiben nur dann, wenn sie Familie und Beruf vereinbaren können.
Bezogen auf die Väterfreundlichkeit bedeutet das: Je mehr Väter ihrer Familie einen wichtigen Stellenwert einräumen, desto besser ist es für die Frauen. Wenn die Frauen spüren, dass dieses Thema ernst genommen wird, dann bleiben sie auch.
Junge Väter stehen unter hohem Druck
LTO: Und wie hält man die jungen Väter in der Kanzlei?
Anna Engers: Auf ihnen lastet tatsächlich sehr viel Druck. Im Beruf möchten sie der Erwartung der Kanzlei gerecht werden, insbesondere, wenn sie sich auf dem Partnertrack befinden. In ihrer Beziehung möchten sie der Erwartung ihrer Frau oder Partnerin gerecht werden, die auch Karriere machen möchte. Und als Familienvater möchten sie Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Mit diesem vielfältigen Druck kann man dann umgehen, wenn man sich in einem offenen Umfeld befindet, das diese Bedürfnisse ernst nimmt. Es gibt zum Beispiel das sogenannte 'Parent Coaching', das Kanzleien speziell hierfür anbieten können. Wer ein guter Anwalt und glücklicher Familienvater ist, der bleibt. Davon wiederum profitiert auch die Kanzlei.
LTO: Aber wenn jetzt auch noch die Väter in Teilzeit arbeiten, dann bleibt doch alles liegen!
Anna Engers: Elternfreundlichkeit bedeutet ja nicht nur Teilzeit, sondern eine positive Haltung gegenüber Menschen. Es geht um einen respektvollen Umgang miteinander in einem guten Arbeitsklima. Natürlich geht es auch um flexible Arbeitszeiten, aber vor allem um eine vertrauensvolle und offene Kommunikation.
Kaum menschelt es, wird's schwierig
LTO: Was könnte das Management also für mehr Väterfreundlichkeit tun?
Anna Engers: Die Partner sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn der Managing Partner seine Kinder mitbringt oder ein Partner in Teilzeit arbeitet, dann hat das Strahlkraft. Was man selbstverständlich lebt, braucht man nicht zu propagieren. Außerdem könnte man feste Vorgaben oder Standards formulieren. Denn momentan hängt Familienfreundlichkeit fast ausschließlich vom Gusto des verantwortlichen Partners ab. Und da hat man entweder Glück oder eben Pech.
Wie man die konkrete Arbeit aufteilt, das kann in jedem Team anders aussehen. Als Grundlage dient aber immer ein guter Umgang miteinander. Stimmen die Kommunikation und das Vertrauen, muss man über Familienfreundlichkeit gar nicht sprechen. Wer sich aufeinander verlassen kann, dass die Arbeit erledigt wird, hat kein Problem.
LTO: Warum tun sich Kanzleien immer noch so schwer mit dem Thema?
Anna Engers: Das kann ich mir auch nicht erklären. Allein die Zahlen sprechen dafür: Je weniger Fluktuation und je zufriedener die Mitarbeiter, desto finanziell erfolgreicher wirtschaftet eine Kanzlei. Und Sozietäten bieten zudem ein tolles Arbeitsumfeld. Man arbeitet den ganzen Tag in schicken Büros, mit intelligenten Menschen auf höchstem Niveau und an interessanten Themen. Warum also tun sich die Kanzleien mit dem bisschen "menscheln" so schwer?
Vielleicht gibt es die unterschwellige Befürchtung, dass dann Schwächen zum Vorschein kommen könnten. Aber das ist ja völlig in Ordnung! Denn jeder Mensch hat Bedürfnisse - nicht nur die jungen Anwälte der Generation Y oder Z. Aber sie sind es, die sie klar, deutlich und selbstbewusst formulieren. Das haben die meisten Partner einfach nie gelernt.
Anna Engers (41) ist Volljuristin und berät Kanzleien zu Diversity-Themen. Vor ihrer Beratungstätigkeit arbeitete sie unter anderem für Latham & Watkins und Salans (heute Dentons) im Bereich PR/Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Sie ist zudem als systemischer Business Coach tätig.
Désirée Balthasar, Väterfreundliche Kanzleien: "Familie ist kein Tabuthema mehr" . In: Legal Tribune Online, 26.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19205/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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