LG Frankfurt zum Fall Alexander Falk: Schuss auf Anwalt ist Angriff auf den Rechts­staat

von Pia Lorenz

09.07.2020

Das LG Frankfurt ist überzeugt, dass Alexander Falk den Schuss auf einen Wirtschaftsanwalt im Jahr 2010 in Auftrag gab. Er habe sich an ihm rächen wollen, weil der sein Vermögen pfändete. Seine Anwälte kritisierte das Gericht scharf. 

Alexander Falk verließ am Donnerstag das Landgericht (LG) Frankfurt als freier Mann. Nach 22 Monaten, zuletzt seit März wegen der Coronakrise wegen Quarantäne nach jedem Verhandlungstag faktisch in Einzelhaft, hob die 22. Strafkammer den Haftbefehl gegen den Stadtplanverlags-Erben auf. 

Das war allerdings auch schon das Beste, was der Vorsitzende Dr. Jörn Immerschmitt am Donnerstag für den 50-Jährigen zu verkünden hatte. Das Gericht hat den Hamburger Unternehmer wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Kammer zeigte sich überzeugt, dass der Stadtplanverlags-Erbe den Auftrag zu einem Schuss auf einen Wirtschaftsanwalt im Jahr 2010 gegeben hat, der damals eine Millionenklage gegen Falk vorbereitete (Urt. v. 09.07.2020, Az. 6340 Js 207925/16). 

Falk hat die Vorwürfe stets bestritten, sein Verteidiger noch am Dienstag auf Freispruch plädiert. Nun blieb das Gericht unterhalb der Forderung der Staatsanwaltschaft, die sechs Jahre Haft für den Unternehmer gefordert hatte. Es sei ein Indizienprozess gewesen, keines der Beweismittel habe die Kammer allein von der Täterschaft des Beschuldigten überzeugt, betonte der Vorsitzende. In einer Zusammenschau mehrerer Kriterien aber sei die Kammer sich sicher, dass Falk hinter dem Schuss auf den Anwalt stecke. 

"Sie wollten Ihre Ehre wieder herstellen"

Der Vorfall, um den es geht, liegt mittlerweile zehn Jahre zurück. Anfang 2010 wurde ein Prozessrechtler, Partner bei DLA Piper in Frankfurt, auf dem Weg in die Kanzlei angeschossen und schwer verletzt.

Falks Motiv sieht das Gericht in einem Verfahren vor dem Hamburger LG um manipulierte Umsätze beim Verkauf von Falks Firma Ision an ein britisches Telekommunikationsunternehmen im Jahr 2000. Das spätere Opfer bereitete damals - bis Ende 2009 noch für die Kanzlei Clifford Chance - eine zivilrechtliche Millionenklage gegen Falk vor. Auch um Pfändungsmaßnahmen ging es, darunter Bankkonten, zwei Yachten und Grundstücke, die Falk gehörten. Aus kurzer Entfernung wurde auf den Anwalt geschossen, dieser wurde ins Bein getroffen. 

Falk habe den Anwalt und seinen Kollegen, die bei Clifford Chance als Associates für das Betreiben der Zwangsvollstreckung verantwortlich waren, gehasst, argumentierte das Gericht. Gegen ihn lief seit Jahren ein Strafverfahren wegen Betrugs beim Verkauf von Ision, Falk sei in einer Extremsituation gewesen. Von den Wirtschaftsanwälten habe er sich verfolgt gefühlt "wie von jagenden Hunden", zitierte der Kammervorsitzende aus einer Mail von Falk. Es gab eine Pfändung im Haus, am Mobiliar der Familie Falk, auch den Versuch einer Taschenpfändung habe der promovierte Jurist veranlasst. Dafür habe Falk Rache an diesem üben wollen, so Immerschmitt. "Sie wollten Ihre Ehre wieder herstellen und Dr. J. zeigen, mit wem er es zu tun hat". 

Dabei habe der Jurist keinerlei persönlichen Feldzug gegen Falk gefahren, sondern als Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege rechtmäßig sein Mandat wahrgenommen. Der Angriff sei, so Immerschmitt, auch ein "Angriff auf den Rechtsstaat" gewesen.

Dr. J. sei auch keiner der Anwälte gewesen, "die im Maßanzug auftraten", sagte der Richter. Immer wieder ging es während der Urteilsverkündung um die Vermögensverhältnisse des Unternehmers, der zeitweise zu den 100 reichsten Deutschen gehörte.  

