Anwälte und Künstler könnten unterschiedlicher wohl nicht sein: pragmatisch und absichernd die einen, experimentell und freiheitsliebend die anderen. Eine Veranstaltung in Hamburg bringt beide Gruppen zusammen – und alle profitieren.
Eine Handvoll Menschen steht in kleinen Booten, umringt von Gischt und Wellen. Im Hintergrund könnte ein Dampfer vorbeifahren oder eine hohe Wand stehen. Eine Frau trägt eine Laute, vielleicht spricht sie mit ihrem Nebenmann, vielleicht singt sie. Eine Person hilft einer weiteren von einem kleineren Boot in das ihrige - oder stößt sie sie weg? Am Bug blickt ein Mann, mit der Hand die Augen abschirmend, in die Ferne. Nur wohin?
Dieses Gemälde hängt nicht etwa in einem Museum, sondern in den Räumen der Hamburger Kanzlei Chatham Partners und gehört zur privaten Sammlung des Gründungspartners Dr. Michael Schäfer. Es ist ein Donnerstagabend im November, die "Add Art" hat begonnen. "Hamburgs Wirtschaft öffnet Türen für Kunst" lautet der Slogan der mehrtägigen Veranstaltung. Die Add Art ist der Grund, warum die Anwälte von Chatham Partners fremde Menschen durch ihre Flure flanieren lassen, um Kunstwerke zu betrachten.
"Es gibt zahlreiche Orte, an denen Kunst öffentlich zugänglich ist, etwa in Museen und Galerien. Unternehmen würden viele wohl im ersten Moment weniger mit Kunst und Künstlern assoziieren", sagt Hubertus von Barby. Von Barby, einer der Geschäftsführer der Medienagentur newskontor, leitet das Projekt. "Mit der Add Art wollen wir zeigen, dass Kunst in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert hat und Unternehmen als wichtige Kunstförderer agieren." Insgesamt 18 Firmen nahmen in diesem Jahr an der Veranstaltung teil, beinahe ein Drittel von ihnen Kanzleien. Seit 2012 gibt es die Add Art in Hamburg. Das Vorbild heißt "Kunst privat!" und findet seit mehreren Jahren in Frankfurt statt.
Ein Leben für die Kunst
Chatham Partners sind in diesem Mal zum ersten Mal dabei. Nicht überraschend, denn die Kanzlei wurde als Spin Off von Freshfields Bruckhaus Deringer erst im Mai dieses Jahres gegründet. Schäfer, einer von drei Gründungspartnern, ist im Öffentlichen Wirtschaftsrecht tätig und leidenschaftlicher Kunstsammler. Bereits im Jugendalter interessierte ihn die Kunst. "Ich hatte das Glück, durch meinen Schullehrer als Jugendlicher Joseph Beuys kennenzulernen", erzählt Schäfer. Das war Anfang der 80er Jahre.
Damit stand die Richtung fest: zeitgenössische Kunst. "Seit ich mir echte Werke leisten kann, kaufe ich Bilder und Objekte verschiedener Künstler", sagt Schäfer. "Als Sammlung würde ich das allerdings nicht bezeichnen. Denn niemand kuratiert die Werke, sie folgen eher dem persönlichen Geschmack von meiner Frau und mir."
Die Kunsthistorikerin, die an diesem Abend die Gruppe Interessierter durch die Kanzleiräume führt, ist da anderer Meinung. Wiederholt lobt sie Schäfer, dass die Bilder ganz hervorragend zusammengestellt seien. Etwa die mannshohe Zeichnung einer Künstlerin, die in zarten Linien auf hellem Hintergrund ihre Spaziergänge und Eindrücke durch den Central Park wiedergibt. Sie führt auf verästelten Bleistiftlinien durch den New Yorker Park.
Direkt daneben ein klares, leuchtend gelbes Werk, welches durch verwirrend angeordnete, dicke schwarze Pfeile die Orientierung der Betrachtenden aushebeln möchte. Für die Kunsthistorikerin ein aussagestarker Gegensatz zwischen beiden Bildern.
Die Kunstwerke, die Wände und Fantasie beleben, umfassen längst nicht die komplette Sammlung des Ehepaars. "Einige Werke hängen noch bei einer anderen Kanzlei, andere lagern im Archiv, bis wir wieder umhängen", sagt Schäfer. "Wenn Sie genau hinsehen, finden Sie noch einzelne Nägel in den Wänden. Wir kommen manchmal mit dem Streichen nicht mehr nach", fügt er lachend hinzu.
2/3 Zerquetschte Bananen im Konferenzsaal
Unternehmen und Kanzleien beherbergen nicht nur private Sammlungen. Die Corporate Sammlung von Buse Heberer Fromm beispielsweise wurde so groß und der Künstler derart berühmt, dass eigens dafür eine Stiftung gegründet wurde. Einer der Gründungspartner von Buse bewies vor Jahrzehnten ein glückliches Händchen mit der Wahl des Künstlers, den er damals förderte. Dieser bekam in den früheren Räumen der Kanzlei ein eigenes Atelier und sogar Wohnräume zur Verfügung gestellt. Die Werke hängen heute im New Yorker Museum of Modern Art oder im Tate Britain in London. Geschaffen wurden sie von Dieter Roth.
