Kanzleien und ihr Russland-Dilemma, die ungewöhnliche Rettung eines Krabbenkutters, der Spezi-Streit, Wirecard oder auch die Gründung des BWD: 2022 zeigte viele Facetten. Neun Highlights im (kleinen) K&U-Rückblick.
Das Jahr 2022 war erkennbar bemüht, sich nicht nachsagen zu lassen, dass in den vergangenen zwölf Monaten Langeweile aufgekommen wäre. Für uns als Redaktion gab es viel zu schreiben und für Sie entsprechend viel zu lesen.
Wenn Sie im Verlauf des Jahres jeden Deal, jede Personalie und jede Story im Ressort Kanzleien & Unternehmen verschlungen haben oder an Vergangenheitsbewältigung generell nicht interessiert sind, geht es für Sie hier mit aktuellen Nachrichten weiter.
Sollte Sie aber doch das Gefühl plagen, das ein oder andere wichtige Thema verpasst zu haben, lassen sich entstandene Lücken mit unserem Jahresrückblick füllen. Neun Texte zu Themen und Ereignissen, die den Rechtsmarkt, und damit auch uns, in diesem Jahr besonders beschäftigt haben:
LinkedIn-Post wird für Birte zum Rettungsanker
Mehrere schwache Jahre in Folge bringen deutsche Krabbenfischer in Seenot und zwingen den Betreiber der "SU 24 Birte" in die Insolvenz. Der vorläufige Insolvenzverwalter Arno Doebert nutzt Social Media und wird zum Retter.
"Investor:in gesucht! Bitte teilen!". Diese Überschrift hat das Posting, mit dem Dr. Arno Doebert, Rechtsanwalt und Partner bei Reimer, am 24. Januar im Karrierenetzwerk LinkedIn einen Hilferuf absetzt und dafür sorgt, dass der Husumer Fischer André Eckholdt ein Insolvenzverfahren abwenden und weiter mit seinem Kutter "SU 24 Birte" auf Krabbenfang gehen kann. Eckholdt hatte sich 2018 selbständig gemacht und ein Darlehen aufgenommen, um den Kauf des Schiffes zu finanzieren.
Stagnierende Preise bei steigenden Betriebskosten und rückläufigen Fangmengen haben den Krabbenfischern an der Nordsee in den letzten Jahren zugesetzt. Obwohl sich die Nachfrage auf beständig hohem Niveau bewegt, blieb der Erzeugerpreis für ein Kilo Krabben in den Jahren 2020 und 2021 im Durchschnitt stabil bei rund drei Euro. Insbesondere kleine Familienbetriebe haben keine ausreichenden finanziellen Reserven, um dem wirtschaftlichen Druck dauerhaft standzuhalten.
Auch André Eckholdt musste aufgeben und meldete Anfang Dezember 2021 Insolvenz an. Am 15. Dezember bestellte das Amtsgericht Husum Arno Doebert zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Ohne die Ausgangslage zu beschönigen, nutzt Doebert seine Reichweite auf LinkedIn, um auf das Schicksal der Birte und ihrer Besatzung aufmerksam zu machen. Gesucht wurde ein Business Angel mit einer Affinität zu frischen Nordseekrabben. Mehr als 300.000 Aufrufe, 4.719 Reaktionen in Form von Likes und Herzchen sowie 407 Kommentare später ist ein Investor gefunden und das Wintermärchen perfekt.
Investor stellt knallharte Bedingungen
Doebert berichtet von einer überwältigenden Resonanz, es sei unmöglich gewesen, auf alle Hilfsangebote und Anfragen zu reagieren.
Überzeugt hat letztlich die Berliner Zeitfracht Gruppe, die schon bei den Insolvenzen von Air Berlin und Adler Modemärkte zum Zuge gekommen war.
Die im Jahr 1969 gebaute Birte wird künftig für die Zeitfracht-Tochter Opus Marine auslaufen. André Eckholdt und sein Decksmann erhalten unbefristete Arbeitsverträge.
Wolfram Simon-Schröter, Vorstandssprecher der Zeitfracht-Gruppe, besteht allerdings auf einer Gegenleistung: Ein Pfund frische Krabben pro Monat. Außerdem sollen die Führungskräfte von Zeitfracht auf der Birte anheuern, denn "Arbeit an frischer Luft habe noch niemandem geschadet".
Der Insolvenzantrag wurde inzwischen zurückgezogen. Arno Doebert wird aber wohl noch einige Stunden am Telefon verbringen, um die Details der außergewöhnlichen Rettung zu erzählen.
Wirtschaftskanzleien und das Russland-Dilemma
Die Invasion Russlands in die Ukraine wird für Wirtschaftskanzleien zum Hürdenlauf, die Hindernisse kommen in Gestalt von Sanktionen und öffentlichem Druck. Kann der Spagat zwischen Geschäftssinn und Moral gelingen?
"Wir wissen aktuell nicht, wo uns der Kopf steht. Wie sollen wir in dieser Gemengelage eine klare Position gegenüber den Medien vertreten?", heißt es an einer, "Hoffentlich wird alles bald wieder ruhiger" an anderer Stelle. Es sind Stimmen aus Wirtschaftskanzleien, mit denen LTO in den vergangenen Tagen den Dialog gesucht hat. Dort, wo sonst jeder Buchstabe sitzt und eher zu viele als zu wenige Worte ihren Weg in Richtung Medien suchen, trifft man auf nicht gekannte Zurückhaltung.
Wie positionieren sich Wirtschaftskanzleien im Ukraine-Konflikt? Es ist derzeit sicher nicht die drängendste Frage, dennoch hat sie Berechtigung. Die Suche nach Antworten führt durch ein Dickicht aus PR-Vokabeln, Ungewissheit und Unsicherheit.
Es herrscht aktuell kein Mangel an Pressemitteilungen, Blogeinträgen und Social-Media-Posts mit Solidaritätsbekundungen bei kleinen wie großen Wirtschaftskanzleien. Dagegen herrscht ein Mangel an klaren Worten, insbesondere im Hinblick auf Bestandsmandate mit Russlandbezug, und ein Defizit bei der Definition von Mindeststandards und roten Linien.
Welche Rolle dürfen moralische Erwägungen bei Akteuren einer Branche spielen, die sich der Vertretung von Interessen ihrer Mandantinnen und Mandanten verschrieben hat? Und darf man es Kanzleien verübeln, dass sie sich mit klaren Aussagen so schwer tun? Die Lage ist undurchsichtig. Meldungen über Sanktionen überschlagen sich. Länder wie die Schweiz, die zunächst eine neutrale Haltung eingenommen hatten, ändern den Kurs. Die Spielregeln werden nahezu täglich neu geschrieben.
Von Mandatsverzicht ist dieser Tage viel zu lesen. Ob ein solcher Verzicht auf Sanktionen zurückzuführen ist oder aus freien Stücken erfolgt, erfährt man - mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht - nicht. Welche Kanzlei bei bestehenden Geschäftsbeziehungen nur das Unumgehbare veranlasst und wo die Maßnahmen über das Notwendige hinausgehen, bleibt Gegenstand von Spekulationen.
