Welche Kanzlei hat die höchste Präsenz im Web? Das hat eine PR-Agentur untersucht und Kritik aus der Branche geerntet. Die Methodik sei zu komplex, die Ergebnisse wenig aussagekräftig – und für den Erfolg im Markt auch nicht entscheidend.
Kaum etwas sorgt so zuverlässig für Gesprächsstoff unter Anwälten wie Kanzlei-Rankings. Doch eine dieser Ranglisten löste kürzlich besonders heftige Diskussionen aus. Die Hamburger PR-Agentur Faktenkontor untersuchte für die Wirtschaftswoche die Webpräsenz der 50 umsatzstärksten deutsche Wirtschaftskanzleien.
In den Kanzleien schüttelte man ungläubig den Kopf angesichts des unerwarteten Siegers: Flick Gocke Schaumburg ist laut der Studie die Kanzlei mit der höchsten Webpräsenz. Auf Platz zwei folgt Ebner Stolz Mönning Bachem, und auf Platz drei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Graf von Westphalen und Baker Tilly Roelfs runden die Top 5 ab.
Die beiden umsatzstärksten deutschen Kanzleien Freshfields Bruckhaus Deringer und CMS Hasche Sigle rangieren dagegen unter ferner liefen. Allein CMS schafft es in die Top10 – auf Platz 9. Damit liegt CMS allerdings immerhin noch ein gutes Stück vor einer weiteren Top-Kanzlei, Hengeler Mueller. Sie ist gemessen am Umsatz zwar drittstärkste Sozietät, landet aber bei der Webpräsenz nur auf Platz 28. Wenig besser rangieren Clifford Chance (Umsatzranking: 4; Webranking: 16) und Linklaters (Umsatzranking: 5; Webranking: 21).
Kein Bonus für twitternde Kanzleien
Branchenkenner zeigten sich verblüfft darüber, dass das Ranking kaum mit der Social-Media-Präsenz der Kanzleien korreliert. Von den Top5 der Faktenkontor-Studie haben Heuking und Graf von Westphalen nämlich gar keinen eigenen Twitter-Account. FGS ist dem Kurznachrichtendienst im Mai 2015 beigetreten und hat seitdem 62 Tweets abgesetzt, 86 Follower hinter sich vereinigt und es zu 13 "Likes" gebracht.
Ebner Stolz, im Gesamtranking auf Platz 2, hat seit Juni 2012 insgesamt drei Tweets abgesetzt, hat 36 Follower und 30 Likes, und Baker Tilly Roelfs hat überhaupt erst seit November 2015, also zum Ende des Untersuchungszeitraums, einen eigenen Twitter-Account. Im Vergleich dazu: CMS hat seit September 2011 2.055 Tweets abgesetzt, Freshfields (deutscher Account) seit Ende 2011 immerhin 431 (alle Abfragen vom 13.04.2016). CMS betreibt zudem seit 2010 einen eigenen Blog, der bereits mehrfach ausgezeichnet wurde.
Anwalt soll als Experte wahrgenommen werden
Dass gerade die fleißigen Twitterer und Blogger unter den Law Firms nicht mit einer guten Position im Ranking der Web-Präsenz belohnt werden, hat laut Jörg Forthmann, Geschäftsführer bei Faktenkontor und dort zuständig für die Studie, methodische Gründe.
Kanzlei-Websites oder Blogs, die auf der URL der Kanzleiwebsite laufen, habe man bei der Erhebung nicht gewertet. Entscheidend für die Wertung war zudem nicht nur die Präsenz bei Twitter oder Facebook, sondern auch die Sichtbarkeit in Foren, Blogs und Online-Medien. "Ein Anwalt oder eine Kanzlei, die sich – etwa durch Gastbeiträge – vielfältig als Experte für ein bestimmtes Rechtsgebiet platzieren kann, wird besser vom Mandanten gefunden, wenn er im Internet sucht", erklärt Forthmann.
Ein Webmonitoring-Tool sucht nach Kanzleinamen
Konkret wurden mit Hilfe eines Webmonitoring-Tools zwischen Juli und November 2015 über eine Million Social-Media-Quellen und zehntausende Online-Nachrichten analysiert und nach den Kriterien "Aufmerksamkeit" (Zahl der Nennungen), "Ansehen" (Nennung in positivem Zusammenhang), "Akzeptanz" (errechnet aus dem Anteil der positiv-tonalen Nennungen und dem Verhältnis von positiven zu negativen Nennungen) und "Präferenz" (Erzielen einer starken, positiv emotionalen Bindung) bewertet.
Die Studie beschränkt sich auf die 50 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien in Deutschland; maßgeblich war dabei das Umsatzranking 2014/2015 des Branchenverlags Juve. Laut Forthmann wurde über das Analyse-Tool nach den 50 Kanzleinamen gesucht, die Ergebnisse seien später händisch auf Plausibilität geprüft worden.
