Weibliche Associates in Kanzleien verdienen weitaus weniger als ihre männlichen Kollegen. Das hat eine Studie für den Anwaltsmarkt in den USA ergeben. LTO hat deutsche Anwältinnen gefragt, wie sie die Situation hierzulande sehen.
18.000 US-Dollar im Jahr weniger, umgerechnet rund 16.500 Euro. Das macht 1.375 Euro pro Monat weniger. Oder knapp 320 Euro in der Woche. Selbst wenn man es noch weiter herunter rechnet, und die Zahlen vermeintlich schrumpfen, steht am Ende des Satzes immer noch: weniger. Weniger Geld für Frauen. Weniger Einkommen, das Anwältinnen mit nach Hause nehmen.
Eine Studie mit Daten aus den USA zeigt, dass weibliche Associates im Schnitt etwa 18.000 US-Dollar weniger Lohn für dieselbe Arbeit erhalten. Einen Grund dafür herauszufiltern, erweist sich laut den Forscherinnen Ghazala Azmat und Rosa Ferrer als schwierig. Zahlreiche Begebenheiten trügen ihren Teil bei. Dennoch greifen Azmat und Ferrer zwei Punkte heraus, die sie als maßgeblichen Auslöser für die Ungleichheit identifiziert haben wollen.
Wer Kinder hat, verdient weniger
Ein zentraler Punkt sei die Anwesenheit kleiner Kinder im Haushalt, so die Autorinnen der Studie. Diese führe dazu, dass Anwältinnen weniger Stunden abrechnen - nämlich etwa 200 pro Jahr. Zudem sei die Karriereambition zwischen den Geschlechtern unterschiedlich ausgeprägt. Während 60 Prozent der Männer Equity-Partner werden wollten, würden lediglich ein Drittel der Frauen dieses Ziel anstreben. Als Folge davon unterschieden sich die Umsätze neuer Mandanten ('new client revenue'), die ein Anwalt oder eine Anwältin in die Kanzlei einbringt deutlich.
Laut den Forscherinnen ist die Kombination von weniger Billable Hours und geringerem Umsatz durch neue Mandanten der Hauptgrund dafür, dass die Einkommen von Anwälten und Anwältinnen derart auseinanderklaffen.
Angeblich keine Unterschiede in Deutschland
Doch wie ist die Situation in Deutschland? Was verdienen Anwältinnen hierzulande? Verlässliche Zahlen dazu gibt es kaum. Die jährlichen Gehaltstabellen des Branchenmagazins Azur unterscheiden nicht zwischen Männern und Frauen. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht zwar regelmäßig Zahlen der Einkommen von Arbeitnehmern in Deutschland, jedoch enthält die Erhebung keine Angaben zu Einkommen aus selbständiger Tätigkeit. Das Institut für Freie Berufe hat Honorarumsätze von Anwälten geschlechterspezifisch abgefragt, allerdings sind die aktuellsten Zahlen für das Wirtschaftsjahr 2010. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, insbesondere in Westdeutschland verdienen Anwältinnen weniger.*
Wenn es keine aktuellen Zahlen gibt, muss man die Anwälte selbst fragen. Wir wollten von langjährigen Partnerinnen wissen: Wie erleben sie die Vergütungsstrukturen in den Kanzleien? Empfinden sie sie als ungerecht?
"Wir vergüten unsere Anwältinnen und Anwälte unabhängig vom Geschlecht nur nach Seniorität und individueller Leistung", sagt Dr. Katlen Blöcker, Head of Banking Germany bei Hogan Lovells in Frankfurt. "Bei Heuking Kühn Lüer Wojtek gibt es keine Gehaltsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Anwälten. Frauen sind in allen Verdienst- und Entnahmestufen anteilig gleich vertreten", sagt Dr. Ute Jasper, Leiterin der Praxisgruppe Öffentlicher Sektor und Vergabe in Düsseldorf. "Die Associate-Gehälter sind bei uns [...] festgelegt und werden nicht von Fall zu Fall individuell ausgehandelt", sagt Dr. Constanze Ulmer-Eilfort, Managing Partner für Deutschland und Österreich bei Baker & McKenzie.
Es herrschen Traumverhältnisse – wirklich?
Das klingt nach absoluten Traumverhältnissen. Und wäre - wenn man Initiativen wie dem Equal Pay Day glaubt - quasi einmalig in der deutschen Wirtschaftswelt. Nur, das widerspricht der Einschätzung von Marktbeobachtern, wonach die Gehälter zwar im ersten Jahr unter den Associates gleich hoch sind, aber mit den fortschreitenden Berufsjahren immer weiter auseinander driften. Und was ist mit den Anwältinnen, die hinter vorgehaltener Hand von deutlichen Ungleichheiten berichten?
"Leider beobachten auch wir, dass Anwältinnen bei der leistungsorientierten Einstufung für die Partnervergütung alleine schon oft aufgrund geringerer Arbeitszeit durchschnittlich schlechter abschneiden als ihre männlichen Kollegen", räumt Ulmer-Eilfort ein.