Nord Stream 2: Rette sich, wer kann
Beispiel Nord Stream 2: Das Projekt, betrieben von der gleichnamigen Gesellschaft mit Sitz im schweizerischen Zug, wird von Wintershall, Shell, Uniper, Engie und OMV mitfinanziert. Mehr als 600 Zulieferer waren in den vergangenen Jahren eingebunden. Die Erdgas-Pipeline galt, obwohl von Beginn an umstritten, lange als Vorzeigeprojekt, mit dem sich auch die mandatierten Wirtschaftskanzleien gerne schmückten.
Vom einstigen Glanz ist nicht viel geblieben, Nord Stream 2 ist zum mandatum non grata geworden. Deutschland hat den Zertifizierungsprozess gestoppt, der Voraussetzung für eine Inbetriebnahme der Pipeline ist. Die USA verhängten Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft und deren Führungsebene.
Wer die Internetpräsenz der zum russischen Gazprom-Konzern gehörenden Betreiberin ansteuerte, fand bis vor kurzem ein Statement, in dem sich das Unternehmen von Medienberichten über einen bereits eingereichten Insolvenzantrag distanziert. Bestätigen könne man aber, dass die Website aufgrund von "ernsthaften und anhaltenden Attacken" von außen abgeschaltet wurde. Auch Mobiltelefone und Festnetzanschlüsse seien - "bedauerlicherweise" - aktuell nicht erreichbar. Inzwischen heißt es nur noch "404 Not Found".
Die Frage nach ethisch-moralischen Erwägungen als Ursache für die Beendigung von Mandaten rund um das Pipeline-Projekt erübrigt sich. Das gilt auch für die Beratung anderer russischer Personen und Unternehmen, die mit Sanktionen seitens der Europäischen Union, Großbritannien oder den USA bedacht wurden. Bei diesen Mandaten gibt es für die Kanzleien keinen Entscheidungsspielraum.
Freiwilliger Mandatsverzicht? Heißes Eisen!
Wie aber umgehen mit über Nacht toxisch gewordenen Mandaten, bei denen die Fortsetzung im Ermessen der Kanzleien liegt? Kann und will man sich überhaupt positionieren und damit auf einträgliches Geschäft verzichten? Oder gibt man sich aus taktischen Erwägungen lieber apolitisch?
Was den freiwilligen Verzicht auf Bestandsmandate anbelangt, sollte die Erwartungshaltung von Außenstehenden nicht zu hoch angesiedelt werden. Hinter vorgehaltener Hand geht es diesbezüglich mitunter erfrischend offen zu: "Geben wir ein Mandat freiwillig aus der Hand, freuen sich die Wettbewerber. Wirkung? Fehlanzeige!", bekommt man zu hören.
Deutlich vernehmbar sind auch Stimmen, die an dieser Stelle Schlagworte wie Berufsehre und Vertragstreue in die Diskussion einbringen. Rechtsanwalt Dr. Viktor Winkler, der nach eigenen Angaben eine Reihe von russischen Adressen und deutsche Mandanten mit erheblichem Russlandgeschäft vertritt, spricht gegenüber LTO in diesem Zusammenhang von einem "berufsethischen Skandal". Für ein "kollektives Von-Bord-werfen" von Mandaten mit Russland-Bezug bestehe keinerlei Anlass, sagt Winkler. Er sieht einen Empörungswettlauf, aus dem immer die Falschen als Sieger hervorgingen. Rechtsanwälte sollten sich daran seiner Meinung nach nicht beteiligen - "nicht trotz der Ethik, sondern wegen ihr."
Tanz auf der PR-Klinge
Sorgen um negative Auswirkungen von offiziellen Statements im Hinblick auf Mitarbeitende in den Büros in der Ukraine und Russland treiben Wirtschaftskanzleien ebenfalls um. Die Abwertung des Rubel, der Ausschluss von sieben russischen Banken aus dem Swift-Netzwerk und Eingriffe Russlands in den Devisen-Kapitalverkehr - all das bringt Herausforderungen mit schwer abzuschätzenden Folgen.
Wozu interne Abwägungsprozesse und diffuse Rahmenbedingungen führen, lässt sich nachlesen. Ein Großteil der zur Veröffentlichung freigegebenen Statements bleibt hinsichtlich möglicher Konsequenzen im bestehenden Mandatsportfolio vage, einige Anfragen von LTO wurden gar nicht erst beantwortet.
"Wir überprüfen gegenwärtig jede unserer laufenden Vertretungen russischer und auch weißrussischer Mandanten und unternehmen Schritte, um bestimmte Mandate in Übereinstimmung mit allen maßgeblichen berufsrechtlichen Pflichten zu beenden. Unser Moskauer Büro ist weiterhin geöffnet. Wir halten alle anwendbaren Sanktionen in vollem Umfang ein und beobachten die sich anhaltend entwickelnde Situation genau", ist etwa von White & Case zu erfahren.
Baker McKenzie verweist auf ein Statement, in dem die Kanzlei erklärt, dass man dabei sei, alle Tätigkeiten mit Russlandbezug auf den Prüfstand zu stellen. In einigen Fällen werde es zu einer Beendigung von Geschäftsbeziehungen kommen.
Freshfields betont die Vertraulichkeitspflicht im Hinblick auf Mandate, Mandantinnen und Mandanten, bleibt eigenen Angaben zufolge aber ebenfalls nicht untätig: "In Bezug auf laufende Mandate und neue Mandatsanfragen hat die Kanzlei umgehend und verantwortungsbewusst gehandelt, um im Einklang mit unseren Werten und ungeachtet der geschäftlichen Auswirkungen unseren gesetzlichen und berufsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen." Aus diesem Grund seien laufende Mandate gekündigt oder ausgesetzt und die Annahme neuer Mandate abgelehnt worden.
Von CMS Deutschland heißt es: "Wir beraten derzeit intensiv, in enger Abstimmung mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, Großbritannien und Frankreich, die Thematik und das weitere Vorgehen und stellen unsere Russlandaktivitäten umfassend auf den kritischen Prüfstand. Das zentrale internationale CMS-Führungsgremium stimmt das Vorgehen mit den nationalen CMS-Firmen ab, um eine einheitliche Position zu dem Russlandgeschäft zu haben."
Alles eine Frage der Perspektive?
Mit Geschäftssinn und Aufgeschlossenheit begegnet man der Ausgangslage bei Hengeler Mueller: "Unternehmen, nicht nur solche mir direktem Russlandgeschäft, stehen mit den Sanktionen vor massiven Herausforderungen. Daraus ergibt sich auch erheblicher Beratungsbedarf – von der Prüfung von Geschäftsaktivitäten, Exporten und Finanzierungen, Vertragsgestaltungen und Durchsetzung vertraglicher Ansprüche, Strukturierung von Transaktionen oder der Navigation durch widersprüchliche Sanktionen verschiedener Staaten bis hin zu potentiellen straf- und zivilrechtlichen Folgen von Sanktionsverstößen."
