Zölle als Force Majeure?: Wer trägt Kosten und Rechts­ri­siken im Han­dels­kon­f­likt?

Gastbeitrag von Dr. Thomas Ruthemeyer und Dr. Patrick Oei

16.04.2025

Zölle strapazieren Lieferketten und Handelsbeziehungen. Was sagt das Recht zu Vertragsanpassungen und zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen?

Eine weitere Eskalation im internationalen Zollkonflikt scheint aus europäischer Sicht vorerst abgewendet. US-Präsident Trump hat am 9. April 2025 die Zölle von 20% gegen die EU für 90 Tage ausgesetzt. Die EU reagierte prompt und hat ihrerseits am 10. April 2025 verkündet, Gegenzölle, unter anderem auf Motorräder, Tabak, Rindfleisch und Zitrusfrüchte, für 90 Tage ruhen zu lassen. Was danach passiert ist ungewiss.

Für Unternehmen, die als Käufer zu verzollender Waren von den Abgaben betroffen sind, bleibt die Frage, wie sie mit den Mehrkosten umgehen und ob sie diese in der Lieferkette an ihre eigenen Kunden weiterreichen können. Dies ist in langfristigen Lieferverträgen problematisch, da diese typischerweise Festpreise vorsehen und Mehrkosten damit nicht ohne Weiteres auf den Vertragspartner abgewälzt werden können.

Umgekehrt stellt sich für den Vertragspartner die Frage, wie er Ansprüche der Lieferanten abwehren kann. Fehlen in den Verträgen klare Regelungen, drohen (gerichtliche) Auseinandersetzungen.

Gesetzliche und vertragliche Risikoverteilung für Zölle

Betroffene Unternehmen sollten zur Risikobewertung in einem ersten Schritt ermitteln, wer die gestiegenen Kosten aufgrund der neuen Zölle überhaupt zu tragen hat. Dabei ist zwischen der zollrechtlichen Pflicht, Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben zu entrichten (sog. Zollschuld), und der vertraglichen Risikoverteilung zu unterscheiden.

Aus zollrechtlicher Sicht sind Einfuhrzölle in den USA und der EU in der Regel vom Importeur der Waren zu tragen. Die höheren Zölle treffen damit in erster Linie die Unternehmen des eigenen Landes, das die Zölle erhebt, sodass Produkte aus dem Ausland teurer werden.

Die Parteien sind an die zollrechtliche Kostenverteilung nicht gebunden. Ihnen steht es frei, vertraglich abweichende Regelungen zu treffen. Solche Regelungen finden sich teilweise auch in internationalen Handelsklauseln. Beispielsweise enthalten die Incoterms der Internationalen Handelskammer (ICC) die Klausel Delivered Duty Paid (DDP), wonach die Kosten für Einfuhrzölle grundsätzlich dem Verkäufer zugewiesen sind. Unternehmen sollten ihre Lieferverträge daher daraufhin prüfen, ob ihnen oder dem Vertragspartner das Risiko für höhere Zölle zugewiesen ist und diesen Punkt bei künftigen Vertragsverhandlungen und den eigenen Lieferverträgen ausdrücklich adressieren.

Ob sich Unternehmen, die die Kosten für die höheren Zölle zu tragen haben, von ihren bereits geltenden Pflichten lösen oder eine Vertragsanpassung verlangen können, richtet sich nach dem jeweiligen Vertragswerk und anwendbaren Recht. Zu denken ist dabei insbesondere an Force Majeure, Wirtschaftsklauseln und den Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Zölle als Force Majeure?

Lieferverträge enthalten typischerweise Klauseln zur höheren Gewalt (Force Majeure). Aus Sicht des deutschen Rechts wird die Auslegung von Force Majeure-Klauseln maßgeblich durch die Rechtsprechung geprägt. Der Bundesgerichtshof definiert "höhere Gewalt" als "ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis" (Urt. v. 16.5.2017, Az. X ZR 142/15, Rn. 8).

Die betroffene Partei kann sich bei Force Majeure von ihren vertraglichen Pflichten lösen, ohne schadensersatzpflichtig zu werden. Trotz ihres historischen Ausmaßes dürften Zölle der USA grundsätzlich keinen Fall höherer Gewalt darstellen, da Zölle regelmäßig erhoben werden und sie unmittelbar mit der Warenlieferung verbunden sind. Damit dürfte ein "betrieblicher Zusammenhang" bestehen.

In der aktuellen Debatte wird der Zollkonflikt medial als "Handelskrieg" eingeordnet. "Krieg" gehört zu den klassischen Anwendungsbeispielen von Force Majeure-Klauseln. Zwar lässt sich der Begriff "Krieg" nicht auf physische oder gewaltsame Auseinandersetzungen reduzieren. Gleichwohl gelten Force Majeure-Klauseln nur in Ausnahmefällen und müssen daher grundsätzlich eng ausgelegt werden. Die Force Majeure-Klausel 2020 der ICC bestätigt diese Auslegung, da sie klar zwischen "Krieg" und handelsbezogener Ereignisse wie "Währungs- und Handelsbeschränkungen, Embargos und Sanktionen" differenziert.