* hier stand in einer früheren Version fälschlicherweise: "Und das Institut für Freie Berufe, das jährlich die Einkommen von Anwälten abfragt, nimmt keine Aufsplittung nach Geschlechtern vor.", ah/LTO-Redaktion, 19.01.2016, 12:45 Uhr
2/2 Was zählt, sind die Zahlen
Jasper hingegen erkennt keine Ungleichheit zwischen Männern und Frauen: "[Unsere] Vergütungsstruktur knüpft schon immer Gehälter und Gewinnanteile sehr transparent an den Erfolg des Anwalts. Das schließt Nachteile für Anwältinnen konsequent aus". Wovon hängt der Erfolg dann ab? "Bei Heuking zählen nicht Anwesenheit oder Angeberei, sondern Ergebnisse in Euro." Genauer: "Die Zahlungseingänge entscheiden über den Erfolg."
Erfolg hat also die Anwaltspersönlichkeit, die Umsätze generiert, und nicht die, die weiblich oder männlich ist. Die Umsätze wiederum hängen von der individuellen Leistungsbereitschaft ab, da sind sich die Kanzleien einig. Baker & McKenzie, Heuking und Hogan Lovells etwa knüpfen Boni und Gewinnverteilung daran, ob ausreichend Leistung vollbracht wird.
Laut den Forscherinnen Azmat und Ferrer sinkt jedoch die Leistungsbereitschaft von Frauen, wenn sie kleine Kinder versorgen. Jasper widerspricht: "Ich selbst habe mit vier Kindern immer wie alle männlichen Partner gearbeitet und konnte von unserem erfolgsorientierten Gewinnverteilungssystem profitieren." Stattdessen seien die Frauen selbst schuld daran, wenn sie es zuließen, dass Entnahmesysteme einiger Kanzleien sie benachteiligten. Außerdem gebe es "weniger Frauen als Männer mit Spaß am Wettstreit, am Risiko, am Erfolg."
"Studienergebnisse sind richtig"
In der Studie heißt es, dass die Leistungsbereitschaft davon abhinge, ob kleine Kinder im Haushalt leben und ob Frauen den Partnerstatus überhaupt anstreben. Dies sei in den meisten Fällen nicht so. In den USA sind übrigens rund 20 Prozent der Partner Frauen – in Deutschland lediglich rund zehn Prozent. Demnach müssten die Gehaltsunterschiede in Deutschland weit größer sein als in den USA. Ist das so?
"Die Ergebnisse der Studie sind aus meiner Sicht richtig. Es sind mehrere Gründe, die dazu führen, dass Frauen weniger verdienen und seltener eine 'Partnerkarriere' machen", stimmt Ulmer-Eilfort den beiden Forscherinnen zu.
Ulmer-Eilfort sieht gesellschaftliche Einflüsse als den wesentlichen Grund dafür an, dass Frauen seltener den Partnertrack anstreben: "Neben der Doppelbelastung in den Jahren der Kindererziehung ist weiter zu nennen, dass Frauen oft weniger ehrgeizig sind als Männer. Sie sind weniger ehrgeizig, weil in unserer Gesellschaft noch immer Ehrgeiz bei Männern positiv und bei Frauen eher negativ bewertet wird." Außerdem glaubten Frauen nicht an sich, sondern suchten Gründe für Misserfolg eher bei sich und nicht - wie die Männer - außerhalb ihrer Person.
Sind Frauen weniger leistungsbereit als Männer?
Allerdings widersprechen die Anwältinnen der These, dass kleine Kinder die Karriereambitionen von Frauen schrumpfen lassen würden. Der Grund liege woanders: "Die Kinder zeigen nur, dass die Karrierewünsche der Frauen oft nicht so groß sind wie die der Männer", sagt Heuking-Partnerin Jasper. Ulmer-Eilfort sieht die Schwierigkeit eher darin, nach einer Elternpause von mehreren Jahren wieder in den Beruf einzusteigen und an frühere Gehaltsstrukturen anzuknüpfen. Hogan Lovells-Partnerin Blöcker glaubt, dass sich der Fokus frischgebackener Eltern verschiebe - und "häufiger sind es die Frauen, die - zunächst - auf weitere Karriere verzichten."
Nicht die Tatsache, dass kleine Kinder im Haushalt leben, sondern die Tatsache, dass fast immer Frauen für die Betreuung beruflich zurückstecken, ist also der Grund dafür, dass die Karriere stoppt und damit auch die Einkommensunterschiede zwischen Mann und Frau größer werden. Wann? "Es beginnt in der Zeit, in der Frauen eine Familie gründen [und] Kinder bekommen", sagt Ulmer-Eilfort.
Männer, die Väter werden, scheinen nach wie vor keinerlei Einbußen in der Leistungsbereitschaft oder Rückschritte auf der Karriereleiter zu erleiden. Teilzeit – und damit weniger Einkommen – betrifft immer noch vor allem das weibliche Geschlecht.
Désirée Balthasar, Einkommensunterschiede: "Frauen sind weniger ehrgeizig als Männer" . In: Legal Tribune Online, 19.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18177/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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