Vergleichsweise deutliche Worte findet man bei Allen & Overy: "Allen & Overy unterstützt die Maßnahmen, die Regierungen weltweit als Reaktion auf diese sinnlose Invasion ergriffen haben, und verurteilt Russlands Vorgehen." Weiter heißt es von der Kanzlei: "Wir überprüfen unser Russland-bezogenes Portfolio und haben beschlossen, neue Mandate abzulehnen und sämtliche Tätigkeiten im Zusammenhang mit Russland einzustellen, die mit unseren Werten unvereinbar sind."
Noch einen Schritt weiter geht man bei Tigges. Die Kanzlei unterhält neben Düsseldorf und Berlin auch Niederlassungen in Warschau und Kattowitz. Tigges hat nach eigenen Angaben beim Generalbundesanwalt Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch und die Charta der Vereinten Nationen gegen den russischen Präsidenten Vladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow erstattet. Die juristische Aussichtslosigkeit der Mission räumt die Kanzlei ein, ihr Beipackzettel hat dennoch Beachtung verdient: "Als Juristen glauben wir fest daran, dass unsere Welt nur lebenswert bleibt, wenn wir auf Recht und auf Vereinbarungen vertrauen können und diese auch mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen durchzusetzen."
Auf externe Faktoren wie Sanktionen haben die Kanzleien keinen Einfluss. Die Spielregeln ihrer Kommunikation nach außen bestimmen sie aber selbst. Die Adressatinnen und Adressaten der Kommunikation aus Kanzleien wissen um die bestehenden Herausforderungen und die Interessenskonflikte, die intern auszufechten sind. Dazu gehört auch Verständnis dafür, dass es "die Kanzlei" mit einer einhelligen Meinung nicht gibt. In den Niederlassungen sitzen mal einige wenige, mal mehrere Tausend Mitarbeitende mit individuellen Ansichten und Meinungen.
Bemerkenswert ist in diesem Kontext die Herangehensweise von Norton Rose, wo den Mitarbeitenden in einem internen Memo, das auf Twitter und Linkedin die Runde machte, aufgetragen wurde, öffentliche Äußerungen zu Sanktionsmaßnahmen gegen Russland und russischen Unternehmen zu unterlassen. Auch wenn sich die Kanzlei mit einer anschließenden Klarstellung um Schadensbegrenzung bemüht hat: Gelassenheit im Hinblick auf freie Meinungsäußerungen wäre - gerade im Kontext Russland - ein Signal, das man erwarten darf.
Zwar gab es bereits in den frühen Tagen der Invasion auch aus dem Umfeld der großen Namen in der Branche vereinzelt kritische Anmerkungen zu lesen. Reaktionen auf großer Bühne, wie zuletzt von Linklaters, wo man ankündigte, nicht mehr mit Personen oder Organisationen zusammenzuarbeiten, die unter direkter oder indirekter Kontrolle des russischen Regimes stehen, sind derzeit noch Ausnahmeerscheinungen.
Zögern sorgt für mehr Fragezeichen
Pauschalierende Aussagen und vage Ankündigungen haben zur Folge, dass Fragen aufkommen, wo Antworten gesucht werden. Mediale Ankündigungen wie etwa bei Gleiss Lutz oder von Rödl & Partner, keine neuen Geschäftsbeziehungen mit russischen Mandantinnen und Mandaten mehr einzugehen, verfehlen den Kern der Problematik, nämlich die Frage, nach welchen Maßstäben gegenwärtig und in Zukunft mit aktuellen Mandatsbeziehungen zu staatsnahen russischen Unternehmen und Einzelpersonen verfahren wird.
Naheliegend erscheint eine Analogie zu den Bekenntnissen in Sachen Nachhaltigkeit, die mehr und mehr Kanzleien inzwischen nicht nur für die externe Beratung, sondern auch für sich selbst abgeben. Konkrete und nachprüfbare Aussagen dazu, welche Kriterien und ethischen Mindeststandards aktuell und zukünftig zur Beurteilung bestehender und neu einzugehender Mandate herangezogen werden, und eine transparente Darlegung, wie zugehörige Review-Prozesse ablaufen, wären begrüßenswert.
Wo eine rote Linie gezogen wird, ist Sache der Kanzleien. Eine Information darüber, wo sie gezogen wurde, ist für Außenstehende ebenso wie für angehende Mandantinnen und Mandanten ein wertvoller Beitrag zur Meinungsbildung. Und auch unter dem heiß umkämpften juristischen Nachwuchs wird es Anwältinnen und Anwälte geben, die interessiert beobachten, wie sich potenzielle Arbeitgeber positionieren.
Mehr Einfluss für Wirtschaftskanzleien?
Seit Ende März steht mit dem BWD ein neues Angebot zur Interessenvertretung für Wirtschaftskanzleien parat. Anfang April startete der DAV ein Forum, das sich der gleichen Zielgruppe zuwendet. Chance oder Risiko für die Branche?
Die Zeiten mangelnder Visibilität und fehlender Möglichkeiten, Einfluss auf wichtige Entscheidungen in Politik und Justiz zu nehmen, dürften der Vergangenheit angehören: Wirtschaftskanzleien haben seit Kurzem mehr Auswahl bei der Überlegung, wem sie die Vertretung ihrer Interessen anvertrauen sollen.
Seitens der Kanzleien wünscht man sich mehr Schlagkraft in der Außendarstellung und mehr Gehör an den Stellen, wo relevante Entscheidungen in Politik und Justiz diskutiert und getroffen werden. Ob besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA), Massenverfahren oder auch im Hinblick auf die digitale Transformation und Legal Tech: Bei zentralen Weichenstellungen will man künftig von Beginn an mit am Tisch sitzen und den eigenen Blickwinkel in die Gestaltungsprozesse einfließen lassen.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) nahm Kritik und Wünsche bezüglich einer stärkeren Berücksichtigung der Belange von Wirtschaftskanzleien zum Anlass, um ein Forum zu etablieren, das dem offenen Austausch und einer zielgerichteteren Zusammenarbeit dienen soll. Parallel dazu tritt der neu gegründete Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) mit dem Versprechen an, die Interessenvertretung der Branche zeitgemäßer zu gestalten und die laufende Transformation des Rechtsmarkts voranzutreiben.
Zum Zeitpunkt der Gründung am 29. März 2022 gehörten dem BWD 31 Kanzleien an, die allesamt am deutschen Rechtsmarkt vertreten sind. Kombiniert erwirtschaften die Gründungsmitglieder einen Jahresumsatz von mehr als zwei Milliarden Euro, sie beschäftigen rund 17.000 Mitarbeitende. Wie LTO in Erfahrung bringen konnte, haben sich im Nachgang mit Friedrich Graf von Westphalen & Partner sowie Haver & Mailänder zwei weitere Kanzleien für eine Mitgliedschaft im BWD entschieden.
Was kann und will der BWD?
Das Mitglieder-Spektrum des BWD umfasst Großkanzleien wie CMS, Heuking Kühn Lüer Wojtek oder Luther, aber auch kleinere Einheiten wie die Münchener Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, für die aktuell acht Anwältinnen und Anwälte beratend tätig sind. Heuking hatte das Projekt BWD bereits in einem frühen Stadium begleitet. Dort erhofft man sich, dass der Austausch unter den Mitgliedskanzleien zu einer weiteren Verbesserung der Qualität der Leistungen und des Angebots wirtschaftsberatender Kanzleien für die Mandanten führt. "Durch die Mitgliedschaft möchten wir dazu beitragen, die Wahrnehmung und das Image von Wirtschaftskanzleien weiter zu stärken", erläutert Managing Partner Dr. Philip Kempermann.
