Ralf Thaeter hat sich viel vorgenommen. Seit drei Jahren arbeitet der frühere Gleiss-Lutz-Partner daran, der britischen Kanzlei Herbert Smith Freehills zu einer schlagkräftigen Deutschlandpräsenz zu verhelfen. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Cambridge im Frühjahr 2014, eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema Kanzlei-Management, die Anwesenden stellen sich vor: Managing Partner von großen, internationalen Law Firms und Leiter von globalen Praxisgruppen. Einer der Teilnehmer versetzt die illustre Runde in ungläubiges Staunen – mit ein paar dürren Worten: "Guten Tag. Mein Name ist Ralf Thaeter und ich habe die Aufgabe, für Herbert Smith Freehills die deutschen Standorte aufzubauen."
Wenn Thaeter heute an diese Episode zurückdenkt, muss er schmunzeln. Damals arbeitete für Herbert Smith Freehills (HFS) in Deutschland gerade einmal eine Handvoll Anwälte, im Vergleich zu den Kanzleien der anderen Teilnehmer also ein Klacks. Aber an den Blicken der Law-Firm-Manager war nicht etwa Geringschätzung abzulesen - im Gegenteil: "Aus ihren Gesichtern sprach: Da hast du dir ganz schön was vorgenommen", erinnert er sich.
Markteintritt durch Fusion…
Nehmen sich ausländische Kanzleien den Markteintritt in Deutschland vor, dann starten sie meist, indem sie sich einen lokalen Fusionspartner suchen oder große Teams von anderen Sozietäten abwerben. Im vergangenen Herbst schloss sich beispielsweise das komplette Berliner Büro von Olswang der US-Kanzlei Greenberg Traurig an, die bis dahin hierzulande nicht vertreten war. In Frankfurt holte eine weitere US-Kanzlei, Goodwin Procter, ein Team von Ashurst für den Deutschlandstart Anfang 2016.
Eine ähnliche Strategie hat Morrison & Foerster schon vor gut drei Jahren verfolgt. Sie überzeugte sieben der acht Berliner Partner von Hogan Lovells von einem Kanzleiwechsel. Die unerfreuliche Folge für Hogan Lovells: Die Kanzlei hat, genau wie nun Olswang, seither kein Büro in der Hauptstadt mehr.
... will Herbert Smith Freehills nicht
Strategisch birgt ein derartiges Vorgehen Vorteile: Der neue Player im Markt gewinnt auf einen Schlag eine ansehnliche Präsenz und ein - im Idealfall - gut eingespieltes Team mit stabiler Mandantenbasis. Für Herbert Smith Freehills war das aber keine Option. Der Anspruch der Sozietät sei, zu den führenden Büros in Deutschland zu gehören, sagt Thaeter, und: "Wir wollen nach vorne".
Das würde zwar wohl auch jede andere der neuen Kanzleien hierzulande von sich behaupten, doch der Managing Partner von HSF Deutschland bleibt dabei: Man werde nur im Ausnahmefall große Teams anwerben, denn alle Anwälte müssten persönlich, von ihrer fachlichen Ausrichtung und dem Business Case zur Kanzlei passen. Und sie müssen die wohl größte Hürde für einen Kanzleiwechsel nehmen, den Conflict Check: Die Mandate des Bewerbers werden auf mögliche Interessenskonflikte mit den bestehenden Mandanten der Kanzlei hin abgeklopft. Nicht selten scheitern Partnerwechsel bloß an diesen Konflikten, sagen Branchenkenner.
Je größer das Team, desto unwahrscheinlicher, dass wirklich alle Anwälte diese Kriterien erfüllen - und von denen, die das nicht tun, müsse man sich dann wieder trennen. "Das Wort 'rausmanagen' mag ja sehr harmlos klingen", sagt Thaeter. "Das ist es aber nicht. Solch ein Prozess dürfte für alle Beteiligten sehr qualvoll sein", findet er.
