Guido Kleve ist Großkanzlei-Anwalt und Schiedsrichterassistent in der Fußball-Bundesliga. Wie diese zwei zeitintensiven Tätigkeiten zusammengehen und was passiert, wenn der Mandant kurz vor dem Champions-League-Spiel anruft.
Wenn Guido Kleve den Raum betritt, beschleicht einen das Gefühl, ihn schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Und in der Tat: Jeder Fußballinteressierte dürfte sein Gesicht kennen – von mehr als 160 Bundesliga-Spielen, gut 80 internationalen Begegnungen und zwei DFB-Pokal-Endspielen. Denn Kleve hat ein "professionelles Hobby", wie er es nennt: Er ist Schiedsrichter-Assistent in der Fußball-Bundesliga. Und hauptberuflich Partner im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht bei DLA Piper in Köln.
Kleve ist längst nicht der einzige Jurist, der am Wochenende Bundesliga-Spiele pfeift. Schiedsrichter-Assistent Holger Henschel ist Anwalt in einer Kanzlei in Braunschweig. Felix Brych ist promovierter Jurist und Tobias Stieler war früher Arbeitsrechtler bei Hogan Lovells, hat dem Anwaltsberuf aber inzwischen den Rücken gekehrt.
Einen besonderen Zusammenhang zwischen Jura und Schiedsrichterei sieht Kleve allerdings nicht. Es gebe auch viele Polizisten unter den Schiedsrichtern, gibt er zu Bedenken. "Gemeinsam ist beiden Berufsgruppen womöglich die Art der Denke: Sie wollen einschreiten und für Gerechtigkeit sorgen."
Er war jung und wollte das Geld
Kleve ist allerdings nicht nur aus reinem Idealismus "Schiri" geworden. Als 14-Jähriger will er unbedingt ein Moped haben, soll es aber selbst bezahlen. In seinem Fußballverein wird den Jugendlichen angeboten, den Schiedsrichterschein zu machen – der junge Guido schlägt ein. Für ihn ist es zunächst einmal eine Möglichkeit, Geld zu verdienen. "Außerdem dachte ich mir, dass man als Fußballspieler nicht immer nur auf den Schiri schimpfen, sondern auch einmal versuchen sollte, es selbst zu machen - vielleicht auch besser zu machen", sagt er im Rückblick.
Heute ist Kleve 40 Jahre alt und hat mittlerweile gezeigt, dass er es sehr gut macht. Über die Jahre ist er zum Bundesliga- und Fifa-Schiedsrichter-Assistenten aufgestiegen, darf also neben den Bundesliga- und DFB-Pokalspielen auch internationale Spiele begleiten.
Schiedsrichter sind Leistungssportler
Wie zeitaufwendig sein ungewöhnliches Hobby ist? "Darüber denke ich lieber nicht nach", sagt Kleve und lacht. Denn 90 Minuten an der Seitenlinie zu stehen ist noch lange nicht alles. Vielmehr wird jedes Spiel akribisch vorbereitet: Die Schiedsrichter machen sich durch Videoanalyse mit den Spielertypen und den Taktiken der Mannschaften vertraut. Hat Kleve einen Einsatz, ist er insbesondere am Wochenende zwei bis drei Tage unterwegs – und darunter leidet dann vor allem das Familienleben.
Außerdem ist die Schiedsrichtertätigkeit Leistungssport. Die Unparteiischen müssen so fit sein wie die Spieler auf dem Platz, deshalb steht regelmäßiges Training auf dem Plan. "Schiedsrichter laufen pro Spiel zehn bis dreizehn Kilometer, die Assistenten immerhin fünf bis acht", sagt Kleve. Im Gegensatz zu den Fußballprofis hat er allerdings noch einen Hauptberuf. Er gibt zu, dass es viel Selbstdisziplin erfordert, sich nach einem langen Arbeitstag noch zum Sport aufzuraffen.