Der Verband will Sprachrohr und Bindeglied seiner Mitglieder im Zusammenspiel mit Vertretern aus Politik, Justiz und Wirtschaft sein. Gleichzeitig sollen Austausch und Beratung zu Aspekten wie Kanzleistrategien, Management und Organisation, Marketing aber auch Diversity im BWD eine Heimat finden. Relevante aktuelle Themen wie Geldwäsche, New Work oder Cyber Security werden in Task Forces aufgegriffen und verwertet. Priorität genießen derzeit jene Aspekte, die sich aus der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung ergeben.
Der BWD setzt auf Schwarmintelligenz. Unterstützung, Meinungen und Expertise von außen dockt man in Gestalt von Boards an. Aktuell gibt es ein Advisory Board, dem Juristinnen und Juristen aus Unternehmen angehören, sowie ein Scientific Boards, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern von Hochschulen zusammensetzt und einen akademischen Blickwinkel auf die Branche abbildet.
BWD buhlt um weitere Mitglieder
Die beiden Verbandsinitiatoren Stefan Rizor und Prof. Dr. Thomas Wegerich sind zuversichtlich, dass die Zahl der Mitglieder in den kommenden Wochen steigen wird. Mit Blick auf die Zielgruppe zeigt sich der BWD offen, es sollen alle Varianten von Kanzlei-Geschäftsmodellen angesprochen werden. Der BWD spielt dabei auch den Trumpf der Kanzleimitgliedschaft aus, die es beim DAV so nicht gibt.
Bei der Zusammensetzung des Vorstands hat man sich dafür entschieden, einen Platz für Un- und Spätentschlossene freizuhalten. Die Satzung sieht neun Mitglieder vor.
Aktuell ist das Gremium mit sechs Vertreterinnen und Vertretern der Gründungsmitglieder plus Vorstandssprecher Stefan Rizor und Thomas Wegerich, der als stellvertretender Vorstandssprecher agiert, besetzt.
Insbesondere die Vertreter des Magic Circle und weitere Großkanzleien konnte der BWD bis dato noch nicht von den Vorteilen einer Mitgliedschaft überzeugen. Woran das liegt erklärt Stefan Rizor gegenüber LTO damit, dass der BWD ein neues Konzept entwickelt habe und bei einigen Kanzleien der Wunsch vorhanden sei, zunächst abzuwarten, ob dieses Konzept aufgehe.
DAV will Abnabelung verhindern
Es bedarf keines überdurchschnittlichen Interpretationsvermögens, um die Verstimmung aus den Einschätzungen und Ankündigungen herauszulesen, die der DAV gegenüber LTO getätigt hatte. Der Gründung des BWD setzt man das schon länger geplante 'Forum für Wirtschaftskanzleien' entgegen und will so eine vollständige Abnabelung verhindern.
Aus der Auftaktveranstaltung am 7. April nahm der DAV Zuversicht mit: "Der heutige Auftakt des DAV-Forums für Wirtschaftskanzleien zeigt Aufgeschlossenheit aller Beteiligten und Bereitschaft zum konstruktiven Zusammenwirken trotz vielfältiger Interessenlagen", heißt es. Man sei optimistisch hinsichtlich einer für alle fruchtbaren langfristigen Zusammenarbeit. Neben der gemeinsamen Projektarbeit sollen künftig bei Bedarf auch Themen ad hoc aufgegriffen werden. Aus Teilnehmerkreisen ist zu hören, dass die erste Zusammenkunft noch keine weitreichenden Neuigkeiten brachte. Ein zweites Treffen ist für den 3. Mai angekündigt.
Beim BWD gibt man sich zur Frage der Konkurrenzsituation höchst entspannt. Das eigene Angebot sei komplementär zum DAV zu sehen. BWD und DAV hätten zu einem regelmäßigen Dialog gefunden, heißt es von Stefan Rizor. Man will miteinander statt gegeneinander arbeiten und Möglichkeiten zur Kooperation ausloten.
Ist mehr in diesem Fall also mehr oder droht doch eine Spaltung in der Branche? Die ersten Eindrücke lassen erwarten, dass die Beteiligten, insbesondere die Kanzleien, durchaus von der veränderten Ausgangslage profitieren könnten. Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Annahme, dass sich eine stärkere Wahrnehmung eher erreichen lässt, wenn man mehrgleisig fährt, ist plausibel.
Lob und Tadel für geplantes Lieferkettengesetz
Die EU-Kommission hat einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz in der Europäischen Union präsentiert und sieht dabei strengere Regelungen als das deutsche Pendant vor. Die Reaktionen fallen erwartungsgemäß gemischt aus.
In Deutschland ist es am 11. Juni 2021 vom Bundestag beschlossen worden und soll nach zwischenzeitlich erfolgter Zustimmung durch den Bundesrat am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die EU-Kommission zieht nun nach. Die Rede ist vom Lieferkettengesetz, das die Einhaltung von Mindeststandards im Hinblick auf Menschenrechte und Umweltschutz bei Produktion, Distribution und Verkauf gewährleisten soll.
Die Grundidee klingt verlockend: Im Welthandel soll es künftig gerechter zugehen. Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Dumpingpreise sollen eingedämmt werden. Unternehmen tragen in Zukunft verstärkt Verantwortung für Arbeitsbedingungen bei Zulieferern sowie für Produktionsbedingungen an ausländischen Standorten.
Seit Mittwoch liegt ein Gesetzentwurf der EU-Kommission vor, über den der Rat und das Parlament der Europäischen Union abzustimmen haben. In den kommenden Wochen wird beraten, verhandelt und gefeilscht.
Unternehmen fürchten einen zusätzlichen Bürokratieaufwand sowie steigende Kosten und beklagen fehlende Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten. Interessensvertreter machen ihren Einfluss geltend, um im Sinne ihrer Auftraggeber noch die ein oder andere Entschärfung zu erreichen. Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen geht die Gesetzesinitiative hingegen nicht weit genug.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Der Kommissionsentwurf adressiert Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem weltweiten Jahresumsatz jenseits von 150 Millionen Euro. Ausnahmen gibt es für einzelne Branchen, die als besonders vulnerabel im Hinblick auf umweltrechtliche Verstöße und die Missachtung menschenrechtlicher Standards identifiziert wurden.
Für Unternehmen aus der Textilindustrie sollen engere Kriterien gelten, ebenso für den Agrarsektor und den Bergbau. Hier verortet die Kommission die Grenze zur Anwendbarkeit des Lieferkettengesetzes bereits bei 250 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Bei Unternehmen aus Drittstaaten wird nur auf den Umsatz abgestellt.
