Trotz oder vielleicht gerade wegen Corona? Die Gründe sind vielfältig, doch klar ist: So viele Wirtschaftsanwälte wie selten zuvor wechseln die Kanzlei, manche machen sich sogar selbstständig. Ein Blick auf die spannendsten Transfers.
Es sieht ganz so aus, als würde die Pandemie die Ambitionen von Juristen, den Arbeitgeber zu wechseln, noch befeuern. Einige Kanzleien, so etwa Dentons und Luther, verstärken sich strategisch mit Restrukturierern und Insolvenzrechtlern, weil sie im Zuge der Coronakrise damit rechnen, dass der Beratungsbedarf in diesem Bereich steigen wird.
Wieder andere bauen ihre Corporate-Praxis aus. Insbesondere Noerr hat viel Aufsehen erregt, als die Kanzlei von einem Wettbewerber gleich vier angesehene Partner verpflichtet hat. Bemerkenswert ist auch, dass sich viele Anwälte ein Herz fassen und sich nach vielen Jahren in einer größeren Einheit selbstständig machen oder einer kleinen Kanzlei anschließen.
Vier auf einen Streich für Noerr
Einen Coup, mit dem auch für gewöhnlich gut informierte Branchenbeobachter nicht gerechnet haben, landete Noerr: Für ihren Düsseldorfer Standort holte die Kanzlei gleich vier Partner von Latham & Watkins: den deutschen Managing Partner Dr. Harald Selzner und die Corporate-Partner Dr. Martin Neuhaus, Dr. Natalie Daghles und Rainer Wilke. Wilke soll in Düsseldorf auch die Co-Leitung des Standorts übernehmen.
Für Noerr bedeuten die Zugänge eine substanzielle Verstärkung der Corporate- und M&A-Praxis, denn zu den Mandanten des Teams zählen Dax-Unternehmen, in- und ausländische Großkonzerne sowie Private-Equity- und andere Investoren. Latham & Watkins indes verliert am Standort Düsseldorf die Hälfte der Partnerschaft: Von der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt aus beraten nun noch vier Partner.
GvW Graf von Westphalen: Expansiv trotz Corona
Als "logischen Schritt" bezeichnen Christof Kleinmann und Dr. Robert Theissen die jüngste Standorteröffnung ihrer Kanzlei in Stuttgart. Die Managing Partner von GvW Graf von Westphalen sagen, dem Mandantenstamm aus der Region Stuttgart sei ein persönlicher Kontakt vor Ort wichtig. Zu den bestehenden fünf Standorten kam daher nun ein sechster hinzu.
Zum Gründungsteam vor Ort zählen Dr. Marcus Schriefers und Axel J. Klasen, die beide bislang für die Wirtschaftskanzlei Heussen in Stuttgart tätig waren. Schriefers berät im Vertriebsrecht sowie im Logistik- und Transportrecht– hier könne man nun eine Lücke im Beratungsangebot schließen, so die Kanzlei. Der Arbeitsrechtler Klasen ist auf Beratung zu Neustrukturierungen sowie im Kollektivarbeitsrecht spezialisiert.
Kommen und Gehen bei Beiten Burkhardt
Stühlerücken im Hamburger Büro von Beiten Burkhardt: Von Warth & Klein Grant Thornton (WKGT) wechselt – wann genau steht noch nicht fest - ein vierköpfiges Team um die Steuerrechtlerin Dr. Marion Frotscher. Die 41-jährige Rechtsanwältin, Steuerberaterin und Diplom-Kauffrau ist seit 2013 bei WKGT tätig und leitet derzeit die Steuerabteilung des Hamburger Standortes. Sie wird als Equity-Partnerin bei Beiten Burkhardt einsteigen; mit ihr wechseln ein Steuerberater und zwei Rechtsanwälte.
Den Wechsel bereits vollzogen hat Oliver Köster, der seit 2015 Partner in der Praxisgruppe für Corporate und M&A bei Beiten Burkhardt war. Der 49-jährige ist zu Baker Tilly gegangen und mit ihm steigt die Zahl der Rechtsanwälte am Hamburger Standort der Sozietät auf 25. An der neuen Arbeitsstelle soll Köster den Bereich Gesellschaftsrecht weiterentwickeln, teilt die Sozietät mit.
Spin-off bei Heussen
In München hat Dr. Georg Schröder nach rund 20 Jahren bei Heussen seine eigene Kanzlei gegründet. Der 49-Jährige leitete zuletzt als Partner das Team für Datenschutzrecht am Münchener Standort der Sozietät. Mit drei weiteren Anwälten machte er sich selbstständig; die neue Einheit tritt als Legal Data Schröder am Markt auf.
Die Anwälte betreuen vor allem Unternehmen aus der Finanzdienstleistungs-, Medien- und Automobilzulieferbranche datenschutzrechtlich, wollen ihre Kanzlei aber auch als Legal-Tech-Unternehmen positionieren. Dazu haben sie in Berlin ein Entwicklungszentrum für Softwareprodukte gegründet.
Görg-Gründungspartner geht zu Spezialkanzlei
Er war einer der Gründungspartner der Kanzlei Görg und dort seit 1996 tätig. Nun wechselte der Schieds- und Vertriebsrechtler Dr. Christof Siefarth in das Kölner Büro der Disputes-Kanzlei Bodenheimer Herzberg, der Salary-Partner Dr. Sebastian Feiler und der Associate Dr. Philipp Stöckle haben sich ihm angeschlossen.