Die Durchschnittskanzlei erreicht 32,7 Punkte – von 400 möglichen
Die Daten münden in vier Teilrankings, die den Suchkriterien Aufmerksamkeit, Ansehen, Akzeptanz und Präferenz entsprechen, und ein Gesamtranking. "Jeder Rankingposition in den Teilrankings sind Werte von 0 bis 100 zugeordnet", erklärt Forthmann. "Diese haben wir addiert, und daraus ergibt sich die Position einer Kanzlei im Gesamtranking."
Theoretisch kann eine Kanzlei also 400 Punkte erreichen, doch davon sind die deutschen Wirtschaftskanzleien noch ein gutes Stück entfernt: Gesamtsieger Flick Gocke Schaumburg schafft es mit 102,3 Punkten auf den mit Abstand höchsten Wert. Die Zweitplazierte Ebner Stolz Mönning Bachem erreicht 86 Punkte, Heuking Kühn Lüer Wojtek auf Platz 3 84 Punkte. Graf von Westphalen (76,8) und Baker Tilly Roelfs (76,2) runden die Top 5 ab. Im Durchschnitt kommen die untersuchten Kanzleien auf bloß 32,7 Punkte – da ist noch erheblich Luft nach oben.
2/2 Sind die Ergebnisse nur eine Momentaufnahme?
Derart niedrige Werte legen aus Sicht von Markus Hartung, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession und selbst in den sozialen Medien sehr aktiv, den Schluss nahe, dass die Online-Präsenz der Kanzleien weniger auf einer ausgeklügelten Kommunikationsstrategie basiere, sondern eher zufällig so geraten sei, wie sie eben im Untersuchungszeitraum war. Die Kommunikation lasse sich in den sozialen Medien nur schwer steuern, Wirkungen seien häufig sehr erratisch. Auch Faktenkontor-Geschäftsführer Forthmann vermutet, dass beispielsweise die Insolvenz eines Unternehmens, die Schlagzeilen macht, die Kanzlei im Ranking schnell nach oben spülen würde, welche den Insolvenzverwalter stellt.
Entzündet hat sich die Kritik aus der Kanzleiszene wohl vor allem an den Schlussfolgerungen, die Faktenkontor und Wirtschaftswoche aus der Datenlage gezogen haben. Die Wirtschaftswoche berichtete schon im Januar über die Erhebung und eröffnete ihren Beitrag damit, die zehn umsatzstärksten Kanzleien würden im Internet "meist nicht die erste Geige spielen". Gut zwei Monate später verbreitete Faktenkontor in einer Pressemitteilung mit dem Titel "Wirtschaftskanzleien: Marktführer schwächeln im Web" weitere Informationen zur Studie.
Wirtschaftlicher Erfolg und Webpräsenz haben wohl wenig miteinander zu tun
Forthmann ließ sich in der Mitteilung damit zitieren, dass "ausgerechnet die bislang größten Kanzleien noch nicht richtig im Social-Media-Zeitalter angekommen" seien. Sie konzentrierten ihre PR-Anstrengungen auf herkömmliche Print-Veröffentlichungen, seien aber kaum in Fachforen, bei Twitter oder in sozialen Netzwerken aktiv. "Viele Anwälte wollen ihren Namen unbedingt auf bedrucktem Papier sehen, nur das scheint für sie zu zählen", monierte Forthmann, "doch damit blenden sie einen großen Teil der Realität aus – und zwar ausgerechnet den, der heute für die Akquise entscheidend ist."
Markus Hartung hat an dieser Aussage erhebliche Zweifel. "Haben lebhaftes Bloggen und Online-Kommunikation einerseits und wirtschaftlicher Erfolg der Top50 andererseits tatsächlich kausal etwas miteinander zu tun?", fragt er. "Dass Anwälte grundsätzlich im Netz präsent sein müssen, ist keine Frage, aber hier geht es um die nach Umsatz 50 größten deutschen Kanzleien. Müsste nicht der Umstand, dass die erfolgreichsten Kanzleien offenbar andere Prioritäten setzen, zu denken geben?"
Er schlussfolgert: "Wenn diese Kanzleien im Internet 'nicht die erste Geige spielten', wohl aber bei den Mandanten, dann kommt es für den Erfolg auf die Sichtbarkeit im Social Web doch wohl gar nicht entscheidend an. Das wäre aber für Kommunikationsberater wie Faktenkontor kein schönes Ergebnis."
Anja Hall, Webpräsenz von Wirtschaftskanzleien: Ein Ranking mit Sprengkraft . In: Legal Tribune Online, 13.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19063/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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