Der Entwurf der Kommission zieht die Kriterien damit deutlich enger als das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen mit Wirkung zum 1. Januar 2023 ab 3.000 Mitarbeitenden zu einer stärkeren Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten verpflichtet. Ab 2024 kommt das Gesetz ab einer Zahl von 1.000 Beschäftigten zur Anwendung. Verstöße können neben Bußgeldern auch den Ausschluss von Ausschreibungen öffentlicher Einrichtungen nach sich ziehen.
Die Reaktionen fallen gemischt aus
Wenig überraschend wird der Gesetzesvorschlag der Kommission sowohl von Applaus als auch Kritik begleitet. Je nach Interessenlage fallen die Vorschläge der Kommission wahlweise zu mild oder zu hart aus.
Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sieht eine historische Chance vertan und kritisiert in einer Mitteilung des Vereins, dass die Kommission hinter ihren Möglichkeiten geblieben ist: "Der Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz markiert zwar einen wichtigen Schritt hin zu mehr Unternehmensverantwortung, er bleibt aber enttäuschend mit Blick auf den Schutz des Klimas. Es wird keine, an klare Konsequenzen geknüpften Klimasorgfaltspflichten geben. Hier hat die EU-Kommission ganz klar dem Druck von Wirtschaftslobbyisten nachgegeben".
Helena Peltonen-Gassmann, stellvertretende Vorsitzende von Transparency Deutschland, sieht ebenfalls Licht und Schatten "Wir begrüßen, dass die EU-Kommission mit ihrem Entwurf über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgeht und die Anwendungsbreite ausdehnt. Aber: An einigen Punkten springt die EU-Kommission zu kurz und bleibt hinter den Erwartungen zurück. Ein entscheidendes Manko ist das Fehlen von Korruptionsbekämpfung. Denn Korruption unterminiert die Bemühungen um Menschenrechte sowie Klima- und Umweltschutz und muss daher als Querschnittsthema verstanden werden", so Peltonen-Gassmann in einer Stellungnahme.
Das Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz", in dem unter anderem Gewerkschaften und Umweltverbände vertreten sind, begrüßt den Entwurf und spricht von einem Grundstein für weniger Ausbeutung und Umweltzerstörung. "Für den großen Wurf müsste die EU aber die heißen Eisen konsequenter anfassen: Sorgfaltspflichten nicht nur für große Unternehmen", heißt es in einem Pressestatement.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt indes in einer Mitteilung vor der zu befürchtenden Überlastung deutscher Unternehmen. "Es drohen enormer Aufwand und hohe Kosten - für vergleichsweise wenig Wirkung", so DIHK-Präsident Peter Adrian.
Nestlé steigt bei Ankerkraut ein
Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé wird Mehrheitseigner bei dem Gewürzhersteller Ankerkraut. Das Management bleibt im Unternehmen, die Gründer halten weiterhin eine Minderheitsbeteiligung.
Die Erfolgsgeschichte von Ankerkraut begann im Jahr 2016 mit einem Auftritt in der TV-Sendung "Höhle der Löwen". Die beiden Gründer Anne und Stefan Lemcke konnten Investor Frank Thelen von ihrer Geschäftsidee überzeugen, Thehlen sicherte sich 20 Prozent der Anteile für 300.000 Euro.
Das 2013 gegründete Unternehmen entwickelte sich in der Folge zu einem deutschen Vorzeige-Startup mit rasantem Umsatzwachstum, einer kräftigen Erweiterung des Sortiments und der Expansion nach Österreich und in die Schweiz.
Nestlé steigt ein, EMZ steigt aus
Eindruck hinterließ das Gründerpaar offenbar auch bei dem Management von Nestlé. Die Schweizer haben sich eine Mehrheitsbeteiligung an Ankerkraut gesichert. Der Konzern übernimmt Anteile von bisherigen Investoren und den Gründern, die zukünftig eine Minderheitsbeteiligung halten werden.
Von Nestlé heißt es in einer Mitteilung, man sei überzeugt, dass beide Beteiligten viel voneinander lernen könnten: "Etwa, wie Marken aufgebaut werden, Trends aufgegriffen und Innovationen entstehen, oder wie ein Portfolio erfolgreich wachsen kann." Nachdem zum Ende des vergangenen Jahres der Einstieg von Kraft Heinz bei Just Spices verkündet wurde, widmet sich der nächste große Nahrungsmittelkonzern der Welt der Gewürze.
Für den Investor EMZ Partners, der 2020 in Ankerkraut investiert hatte, ist der Anteilsverkauf mit einem lukrativen Exit verbunden. Es ist zudem der erste seiner Art für die Deutschlandsparte der europaweit tätigen Beteiligungsgesellschaft. Auf das eingesetzte Kapital wurde nach Angaben von EMZ ein Multiple of Money deutlich jenseits von 2,0 erwirtschaftet.
Ankerkraut erntet Kritik
Man wolle Wachstum und Professionalisierung von Ankerkraut weiter vorantreiben, teilen die Gründer zu ihrer Motivation für den Deal mit. Das geht nach ihrer Einschätzung offenbar am besten mit einem internationalen Schwergewicht an der Seite. Für die Verkündung der Nachricht nutzte Ankerkraut unter anderem Twitter, wo es nicht lange dauerte, bis ein veritabler Shitstorm aufzog.
Die Street Credibility in der Gewürzszene scheint verloren: Zahlreiche Fans des Unternehmens und auch Influencer, die in der Vergangenheit mit dem Unternehmen kooperiert hatten, stören sich am Käufer und kündigten Ankerkraut umgehend die Freundschaft.
Zu den finanziellen Details wurde Stillschweigen vereinbart. Der Vollzug der Transaktion steht unter dem üblichen Vorbehalt der kartellrechtlichen Freigabe.
Kanzleien & Köpfe
Latham & Watkins hat die bisherigen Gesellschafter der Ankerkraut Holding, darunter Stefan Lemcke, das Senior Management-Team, Freigeist Capital, Knälmann Ventures und das europäische Private-Equity-Unternehmen EMZ Partners im Rahmen der Transaktion beraten.
Erneut war dabei ein Team um den Münchener Partner Burc Hesse tätig, das EMZ bereits im Juli 2020 beim Erwerb einer Beteiligung an Ankerkraut beraten hatte. Latham & Watkins hat das deutsche Team von EMZ in den letzten zwei Jahren auch bei weiteren Investitionen unterstützt, zuletzt bei der Mehrheitsbeteiligung an Hermann Pipersberg.
EMZ Partners ließ sich darüber hinaus nach eigenen Angaben von Houlihan Lokey, Deloitte und der Munich Strategy Group beraten.
Auf Seiten von Nestlé war White & Case im Mandat und hat zum Erwerb der Mehrheitsbeteiligung an Ankerkraut und dem Abschluss einer entsprechenden Gesellschaftervereinbarung beraten.
Es agierte ein Team, das Nestlé regelmäßig berät, unter Federführung der Frankfurter Partnerin Ingrid Wijnmalen.
Lobbyregister mit holprigem Start
Zum Jahresanfang 2022 fiel der Startschuss für das Lobbyregister des Deutschen Bundestages. Interessensvertreter haben zwei Monate Zeit, sich anzumelden. Die Adressierten zeigen vornehme Zurückhaltung.