Selbst wenn Zölle ein Ereignis höherer Gewalt sein sollten, müssen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Force Majeure-Klausel erfüllt sein. Insbesondere muss eine Partei durch ein Ereignis höherer Gewalt an ihrer Leistung gehindert werden. Bei Zöllen sind Unternehmen aber nicht an ihrer Leistung gehindert, sondern die Produkte werden in erster Linie teurer. Etwas anderes kann gelten, wenn Produkte aufgrund von Störungen in der Lieferkette nicht mehr verfügbar sind. Eine abschließende Bewertung kann daher nur im Einzelfall vorgenommen werden.

Wirtschaftsklauseln

Für den Fall grundlegender Änderungen technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Umstände können Lieferverträge sog. Wirtschafts- oder "Hardship"-Klauseln enthalten. Hiernach kann eine Vertragspartei verlangen, dass die Vertragsbestimmungen den geänderten Verhältnissen entsprechend angepasst werden. Anders als bei Force Majeure geht es also um eine Anpassung des Vertrages und nicht um eine Befreiung von den vertraglichen Pflichten.

Wirtschaftsklauseln setzen tatbestandlich außergewöhnliche Umstandsänderungen voraus. Typische Marktschwankungen sind vorhersehbar. Daher ist die Überschreitung einer gewissen Erheblichkeitsschwelle erforderlich. Ob diese Grenze überschritten wurde, entzieht sich einer pauschalen Beurteilung und ist durch Auslegung der jeweiligen Wirtschaftsklausel anhand des Parteiwillens zu ermitteln. Für dessen Ermittlung sind auch Begleitumstände, etwa die Korrespondenz und die Vorgeschichte des Vertrages, heranzuziehen.

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Vertragsparteien können einen Anspruch auf Vertragsanpassung bzw. Rücktritt vom Vertrag haben, wenn aufgrund der höheren Zölle die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegen (§ 313 BGB). Bei einer vertraglicher Risikozuweisung z.B. durch die Verwendung von Incoterms ist die Anwendbarkeit der Regelung aufgrund ihrer Subsidiarität allerdings zweifelhaft.

Selbst wenn dies zu bejahen wäre und stabile Zölle zur Geschäftsgrundlage geworden sind, müsste eine Fortsetzung des Vertrags zu den neuen Kosten unzumutbar sein. Unzumutbarkeit setzt nach dem Bundesgerichtshof voraus, dass das Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde (Urt. v. 26.09.1996, Az. I ZR 194/95, Rn. 31). Die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage sind enger als diejenigen der Wirtschaftsklausel, da die Anwendung des § 313 BGB einen Eingriff in den Vertrag bedeutet. Eine Wirtschaftsklausel reflektiert demgegenüber den Parteiwillen. Ebenso sind Art und Zweck des Vertrags zu berücksichtigen, sodass z.B. an Verträge mit spekulativen Elementen oder an Langzeitverträge mit Festpreisen besonders hohe Anforderungen an die Störung der Geschäftsgrundlage zu stellen sind.

Für die Schwelle der "Unzumutbarkeit" der Leistung gibt es keine festen Grenzwerte. So lehnte der Bundesgerichtshof beispielsweise die Unzumutbarkeit bei einer Kostensteigerung um 30% aufgrund gestiegener Produktionskosten ab (Urt. v. 11.03.1993, Az. I ZR 27/91). Sollten die USA und die EU die Zölle in der bisherigen Höhe wieder in Kraft setzen (d.h. zwischen 20-30%), wäre diese Schwelle noch nicht überschritten.

Der internationale Zollkonflikt pausiert, kann aber jederzeit wieder akut werden. Spätestens nach Ablauf der 90 Tage wird sich zeigen, wie es weitergeht. Für Unternehmen bietet die Auszeit eine Gelegenheit, Lieferketten und Verträge zu prüfen. Klar ist nun noch mehr als nach Corona: Internationale Lieferketten bedürfen eines proaktiven Risikomanagements. Eine langfristige Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen darf nicht mehr als selbstverständlich angenommen werden.
 

Thomas RuthemeyerPatrick OeiDr. Thomas Ruthemeyer ist Rechtsanwalt und Counsel bei Hengeler Mueller und auf das Öffentliche Wirtschaftsrecht spezialisiert. Er berät Unternehmen, Investoren und Körperschaften, die vor regulatorischen Herausforderungen stehen.

Dr. Patrick Oei ist Rechtsanwalt und Senior Associate bei Hengeler Mueller. Er ist auf das Öffentliche Wirtschaftsrecht und regulierte Industrien spezialisiert und berät Investoren, Unternehmen und Körperschaften zu allen öffentlich-rechtlichen und regulatorischen Fragen.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

Zölle als Force Majeure?: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57015 (abgerufen am: 28.04.2025 )

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