Andere golfen oder segeln
Andere Großkanzlei-Anwälte entspannen auf dem Golfplatz, beim Segeln oder bei der Gartenarbeit - Kleve dagegen findet im Fußballstadion den "perfekten Ausgleich zum Job", wie er sagt. Dabei verlangen ihm sowohl der Anwaltsberuf als auch die Schiedsrichterei einiges ab. Auf dem Platz wie in der Kanzlei spielten Belastbarkeit, Fokussierung auf bestimmte Punkte, Führungsstärke und die Fähigkeit – und der Wille – eine Entscheidung zu treffen, eine zentrale Rolle, meint Kleve. Auch in Verhandlungen gebe es die typischen "Fahne rauf oder Fahne runter"-Momente: "In kurzer Zeit muss eine Entscheidung gefällt werden. Danach geht es darum, diese Entscheidung auch gut zu verkaufen."
Manche Kniffe der Schiedsrichterei hat Kleve auf seinen Beruf übertragen, zum Beispiel die vorausschauende Betrachtung von Taktik und Spielweise und die Analyse der Körpersprache. Denn damit machen die Schiedsrichter ihre Nachteile wett. Kleve erklärt das so: "Der Dortmunder Stürmer Aubameyang läuft 30 Meter in 3,7 Sekunden, er ist schneller als Usain Bolt - da kann ich nicht mithalten". Was er allerdings kann: Den Laufweg des Stürmers vorwegdenken und dessen Schnelligkeit so ausgleichen.
Mandantenanrufe vor dem Spiel
Kleve lebt ganz offensichtlich nach dem Sportler-Motto "Höher, schneller, weiter" – auch als Anwalt. In diesem Jahr ist er zum Partner ernannt worden, damit ist er deutschlandweit der erste und bislang auch einzige männliche Partner in Teilzeit bei DLA Piper. Seine 80-Prozent-Stelle gebe ihm "die Flexibilität für die Spiele", sagt er. Ansonsten legt er aber Wert darauf, die gleichen Anforderungen wie die 100-Prozent-Partner zu erfüllen. "Wer in einer Großkanzlei arbeiten will, dem sollte klar sein, dass er viel arbeiten muss", sagt Kleve. "Auf einer Teilzeitstelle rumlungern und nichts tun, das geht nicht."
Ob er im Hotelzimmer oder in der Kanzlei arbeitet, ist für ihn zweitrangig. "Alles steht und fällt damit, dass ich für die Mandanten erreichbar bin und mich um deren Probleme kümmere", sagt er. Deshalb kommt es hin und wieder vor, dass kurz vor einem wichtigen Spiel das Telefon klingelt und ein Mandant eine Frage geklärt haben will. So geschehen bei dem legendären Champions-League-Achtelfinale Barcelona - Paris St. Germain im März dieses Jahres. Für Kleve ein Highlight seiner Schiedsrichterkarriere. "Bislang haben alle Verständnis gehabt, wenn ich die Rechtsfrage nicht sofort gelöst habe", sagt er und schmunzelt.
Aufhören, wenn er den eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt
Stress und Leistungsdruck sind für Kleve jedenfalls keine Gründe, auch nur darüber nachzudenken, die Schiedsrichtertätigkeit aufzugeben. Etwas ganz anderes hat ihn aber nachhaltig erschüttert: Der Wettskandal 2005, als sich herausstellte, dass einige Schiedsrichter Spiele so manipuliert hatten, dass sie mit bestimmten Ergebnissen endeten, auf die vorher gewettet worden war.
"Das hat die Grundwerte der Schiedsrichterei in Frage gestellt", sagt Kleve. "Die Vorbildfunktion, die Neutralität und die Aufgabe, auf dem Platz für Fairness zu sorgen." Der Skandal habe viel Kraft gekostet, zumal die ganze Schiedsrichter-Zunft in Sippenhaft genommen wurde. Nun kommt auch der Jurist aus ihm hervor: "Verletzung der Integrität, strafbares Verhalten – so etwas brauche ich als Anwalt nicht."
Über sich selbst und sein Selbstverständnis als Schiedsrichter sagt Kleve, dass er immer versuche, eine einwandfreie Leistung zu bringen. Die Pfeife will er erst dann an den Nagel hängen, wenn er den Ansprüchen, die er an sich selbst in Sport und Beruf stellt, nicht mehr genügt.
Anja Hall, Ein Anwalt als Fußballschiedsrichter: Zwischen Mandat und Stadion . In: Legal Tribune Online, 28.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24757/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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