Roths Schimmelmuseum befand sich in den früheren Buse-Räumen in Hamburg, bevor es abgerissen wurde. Heute steht dort das Dieter Roth Museum, ein Privatmuseum mit angegliedertem Werkarchiv. "Bei uns in der Kanzlei hängt ausschließlich Dieter Roth. Einige der Werke sind sogar bei Hamburg-Aufenthalten des Künstlers direkt in unseren Räumen entstanden. Ein Kurator sorgt dafür, dass die Zusammenstellung der Werke stimmig ist", sagt Dr. Christina Berking, Partnerin bei Buse. "Ab und zu hängen wir um, das regt die Sinne an."
Anders als die Kanzlei ist die Dieter Roth Foundation stets für die Öffentlichkeit geöffnet. "Wir nehmen an der Add Art teil, damit die Werke in unseren Räumen auch von anderen Menschen besichtigt werden können. Nach der Führung sind alle begeistert, dass sie diesen Schatz entdeckt haben", erzählt Berking. "Manche kommen dafür extra von sehr weit her."
"Kunst als Eisbrecher"
Die Kunstwerke sind nicht nur schön anzuschauen, sondern helfen auch bei den kleinen Herausforderungen des Anwaltsalltags. Etwa dann, wenn gegnerische Parteien im großen Meetingraum aufeinandertreffen und niemand weiß, wie man das Gespräch beginnen könnte. "Dann wirkt die Kunst als Eisbrecher", sagt Berking. "Im Konferenzraum hing jahrelang eine durch eine Druckerpresse gezogene Banane, auf ein weißes Tuch gepresst, direkt über dem Tisch. Über vier Meter lang und 60 Zentimeter breit. Heute hängen dort bunte Zuckermatten", erzählt die Kunsthistorikerin und Anwältin für Urheberrecht. "Über derart ungewöhnliche Werke entsteht oft ein ungezwungenes Gespräch."
Das würde Add Art-Initiator von Barby erfreuen: "Ich empfinde es als wichtig, vor allem auch diejenigen anzusprechen, die sich nicht jeden Tag mit Kunst beschäftigen." Dass er dieses Ziel erreicht hat, merkt von Barby daran, dass die Werke mittlerweile länger in den Unternehmen verbleiben, weit über den Zeitraum der Add Art hinaus.
3/3 "Werke brauchen Zeit um zu wirken"
So wie bei vangard. Die Arbeitsrechtssozietät lässt die Werke, die sie extra für die Veranstaltung in den Hamburger Kanzleiräumen kommen lässt, bis zu zwei Monate für Mitarbeiter, Mandanten und Besucher hängen. "Die Werke brauchen Zeit um zu wirken", meint der Partner Henning Müller. "Außerdem haben die Bilder positive Auswirkungen auf das Arbeitsklima. Sogar diejenigen, die sich anfangs neutral bis skeptisch zeigten, merken plötzlich, dass etwas fehlt, als die Bilder wieder abgehängt wurden. Die Kunst hinterlässt ihre Spuren in den Menschen."
Doch der Hauptgrund, weshalb Müller die Add Art vor drei Jahren in die Kanzlei geholt hat, ist ein anderer: "Wir finden es großartig, auf diese Art junge Künstler zu fördern. Das passt zu unserer Kanzleiphilosophie, die großen Wert auf die Nachwuchsausbildung legt", sagt Müller. Die Kanzlei hat daher die Option gewählt, Kunst von Studierenden der HAW Hamburg temporär in ihren Räumen zu zeigen.
"Wir möchten jungen Künstlern eine Plattform bieten, denn für sie gibt es nur wenige Möglichkeiten, vor Publikum auszustellen." Werden die Künstler ausgewählt, produzieren sie schon mal weitere Werke, um die langen Flure in der Sozietät auch zu füllen. vangard montierte für diesen Zweck extra Galerieleisten und Nylonschnüre.
Kunst als Corporate Identity
"Für die Anwälte ist es inspirierend, bei der Betrachtung der Bilder von den üblichen Denkmustern abzuschweifen. In andere Gedankenwelten einzutauchen, ist spannend", erzählt Müller. Spannend ist für ihn auch der Moment, wenn die Werke in die Kanzlei gebracht werden. Manch provokante Kunst lässt reichlich Diskussion entstehen, andere Bilder verzücken beim Betrachten.
Neben vangard, Buse Heberer Fromm und Chatham Partners nahmen an der diesjährigen Add Art weitere Hamburger Kanzleien teil. KSP Rechtsanwälte gewähren Einblicke in eine Dauerausstellung eines Künstlers, der seine Kunst als 'Skurrilen Irrationalismus' bezeichnet. Und in der Boutique für Medien- und Urheberrecht Art Lawyer konnten Interessierte die private Sammlung des Anwalts Jens O. Brelle betrachten. Brelle fördert Nachwuchskünstler mit spontanen Käufen. Seine Kunstliebe geht so weit, dass er sich gar sein privates Wohnhaus von Künstlern umgestalten ließ.
Bei Chatham Partners ist die Gruppe mittlerweile wieder im Eingangsbereich angekommen. Dort hängt ein großes, quadratisches Bild eines mexikanischen Künstlers. Blassrote geometrische Formen ergänzen sich zu einem großen runden Gebilde, welches laut der Kunsthistorikerin die "Gesamtheit der Kunst und alles was sie ausmacht" darstelle. Auch die Anwälte schien das Bild nachhaltig zu beeindrucken, denn es ist in die Corporate Identity der Kanzlei eingegangen. Legt man alle Visitenkarten nebeneinander, entsteht wieder genau dieses Gemälde. In diesem Moment verschmelzen Kanzlei und Kunst miteinander.
Désirée Balthasar, Anwälte als Kunstförderer: "Kunst hinterlässt ihre Spuren" . In: Legal Tribune Online, 29.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21294/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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