Siefarth ist damit der vierte Equity-Partner von Bodenheimer Herzberg. Die Kanzlei wurde vor dreieinhalb Jahren von Dr. Rouven F. Bodenheimer und Axel Benjamin Herzberg gegründet, Anfang des Jahres kam Björn Gehle als dritter Partner dazu. Sie ist mit Standorten in Berlin und Köln vor allem in Schiedsverfahren aktiv.
Zwei KNH-Partner künftig unter eigener Flagge
Bei der Bau- und Immobilienrechtskanzlei KNH Rechtsanwälte Kemper Hochstadt & Partner kommt es zu einer Abspaltung. Ralf Kemper, der die Sozietät im Jahr 2003 mitgegründet hat und einer der namensgebenden Partner war, verlässt KNH nach rund 17 Jahren und gründet gemeinsam mit dem Partner Björn Heinrich und zwei Associates die Kemper Rechtsanwaltsgesellschaft in Berlin.
Grund für die Trennung seien unterschiedliche Auffassungen zu strategischen und strukturellen Themen, so Kemper. Beratungsschwerpunkte der neuen Einheit sind – ähnlich wie bei KNH – die Bereiche Privates Baurecht, Vergaberecht sowie Architekten- und Ingenieurrecht.
Mehr Restrukturierungen bei Dentons
Es ist kein Geheimnis, dass viele Kanzleien wegen der Corona-Krise mit Mehrarbeit in den Bereichen Restrukturierung und Insolvenz rechnen. So auch Dentons. Die Kanzlei hat bereits eine große und vielbeschäftigte Restrukturierungspraxis und weitet diese mit dem Zugang von Dr. Holger Ellers nochmals aus.
Ellers war in den vergangenen 14 Jahren für Baker McKenzie tätig und gehörte dort der Praxisgruppe für Restrukturierung und Insolvenz an. Zuletzt hat er unter anderem Gläubiger im Insolvenzverfahren der Galeria Karstadt Kaufhof-Warenhäuser beraten. Bei Dentons soll er an der Schnittstelle von Restrukturierung, Insolvenz- und Gesellschaftsrecht tätig und seine Erfahrung im Bereich internationaler Distressed-M&A-Transaktionen einbringen, teilt die Kanzlei mit.
Ehemaliger Bilfinger-Chefjurist geht zu Hogan Lovells
Prominente Verstärkung für die Compliance-Praxis hat Hogan Lovells gewonnen. Mitte September hat sich Olaf Schneider, der zuletzt General Counsel und Compliance-Chef beim Industriedienstleister Bilfinger war, der Sozietät als Partner angeschlossen.
Der Jurist gilt als anerkannter Compliance-Experte; bei Bilfinger war er insbesondere für die Einführung eines weltweiten Compliance-Management-Systems verantwortlich. Dadurch konnte das Unternehmen ein vom US-amerikanischen Justizministerium auferlegtes Monitor-Verfahren beenden. Bilfinger stand mehrere Jahre unter der Aufsicht eines sogenannten Monitors, weil das Unternehmen in einen Korruptionsfall bei einem Pipelineprojekt in Nigeria verwickelt war.
Bei Hogan Lovells gehört Schneider nun dem Bereich Compliance & Investigations an – ein 60-köpfiges Team, das sich auf die Standorte München, Hamburg, Frankfurt und Berlin verteilt.
Drei Neue bei Luther
Die Luther Rechtsanwaltsgesellschaft hat in den vergangenen Wochen gleich drei neue Partner aufgenommen: Das Frankfurter Büro hat sich mit dem Gesellschafts- und Kapitalmarktrechtler Dr. Björn Simon verstärkt. Der 42-Jährige kommt von Baker McKenzie, wo er seit 2015 gearbeitet hat - zunächst als Counsel und ab 2018 als Partner. Simon hat auch Erfahrungen im Bereich Legal Tech, unter anderem bei Fragen rund um Prozessautomatisierung in der Rechtsberatung.
Für den Standort Stuttgart hat Luther den auf Restrukturierungen und Insolvenzrecht spezialisierten Gunnar Müller-Henneberg geholt. Er wechselte mit seinem Team von Schultze & Braun. Mit dem Zugang sieht sich die Kanzlei nun "optimal aufgestellt", um die Restrukturierungen und Sanierungen, die für die nächsten Monate erwartet werden, zu begleiten.
Auch auf internationaler Ebene wächst Luther mit dem Zugang von Raymond Kok in Schanghai. Er ist seit zwölf Jahren als Anwalt in der chinesischen Stadt tätig und hat dort zuletzt das China-Geschäft der Kanzlei Schindhelm geleitet. Nun ist er als Partner zu Luther gewechselt und berät vorwiegend im Investitions- und Gesellschaftsrecht.
Einmal Weil Gotshal und zurück
2017 ging er von DLA Piper zu Weil Gotshal & Manges, nun kehrte Dr. Wolfram Distler an seine alte Wirkungsstätte zurück.
Zum September hat sich der Finanzrechtler dem Frankfurter Büro der Sozietät angeschlossen und dürfte dort auf alte Bekannte gestoßen sein. Denn Distler arbeitete nach Stationen bei Gleiss Lutz und Linklaters bereits zwischen 2012 und 2017 für DLA und leitete auch zeitweise die deutsche Finanzierungspraxis der Kanzlei. Im Herbst 2017 ging er als Partner im Bereich Banking & Finance zu Weil - wo es ihn nun drei Jahre hielt, bevor er – ebenfalls als Partner - zu DLA Piper zurückging.
Juristen-Transfermarkt Oktober 2020: Die wichtigsten Wechsel . In: Legal Tribune Online, 16.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43129/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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