"Die Grenzen zulässiger Verteidigung mehrfach überschritten"

Weil Falk so vermögend ist, könne er sich teure Anwälte leisten und Gutachten wie eines zur Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen anfertigen lassen - die aus seiner Sicht nicht nötig gewesen wären, daran ließ Richter Immerschmitt keinen Zweifel. Während der ersten Viertelstunde seiner Urteilsbegründung spricht er zu Falk; aber nicht über ihn und die Tat, die die Kammer ihm vorwirft. Zuerst entschuldigt er sich, falls bei Falk der Eindruck entstanden sein sollte, es gehe dem Gericht um die Bewertung seines Charakters. "Menschen sind vielschichtig, auch Sie.". Auch ein "beeindruckender" Familienvater von fünf Kindern könne punktuell strafrechtliche Schuld auf sich laden. "Wie es nicht nur das Gute gibt, gibt es auch nicht nur das Böse."

Für Falks Anwälte hat Immerschmitt dagegen nur wenig positive Worte übrig. Ihre Strategie, von Anfang an auf Freispruch zu setzen, sei zwar legitim, aber mit einer Imagekampagne einhergegangen, die auch ursächlich für ein "schwieriges Klima" in dem Prozess gewesen sei. Zwar sei das besser geworden, seit Daniel Wölky die Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger und danach auch das Falk-Verfahren verlassen habe. Die sachlichere Verteidigungsstrategie seiner neuen Verteidigerin, Dr. Kerstin Stirner, hebt Immerschmitt gar lobend hervor. Er zeigt sich auch um Selbstkritik bemüht, auch er selbst, mit öffentlichkeitswirksamen Verfahren nicht vertraut, müsse sich fragen, ob nicht ein besserer Umgang möglich gewesen wäre. 

Verteidiger Prof. Dr. Björn Gercke, der von Anfang an dabei war, aber definiere die Grenzen zulässiger Verteidigung weiter als er selbst – aus Sicht von Immerschmitt hat die Verteidigung diese "mehrfach überschritten". Es sei zum Teil beleidigend gewesen, wie die Verteidiger mit Staatsanwältin Nicole Metcalf umgegangen seien. "Sie waren überheblich, nicht sachlich und transparent". Und sogar einschüchternd, wenn sie aus deren Lebenslauf ebenso zitiert hätten wie aus seinem eigenen. 

Schließlich habe es auch an der an die Medienrechtskanzlei Hoecker ausgelagerten Medienarbeit der Verteidigung gelegen, dass das Verfahren so hart geführt worden sei. So habe etwa das Eingangsstatement der Verteidiger die Presse vor der Kammer erhalten.

Was die Kammer überzeugte

Es ist emotional, das steht fest. Die anfängliche Strategie der Verteidigung, die Unschuld Falks mit dem Argument zu unterfüttern, er habe das spätere Opfer gar nicht erst für wichtig genug gehalten, um ihm etwas antun zu wollen, bezeichnete der Kammervorsitzende nicht nur als schnell widerlegt. "Dr. J. spielte eine tragende Rolle in dem Arrestverfahren. Der Partner bei Clifford Chance, für die er damals tätig war, ließ ihm sehr viel Spielraum für eigene Entscheidungen und das wussten Sie sehr wohl. Das abzustreiten, war eine arrogante, überhebliche Entgleisung gegenüber dem Opfer einer Straftat, die ich nicht gut fand".

Die Aussage des Anwalts, das sich nach der Tat noch im Krankenwagen überzeugt zeigte, dass Falk hinter dem Schuss stecke, war eines der vier Kriterien, die die Kammer von der Schuld des Angeklagten überzeugt haben. 

Das wichtigste Indiz für die Kammer war offenbar aber die sogenannte Oma-SMS, die einer der Männer, die Falk mit der Ausführung der Gewalttat beauftragt habe, kurz vor deren Begehung an ihn sandte. Falk befand sich im Ausland, laut der Kammer, um notfalls ein Alibi zu haben, falls der Verdacht auf ihn fiele. Er solle sich keine Sorgen machen, man fahre jetzt nach Hamburg, so sinngemäß der Text, um alles vorzubereiten, damit Oma ihren verdienten Kuraufenthalt antreten könne. Die Oma, das sei das Opfer, der Kuraufenthalt eine behandlungsbedürftige Verletzung; der Hinweis auf Hamburg beziehe sich auf einen ganz ähnlichen Anschlag in der Boxerszene, den einer der beauftragten Brüder zuvor in Hamburg begangen habe. Weder Falk noch die beiden Brüder hätten eine Großmutter, es gebe keine andere Interpretation. Auch er selbst habe diese nicht entkräften können. Seine Begründung, er hätte eine so belastende SMS wohl kaum auf seinem Handy gelassen, bis die Staatsanwaltschaft vor der Tür steht, überzeugte die Kammer nicht: "Fehler passieren", so Immerschmitt. 