Im Vorfeld politischer Entscheidungen bis hin zur Gesetzgebung versuchen Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter im Sinne ihrer Auftraggebenden Einfluss auf die politischen Akteurinnen und Akteure zu nehmen und damit Unliebsames zu verhindern oder Liebsames zu fördern. Wer dabei warum an welchen Strippen zieht, bleibt oft im Dunklen. Die Einführung des Lobbyregisters des Deutschen Bundestages ist ein Versuch, Ursprung, Art und Ausmaß der Einflussnahme erkennbarer zu machen.
Grundlage des Lobbyregisters ist das zum 1. Januar 2022 in Kraft getretene Lobbyregistergesetz (LobbyRG). Es definiert die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Interessensvertretung auf politischer Ebene und rückt dabei Transparenz, Ehrlichkeit und Integrität in den Fokus.
Die zugehörige digitale Plattform bietet diverse Such- und Filterfunktionen. So lässt sich beispielsweise mit wenigen Klicks herausfinden, wer sich unter den Registrierten die politische Lobbyarbeit am meisten kosten lässt. Aktueller Spitzenreiter ist der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der seine finanziellen Aufwendungen für die Interessensvertretung im Jahr 2020 mit 7,88 bis 7,89 Millionen Euro beziffert.
Anmeldungen bisher im dreistelligen Bereich
In das Register müssen sich Personen, Unternehmen, Verbände und Organisationen eintragen, sofern sie Kontakt zu Mitgliederinnen und Mitgliedern, Organen, Fraktionen oder Gruppen des Bundestages oder zur Bundesregierung aufnehmen oder eine solche Kontaktaufnahme in Auftrag geben, um unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf deren Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu nehmen.
Die Eintragung muss unverzüglich erfolgen (§ 2 Abs. 2 LobbyRG). Gemäß der Übergangsvorschrift aus § 8 LobbyRG gelten Registrierungen als unverzüglich, wenn sie binnen zwei Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgen.
Mit Erscheinen dieses Artikels sind laut der Statistik des Deutschen Bundestages gerade einmal 239 Registrierungen erfolgt. Es wurden 943 Personen für die Interessensvertretung angemeldet. 189 und damit der Großteil der Registrierungen entfällt auf juristische Personen. 41,4 Prozent der gesamten Anmeldungen entfallen auf den Interessensbereich Wirtschaft, es folgen Umwelt (34,3 Prozent) und Gesundheit (32,2 Prozent).
Die anfängliche Zurückhaltung mag auch darauf zurückzuführen sein, dass der Anmeldeprozess schon auf den ersten Blick kein Vergnügen verspricht. Registrierungswilligen wird ein Handbuch mit auf den Weg gegeben - mit 189 Seiten. Ergänzend dazu wurde eine Hotline eingerichtet.
Registrierung ist mit Verhaltenskodex verbunden
Wer sich einträgt, soll Auskunft darüber geben, in wessen Auftrag die Interessensvertretung wahrgenommen wird und welche finanzielle sowie personelle Größenordnung dahintersteckt. Die Angabe besonders sensibler Informationen kann verweigert werden. Dies zieht nach sich, dass der oder die Eintragende noch einmal separat auf einer (frei einsehbaren) Liste auftaucht, die man durchaus als elektronischen öffentlichen Pranger interpretieren kann.
Eintragungen in das Lobbyregister gehen mit der Verpflichtung zur Einhaltung eines Verhaltenskodex einher. Bei Verstößen ist ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50.000 Euro vorgesehen, es droht darüber hinaus die Veröffentlichung des Verstoßes.
Auch für Anwältinnen und Anwälte hat das Lobbyregister, insbesondere hinsichtlich des Anwaltsgeheimnisses, Relevanz. Sie können sich nur mit Blick auf die Erbringung einer Rechtsdienstleistung auf die Ausnahmetatbestände berufen, die von einer Eintragungspflicht befreien. Eine Interessensvertretung, die nicht unter die Definition der Rechtsdienstleistung fällt, ist registrierungspflichtig.
Paulaner gewinnt den Spezi-Streit
Zwei Brauereien streiten um das Recht zur Nutzung einer Bezeichnung für ein Mischgetränk, das aus Limonade und Cola besteht. Das war die Ausgangslage eines Verfahrens, mit dem sich die 33. Zivilkammer des Landgerichts (LG) München I unter dem Vorsitz von Richterin Michaela Holzner zu befassen hatte. Der Streitwert liegt bei rund zehn Millionen Euro.
Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung ist eine Vereinbarung zwischen den Unternehmen Paulaner und Riegele, die nach Ansicht des Gerichts als Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarung und nicht als Lizenzvertrag auszulegen ist (Urt. v. 11.10.2022; Az. 33 O 10784/21). Die mündliche Verhandlung hatte am 28. Juni 2022 stattgefunden, die Verkündung war ursprünglich bereits für den 30. August vorgesehen.
Mit dem noch nicht rechtskräftigen Urteil gab das LG einer Feststellungsklage von Paulaner statt, die sich gegen eine seitens Riegele erklärte Kündigung der 1974 getroffenen Vereinbarung richtete. Riegele hatte einhergehend mit der Kündigung den Abschluss einer neuen Lizenzvereinbarung und damit verbundene regelmäßige Lizenzzahlungen angestrebt.
Dr. Constantin Rehaag, Partner in der Frankfurter Niederlassung der Kanzlei Dentons, zeigt sich von der Entscheidung nicht überrascht: "Richtig ist, dass Abgrenzungsvereinbarungen grundsätzlich zeitlich unbegrenzt gelten. Marken haben – im Gegensatz zu anderen gewerblichen Schutzrechten – ja ein ewiges Leben. Daher sei es im Ergebnis nur naheliegend, dass dies auch für markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen gelte. "Nur auf diese Weise lassen sich Markenstrategien langfristig ausrichten und entsprechende Investitionen rechtfertigen", so Rehaag weiter.
Kammer stellt auf Umstände der Vertragsschließung ab
Für die Auslegung der Vereinbarung als Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarung spreche nach Überzeugung der Kammer bereits, dass noch vor der Unterzeichnung des Dokuments dessen Überschrift von "Lizenzvertrag" in "Vereinbarung" geändert worden sei. Die beiden Beteiligten hätten mit dem Vertragsschluss bestehende Streitigkeiten endgültig beilegen wollen. Paulaner habe im Vertrauen auf eine ebensolche endgültige Beilegung erhebliche Investitionen in den Markenaufbau gesteckt, so das Gericht in seinem Urteil, das LTO vorliegt.
Anders als Lizenzverträge sind Koexistenz- und Abgrenzungsvereinbarungen nach Auffassung des LG nicht kündbar, da die Schutzdauer eingetragener Markenrechte durch einfache Gebührenzahlung unbegrenzt verlängert werden könne. Da sich Paulaner stets vertragstreu verhalten habe, habe es keinen Anlass für eine außerordentliche Kündigung durch Riegele gegeben.
Zur Motivation von Riegele fand das Gericht klare Worte. Allein der Wunsch, vom "beachtlichen wirtschaftlichen Erfolg" Paulaners zu profitieren, stelle keinen wichtigen Grund für eine Kündigung vertraglicher Vereinbarungen dar.