Allein im Büro mit Laptop und Blackberry
HSF hat sich in Deutschland für einen schrittweisen Aufbau entschieden, und deshalb verläuft Ralf Thaeters erster Arbeitstag im April 2013 recht einsam: Er sitzt mit Laptop und Blackberry in einem Büro, das er bei einem Business-Center-Anbieter angemietet hat. Er, ein Gesellschaftsrechtler und M&A-Experte, ist der erste und einzige Anwalt von Herbert Smith Freehills in Deutschland – aber er soll es nicht mehr lange bleiben.
Als Thaeter den beruflichen Neustart wagt, ist er Anfang 50. Mehr als 20 Jahre lang arbeitete er in der Corporate-Praxis von Gleiss Lutz, dem ehemaligen deutschen Allianz-Partner von Herbert Smith Freehills, wo er eine "fantastische Zeit" hatte, wie er selbst sagt. Als Gleiss-Partner hatte Thaeter bei vielen internationalen M&A-Transaktionen mit HSF zusammengearbeitet.
Dann kommt es zum Bruch zwischen Gleiss und Herbert Smith, wie die Kanzlei damals – vor der Fusion mit Freehills - noch hieß: Herbert Smith will die Zusammenarbeit vertiefen und mit Gleiss und dem niederländischen Allianzpartner Stibbe fusionieren, aber das lehnt die Partnerschaft von Gleiss Lutz Ende 2011 mehrheitlich ab.
In der Folge wird die Allianz aufgelöst, und Herbert Smith plant, unmittelbar nach dem Ablauf einer zuvor vereinbarten Frist zum 1. April 2013 eine eigene Deutschland-Präsenz zu eröffnen. Die Übernahme dieser Aufgabe ist für Thaeter eine Entscheidung, die manche wohl als Himmelfahrtskommando bezeichnen würden.
2/2: Planvoller Aufbau
"Es war eine wilde Zeit", erinnert er sich an die Anfangstage unter neuer Kanzlei-Flagge. Immobiliensuche, Möbelkauf, IT-Infrastruktur, Personal – um all diese Themen kümmert sich Thaeter zunächst selbst. Die erste Person, die er einstellt, ist folgerichtig nicht etwa ein Anwalt, sondern eine Office Managerin.
Mit dem Aufbau verfolgen HSF und der Deutschland-Chef Thaeter einen Mehr-Jahres-Plan. Das Geschäft der Kanzlei ruht international auf den drei Säulen Corporate/M&A, Finance/Real Estate/Projects und Disputes, so soll es auch in Deutschland sein. "Im ersten Jahr hatten wir das Ziel, die Fundamente für diese Säulen zu legen", sagt Thaeter. Dazu holt er anerkannte Quereinsteiger, etwa den M&A-Anwalt Nico Abel und ein Team um Immobilienrechtler Thomas Kessler.
Das zweite Jahr steht im Zeichen des Ausbaus. Auch wenn HSF viele Schlagzeilen macht durch Aufnahme von Quereinsteigern auf Partnerebene, baut die Kanzlei weitgehend unbemerkt auch ihre Associate-Riege aus. Am Ende des Geschäftsjahres arbeiten 30 Berufsträger für die Kanzlei, darunter fünf Partner. Damit ist die Mannschaft groß genug, um wichtige Deals zu stemmen, etwa die Fusion der Tui AG mit ihrer britischen Tochter Tui Travel.
Im dritten Jahr wird arrondiert: Es kommen Quereinsteiger auf Partnerebene in Rechtsgebieten wie Kartellrecht oder Arbeitsrecht, die Zahl der Partner steigt auf acht. Die deutsche Praxis ist wieder an einigen Top-Deals beteiligt, etwa der milliardenschweren Übernahme von Italcementi durch HeidelbergCement oder dem letztlich gescheiterten Versuch der Vonovia SE, die Wettbewerberin Deutsche Wohnen zu übernehmen und so den größten Wohnungskonzern Deutschlands zu schmieden.