Trotz Bearbeitung gewürdigt: die Audiodatei 

Auch das Beweismittel, auf das Staatsanwältin Nicole Metcalf ihre Anklage hauptsächlich stützte, hat die Kammer verwertet. Zwar wurde die Audiodatei, auf der zu hören ist, wie Falk nach dem Anschlag auf den Juristen sagt, er habe gejubelt, ausweislich eines Gutachtens bis zu 55-mal nachträglich bearbeitet. Aber "es gibt keinen Grundsatz, dass bearbeitete Augenscheinsobjekte nicht gewürdigt werden dürften", begründete der Vorsitzende die Entscheidung des Gerichts. 

Der Sachverständige habe gesagt, dass eine völlige Sinnentstellung durch die Bearbeitung möglich, aber nicht wahrscheinlich sei, Technik und Aufwand seien nicht professionell genug. Auch Falk selbst habe nicht gesagt, dass der wiedergegebene Dialog zwischen ihm und mehreren Männern aus der Hamburger Unterwelt, unter ihnen die beiden, die er mit der Tatausführung beauftragt haben soll, auf der Audiodatei völlig sinnentfremdet worden sei. Die Schnitte könnten auch zur Verbesserung der Verständlichkeit gedient haben, zum Beispiel um Hintergrundgeräusche auszuschneiden wie etwa das Essen und Trinken der Teilnehmer an dem Gespräch in einem Hamburger Steakrestaurant. 

Schließlich habe es auch keine andere sinnvolle Theorie gegeben, weshalb die beiden Brüder den Schuss auf den Anwalt hätten veranlassen sollen, wenn nicht im Auftrag Falks, so Immerschmitt. Die Aussage des Hauptbelastungszeugen E. allerdings, der die Ermittlungen 2017 wieder ins Rollen gebracht hatte, habe man nicht allzu viel Glauben geschenkt, vor allem, weil er von den beiden damals involvierten Kanzleien Clifford Chance und DLA Piper insgesamt 100.000 Euro für die Informationen über den Anschlag erhalten habe. 

"Angriff gegen den Rechtsstaat mit hoher krimineller Energie" 

Wann genau Falk den Auftrag erteilt haben soll, auf den Anwalt zu schießen, das ließ das Gericht offen; es soll im Zeitraum zwischen Dezember 2009 und Ende Januar 2010 gewesen, zeigte die Kammer sich überzeugt. Zur wiederholten Ablehnung des Antrags von Falks Verteidigern, die beiden Männer per Rechtshilfe in der Türkei zu vernehmen, die er mit dem Anschlag beauftragt haben soll, äußerte die Kammer sich nicht mehr. 

Beim Strafmaß von vier Jahren und sechs Monaten, mit dem das Gericht unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten sechs Jahren blieb, hat das Gericht zu Lasten von Falk berücksichtigt, dass er sich rächen wollte an einem Anwalt, der seinen Job machte. Und dass dieser Angriff auf den Rechtsstaat mit hoher krimineller Energie erfolgt sei. Ausgeführt von Mitgliedern der Organisierten Kriminalität, "professionell, planmäßig, arbeitsteilig". Mit ihnen habe er sich eingelassen, privat und geschäftlich. Er habe Handlungen aus der Welt dieser Männer, die er in Haft wegen des Wirtschaftsdelikts kennenlernte, in seine kopieren wollen.

Zum Tatzeitpunkt sei Falk bewusst weit weg gewesen, um ein Alibi zu haben. Und die Auswirkungen auf das Opfer und seine Familie sowie auf den anderen Anwalt seien enorm gewesen, beide Anwälte lernten das Schießen, sie hätten in Häusern gelebt, "gesichert wie Fort Knox". 

Zu Falks Gunsten hat die Kammer gewertet, dass die Tat so lange zurückliegt und dass das Strafverfahren gegen ihn sich sehr lang hingezogen und auch seine Familie belastet habe. Auch die jahrelange Erpressung und Bedrohung seitens der Hamburger Kriminellen Geschäftspartner habe die Kammer herangezogen, auch Falk habe Angst um die Sicherheit seiner Familie gehabt - "die besten Jahre waren das sicherlich nicht", so Immerschmitt.

Die Aufhebung des Haftbefehls, die die Kammer seit Monaten auch nach Beginn der Coronakrise abgeleht hatte, obwohl Falk damit wegen ständiger Quarantäne nach den Verhandlungstagen faktisch in Einzelhaft saß, begründete Immerschmitt nun damit, dass keine Verdunklungs- und Fluchtgefahr mehr bestehe. Während der Pandemie wäre es schwieriger, das Land zu verlassen – auch wenn das Falk, mit seinen finanziellen Mitteln, mobiler wäre als andere Menschen. Es sei aber nicht "Stil und Rechtsverständnis der Kammer", ihm das zum Nachteil gereichen zu lassen. 

Falks Verteidiger Gercke hat bereits angekündigt, Revision gegen das Urteil einzulegen. 

Zitiervorschlag

LG Frankfurt zum Fall Alexander Falk: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42161 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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