Eine Widerklage, mit der Riegele markenrechtliche Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz geltend gemacht hatte, wurde von der Kammer mit dem Verweis auf das Fortbestehen der Vereinbarung aus dem Jahr 1974 als unbegründet abgewiesen.
CMS räumt bei Juve-Awards ab
18 Auszeichnungen, drei davon für Inhouse-Teams, wurden bei den Juve-Awards 2022 vergeben. CMS war der Gewinner des Abends, Hausfeld erhielt die Goldene Kamera. Auch bei der Deutschen Post und Biontech gab es Grund zu feiern.
Die Anzeichen auf Linkedin waren unverkennbar: Selfies in Abendkleid und Smoking - bestenfalls geschmackvoll kombiniert mit obligatorischer Daunensteppjacke im Bibendum-Style - dazu ein Rimowa-Koffer. Sofern es weiterer Hinweise bedurfte, kamen diese in Form abfotografierter Zugzielanzeiger. Aufschrift: Frankfurt/M Hbf. Spätestens dann war alles klar: Die Kanzleibranche hat Wandertag.
Das Kölner Verlagshaus Juve lud am Donnerstagabend in die Alte Oper, der Gastgeber nennt es das "Klassentreffen der Wirtschaftsanwälte". Hinter der Deutschen Bahn scheint ein Tag ohne nennenswerte Störungen im Betriebsablauf zu liegen, denn im ehrwürdigen Frankfurter Konzerthaus blieb kaum ein Stuhl unbesetzt.
CMS wird vier Mal auf die Bühne gerufen
Zumindest zu Beginn der mittlerweile 19. Auflage der Preisverleihung meinte man in den Gesichtern der Teilnehmenden Vorfreude auf die in insgesamt 18 Kategorien vergebenen Awards zu erkennen. Keine einheitliche Position fanden die Anwesenden allerdings zur Frage, ob darüber gelacht werden darf, dass ausgerechnet die Vertreterin von Biontech, die den Award für das Inhouse-Team des Jahres im Bereich "IP" entgegennehmen sollte, aufgrund einer Covid-Infektion nicht nach Frankfurt reisen konnte.
Reibungslos verlief dagegen die Übergabe des Awards für das Inhouse-Team des Jahres "M&A" an die Deutsche Telekom. Der Preis für das Inhouse-Team des Jahres wurde der Deutschen Post überreicht. Der Logistiker konnte unter anderem mit dem gelungenen Management des Impfstoffversands punkten.
Um die Auszeichnung "Kanzlei des Jahres" buhlten CMS, Freshfields, Gleiss Lutz, GvW Graf von Westphalen und White & Case. CMS konnte sich durchsetzen und gewann damit nach den Awards als Kanzlei des Jahres in den Kategorien "Regulierung", "Dispute Resolution" und "Technologie & Medien" auch den begehrtesten Preis des Abends. In der Laudatio wurde die Arbeit von Hubertus Kolster besonders gewürdigt, der mehr als elf Jahre lang als Managing Partner bei CMS Deutschland agierte und zum 1. Juli in die Position des Senior Partners gewählt wurde.
Kanzleien zeigen sich erneut großzügig
Bei Hausfeld durfte man sich neben dem Kartellrecht-Award über die Goldene Kamera für die besten Klassenfotos freuen, der Gründerzeit-Award 2022 ist schon bald in den Räumlichkeiten der Düsseldorfer Kanzlei LMPS zu besichtigen. Buchberger Ettmayer ist Preisträger des Awards "Kanzlei des Jahres Österreich".
Weitere Auszeichnungen der Gattung Kanzlei des Jahres gingen unter anderem an Hogan Lovells (jeweils für IP und Compliance), Trebeck & von Broich (Arbeitsrecht), Loschelder (Mittelstand), Freshfields (Bank- und Finanzrecht), White & Case (Gesellschaftsrecht), Noerr (Immobilien- und Baurecht), Grub Brugger (Insolvenz und Restrukturierung), Gleiss Lutz (M&A) sowie Lubberger Lehment (Marken- und Wettbewerbsrecht). In der Kategorie Private Equity und Venture Capital konnte sich Clifford Chance durchsetzen.
Keinen Award, dafür aber Spendengelder erhalten zwei gemeinnützige Projekte: Ein Scheck über 90.035 Euro wurde an einen Vertreter der Organisation GiveDirectly, die von Armut betroffene Menschen in Kenia unterstützt, übergeben. Der Verein Housing First Düsseldorf, der Wohnraum an Obdachlose vermittelt, wurde mit weiteren 121.265 Euro bedacht, die eingesetzt werden sollen, um Küchen anzuschaffen.
Anna Schudt überzeugt auch als Moderatorin
Ein Kompliment gebührt den für die Auswahl der Moderation zuständigen Verlagsmitarbeitenden. Nachdem im vergangenen Jahr Kay-Sölve Richter mit preisverdächtiger Empathie und Galgenhumor durch den Abend geführt hatte, stellte sich in diesem Jahr Anna Schudt dem Endgegner unter den Preisverleihungen. Die im Februar dieses Jahres in der Tatort-Folge "Liebe mich" in den Armen des Kollegen Jörg Hartmann verstorbene Schauspielerin zeigte sich auf der Bühne höchst vital und unterhaltsam.
Schon nach wenigen Minuten wusste man, dass die Wahl der Moderation für so Manches, das der Abend noch bringt, entschädigen würde. Ihre später treffsicher eingesetzte Selbstironie hätte man sich allerdings auch gewünscht, als mit ernsthafter Freude verkündet wurde, dass der Frauenanteil unter den Anwesenden bei 27 Prozent liege.
Resümee: Wenn der Klassenstreber zum Klassentreffen lädt, ist traditionell mehr Sitztanz als Spektakel zu erwarten. Der rote Teppich liegt perfekt, auch musikalisch sitzt jede Note. Und doch erwischt man sich im Verlauf des Abends immer häufiger dabei, die verbliebenen Mathekünste einzusetzen, um auszurechnen, wie viele Awards denn noch zu vergeben sind, bis es geschafft ist. Ernsthafte Zweifel, dass die Alte Oper auch im kommenden Jahr wieder zur Pilgerstätte für die Branche werden wird, bestehen allerdings nicht.
Herr Braun weiß von nichts
Am 25. Juni 2020 wurde klar: Der große Bluff ist nicht mehr zu retten. Wirecard, spätestens mit der Aufnahme in den DAX als deutsche Visitenkarte im globalen Technologiesektor vorgesehen, musste Insolvenz anmelden. Nachdem sich für die Existenz eines Guthabens von rund 1,9 Milliarden Euro, das nach Unternehmensangaben auf philippinischen Treuhandkonten verbucht sein sollte, kein Nachweis fand, hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY dem Unternehmen wenige Tage zuvor das Testat für die Jahresbilanz 2019 verweigert. Wirecard räumte schließlich notgedrungen ein, dass das Bankguthaben mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht bestehe. Game over.