2016: Neuer Standort, weitere neue Partner
Zum 1. Mai 2016 hat das vierte Geschäftsjahr für Herbert Smith Freehills Deutschland begonnen, und wieder einmal häufen sich die Schlagzeilen: Anfang Juni eröffnet die Kanzlei in Düsseldorf ihren dritten deutschen Standort offiziell. Die Säule Disputes und Compliance, die bei HSF international "CC&I Corporate, Crime & Investigations" heißt, erfährt eine deutliche Stärkung: Es kommen die bekannte Schiedsrechtlerin Patricia Nacimiento sowie ein Compliance- und Investigations-Team um Helmut Görling und Dirk Seiler, zuvor hatte Thaeter den anerkannten Litigator Thomas Weimann gewonnen. Damit arbeiten jetzt 16 Berufsträger, davon fünf Partner, im Bereich Konfliktlösung und Compliance, der nun der größte innerhalb der Kanzlei ist.
Neue Player werden im Wirtschaftsanwaltsmarkt mit Argusaugen beobachtet. Es gibt viel Klatsch und Tratsch, und im Fall von HSF hatten nicht wenige Konkurrenten ein schnelles Scheitern prognostiziert. Danach sieht es derzeit nicht aus. Die Katastrophen blieben aus, die Fluktuation ist sehr gering und beschränkt sich bislang auf die Associate-Riege.
Dass HSF Deutschland bloß ein zusammengewürfelter Haufen von Top-Anwälten ist, wie manche Branchenbeobachter lästern, hat sich aus Thaeters Sicht nicht bewahrheitet. "Der Aufbau dauert länger als mit einem Merger, aber die einzelnen Anwälte kommen mit Begeisterung. Sie haben Lust auf neue Partner und ein neues Umfeld." Das sei ein wesentlicher Unterschied, sagt er. "Die Partner sind freiwillig bei HSF, nicht als Teil einer großen Gruppe, die per Mehrheitsbeschluss fusioniert hat", gibt er zu Bedenken.
"Lebhaft, aber immer freundschaftlich"
Wenn so viele gestandene Anwaltspersönlichkeiten sich versammeln, um eine neue Kanzlei aufzubauen, dann herrscht sicher nicht immer eitel Sonnenschein. Es ist anzunehmen, dass in der Partnerversammlung um Entscheidungen durchaus gerungen wird. Das räumt auch Thaeter ein: "Es entsteht eine neue Kanzleikultur. Dabei geht es lebhaft zu, aber immer freundschaftlich." Natürlich sei nicht immer alles rosarot, sagt er. "Aber wir sind allesamt 'positive Unternehmer', das heißt, alle wollen, dass es klappt."
Für Thaeter selbst war der Schritt weg von Gleiss Lutz und hin zu HSF mutig, denn sein Arbeitsumfeld hat sich massiv gewandelt: HSF hat 25 Standorte in aller Welt, rund 2.100 Anwälte arbeiten für die Sozietät. Deutschland ist damit nur eines von vielen Ländern, in denen die Kanzlei aktiv ist. Erheblich kleiner dagegen ist Gleiss Lutz, Thaeters langjähriger Arbeitgeber: Die Kanzlei beschäftigt 300 Anwälte an sieben Standorten und betont gerne ihre Position als unabhängiger, nationaler Player.
Das Risiko zu scheitern sah Thaeter durchaus, als er den Schritt zu HSF machte - aber es hat ihn trotzdem gereizt, denn die Aufgabe war wohl zu verlockend: "In Deutschland etwas Bleibendes zu schaffen, das erfüllt mich."
Anja Hall, Gründerjahre einer Großkanzlei: "Eine wilde Zeit" . In: Legal Tribune Online, 22.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19760/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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