Der zarte Hauch von Silicon Valley, der in Aschheim, wo der Zahlungsdienstleister seinen Hauptsitz hatte, in der Luft lag, musste dem Odeur von Ernüchterung und Ungläubigkeit weichen. Bis zuletzt fiel es Mitarbeitenden, Geschäftspartnern, Anlegern und sogar den Aufsichtsbehörden schwer zu glauben, dass die Bilanzen von Wirecard nicht halten konnten, was Fassade und Unternehmenskommunikation jahrelang versprochen hatten. Aufstieg und Fall des Unternehmens versorgten Film- und Theaterschaffende mit Inspiration und deutsche Strafverfolgungsbehörden mit dicken Akten.
Gericht soll Rollenverteilung klären
Einen Teil der hinterlassenen juristischen Scherben soll jetzt die 4. Große Strafkammer des Landgerichts München I unter dem Vorsitz von Richter Markus Födisch in den kommenden Monaten zusammenkehren und dabei insbesondere klären, welche Rollen den Angeklagten im Wirecard-Drama zugefallen sind und in welchem Umfang sie für die von der Staatsanwaltschaft München I in der 474 Seiten umfassenden Anklageschrift erhobenen Vorwürfe Verantwortung tragen. Mit einer schnellen Wahrheitsfindung wird nicht gerechnet. Das Gericht, dem neben Födisch zwei weitere Berufsrichter sowie zwei Schöffen angehören, hat – vorerst - 100 Sitzungstermine bis Ende des kommenden Jahres festgelegt (Az. 4 KLs 402Js 108194/22).
Verhandelt wird in einem Hochsicherheitsgerichtssaal der Münchener Justizvollzugsanstalt Stadelheim. Dem 17 Millionen Euro teuren Bau ist große mediale Aufmerksamkeit nicht fremd: Nach der Einweihung stand er zunächst selbst im Blickpunkt, später fand hier unter anderem der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe statt.
Staatsanwaltschaft stützt sich auf einen Kronzeugen
Zum Auftakt der Wirecard-Verhandlung haben sich am Donnerstagmorgen neben dem ehemaligen CEO Markus Braun auch der frühere Chefbuchhalter Stephan von Erffa und Oliver Bellenhaus, ehemaliger Geschäftsführer einer Wirecard-Tochter in Dubai, als Protagonisten auf der Anklagebank eingefunden. Bellenhaus, der ebenso wie Braun in Stadelheim in Untersuchungshaft sitzt und eine entsprechend kurze Anreise hatte, kooperierte im Vorfeld mit der Staatsanwaltschaft. Im Verfahren tritt er als Kronzeuge auf, wesentliche Teile der Anklage stützen sich auf seine Aussagen.
Staatsanwalt Matthias Bühring trägt die Anklageschrift im Wechsel mit zwei Kollegen vor. Verlesen wird nur der knapp 90 Seiten umfassende allgemeine Teil, rund 5 Stunden sind dafür eingeplant. Die wesentlichen Anklagepunkte lauten Marktmanipulation, Untreue, gewerbsmäßiger Bandenbetrug sowie unrichtige Darstellung von Jahresabschlüssen.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wurden margenintensive Online-Zahlungstransaktionen, insbesondere aus den Bereichen Glücksspiel und Pornographie zunächst in ausländischen Tochtergesellschaften angesiedelt, um sie einer effektiven Kontrolle innerhalb des Konzerns zu entziehen.
Fiktive Geschäftsvorgänge dienen der Legendenbildung
Das sogenannte Third-Party-Acquiring-Geschäft (TPA) sei dann genutzt worden, um real nicht existente Geschäftsvorgänge zu verbuchen und Abrechnungen und Saldenbestätigungen auf der Basis fiktiver Einnahmen zu erstellen. Dass diese unrichtigen Angaben zu Umsätzen und Erträgen im TPA-Geschäft Eingang in die Bilanzen finden würden, die wiederum im Zusammenspiel mit Geschäftsprognosen die Grundlage für Anlageentscheidungen von Investoren bilden, hätten die Angeklagten bewusst in Kauf genommen.
Gemeinsam habe das Trio dem Unternehmen mit ausgeklügelten Strukturen Kapital entzogen. Die kreative Buchführung diente nach Ansicht der Staatsanwaltschaft dazu, in der Außendarstellung den Eindruck einer höheren Profitabilität des Unternehmens zu erwecken. Den Angeklagten sei klar gewesen, dass eine Darstellung der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens einen Einbruch des Aktienkurses und somit auch negative Folgen für die an Geschäfts- und Kursentwicklung gekoppelte variable Vorstandsvergütung zur Folge gehabt hätte.
Braun setzt auf bekannten Strafverteidiger
Im Anschluss an den Vortrag der Staatsanwaltschaft gehört das Wort Rechtsanwalt Alfred Dierlamm. Dierlamm, Gründer der gleichnamigen Kanzlei und seit 2010 Professor für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Trier, ließ bislang keine Abneigung gegen Herausforderungen erkennen: Mandate zu Cum-Ex, der Schlecker-Insolvenz und dem VW-Abgasskandal finden sich unter seinen Referenzen.
In Stadelheim tritt er an, um Markus Braun weitere Jahre im Gefängnis zu ersparen. Sein Mandant beteuerte in der Vergangenheit mehrfach seine Unschuld. Braun, zum Prozessauftakt in seinem typischen Outfit – dunkler Anzug und Rollkragenpullover - , sieht sich als Opfer krimineller Machenschaften, von denen er selbst nichts gewusst und mitbekommen habe.
Die Verteidiger der beiden anderen Angeklagten, darunter Florian Eder, der Oliver Bellenhaus vertritt, üben sich am ersten Prozesstag noch weitestgehend in verbaler Zurückhaltung. Bis zum Jahresende sind noch fünf weitere Verhandlungstage terminiert, Zeugen sollen erst im neuen Jahr vernommen werden. Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé oder auch der Journalist Dan McCrum, der mit seiner Artikelreihe "House of Wirecard" aus dem Geschäftsmodell Wirecard den Fall Wirecard machte und dabei selbst Adressat von Ermittlungen wurde, dürften Spannendes zu erzählen haben.
Wo ist Jan Marsalek?
Schon am ersten Verhandlungstag deutete sich Potenzial für Wendungen und Überraschungen an. Deutlich wurde aber auch, dass ein – möglicherweise entscheidendes – Puzzlestück fehlt: Jan Marsalek. Das ehemalige Wirecard-Vorstandsmitglied, dessen Konterfei bundesweit großflächig auf Fahndungsplakaten prangt, ist untergetaucht. Moskau wird als Aufenthaltsort des Österreichers vermutet.
Genug Geldmittel dürften bei ihm vorhanden sein. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll er mit Hilfe seiner Assistentin insgesamt Millionenbeträge in bar in Plastiktüten aus der Konzernzentrale geschafft haben.
Unbestätigten Berichten zufolge hat sich die Staatsanwaltschaft München I zwischenzeitlich mit einem Inhaftnahmeersuchen an Russland gewandt. Die Personalie Marsalek wird den Prozess in Stadelheim begleiten und könnte jederzeit zum X-Faktor werden.
Ein Jahr. Neun Themen. Neun Texte.: Kanzleien & Unternehmen 2022 - Ein Rückblick . In: Legal Tribune Online, 23.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50478/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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