Anwälte, die sich im steigenden Konkurrenzkampf behaupten wollen, sollten frühzeitig den Beratungsbedarf ihrer Mandanten erkennen und Lösungen dafür entwickeln. Jörg Overbeck zeigt Wege auf, wie das gelingen kann.
Den Begriff "Produkt" nehmen viele Anwälte auch heute noch nicht gerne in den Mund – zumindest nicht, wenn es um ihre eigene Dienstleistung geht. Die Begriffe Beratungsangebot oder –thema werden schon eher verwendet – und beschreiben doch oft dasselbe. Wie auch immer das Kind genannt wird: Angesichts stetig wachsender Konkurrenz müssen sich auch Rechtsberater bereits heute mit dem Bedarf ihrer aktuellen und potenziellen Mandanten von morgen und übermorgen beschäftigen. Das bedeutet: den Bedarf frühzeitig identifizieren und Lösungen entwickeln.
Das dabei gewonnene Know-how kann, in die passenden Formate gegossen, mehrfach genutzt werden. Ein Beratungsangebot geht in Serie – und muss doch nicht von der Stange sein. Es geht also um Beratungsleistungen, die in unterschiedlichen Mandaten in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise erbracht werden und einen konkreten Bedarf des Mandanten befriedigen.
Wie stark die Leistung standardisiert ist und bis zu welchem Grad noch individuelle Bearbeitung erforderlich ist, hängt dabei vom Einzelfall ab: Vom Mustervertrag bis hin zur Beratung komplexer Unternehmenstransaktionen, von der Compliance-Schulung bis hin zum Steuersparmodell ist fast alles denkbar. Manche Produkte sind zeitlose Verkaufsschlager, andere wirtschaftlich erfolgreich nur für einen gewissen, nicht immer absehbaren Zeitraum.
Branchentrends aufgreifen
Wer Produkte erfolgreich verkaufen will, muss den Bedarf beim möglichen Käufer erkennen, er muss in der Lage sein, ihn zur Zufriedenheit des Kunden abzudecken und er muss diese Fähigkeit wirksam kommunizieren. Ein Bedarf kann sich aus zahlreichen Umständen ergeben: Aus Gerichtsurteilen insbesondere der höchsten Instanzen, Gesetzentwicklungen, gesellschaftlichen Veränderungen, Branchen- oder Wirtschaftstrends.
Beratungsprodukte, die Branchen- oder Wirtschaftstrends aufgreifen, sind regelmäßig am erfolgreichsten. Mit ihnen können sich Kanzleien oft eine wirkliche Differenzierung zu anderen Kanzleien aufbauen. Die angebotene Leistung setzt ein Branchen-Know-how voraus, das über die reine Rechtskenntnis hinausgeht.
Mandanten einbinden
Anwälte können die künftigen Bedürfnisse oft bereits aus ihrer täglichen Beratungspraxis ableiten, idealerweise in Kooperation mit ihren Mandanten. Auch bei der Entwicklung der Lösungen ist die frühzeitige Einbindung der Mandanten sinnvoll. Sie wissen oft sehr genau, welche Serviceleistungen sie in Zukunft benötigen oder welche Herausforderungen vor ihnen liegen.
Ein Beispiel: Umfragen unter mittelständischen Unternehmen haben ergeben, dass dem Thema Forschung & Entwicklung (F&E) immer mehr Bedeutung zukommt. F&E ist aber immer aufwändiger. Unternehmen schließen sich daher zunehmend untereinander oder mit Forschungseinrichtungen zusammen, um Ressourcen zu bündeln.
Die Ausgestaltung solcher Forschungskooperationen hat für die Beteiligten zahlreiche rechtliche Aspekte –vom Know-how-Schutz bis zum Beihilferecht. Als Produkte denkbar sind die Beratung der verschiedenen Parteien im Zuge der genannten Forschungskooperationen oder die Prüfung und Bewertung von Risiken für bereits bestehende Forschungskooperationen.
Die Idee kritisch prüfen
Nicht jede Produktidee sollte von jeder Kanzlei auch umgesetzt werden. Im Gegenteil sollten sich die Anwälte bereits zu Beginn eine Reihe von Fragen ehrlich und umfassend beantworten. Dadurch steigen die Chancen, dass das Investment in die Entwicklung eines Produktes sich – buchstäblich – auszahlt.
Solche Fragen sind zum Beispiel:
- Welchen konkreten Mehrwert hat das Produkt für unsere Mandanten?
- Welche Mandanten / Mandantensegmente können wir mit diesem Produkt erreichen?
- Wie hoch ist das Beratungshonorarvolumen?
- Kann das Produkt Türöffner zu weiterer Beratung sein?
- Wie profitabel ist das Produkt?
- Wie aufwändig ist es, dieses Produkt zu entwickeln und an den Markt zu bringen?
- Haben wir das erforderliche Fachwissen und die nötige Erfahrung im Haus oder können und wollen wir das erforderliche Wissen aufbauen oder dazukaufen?
- Welche Risiken sind mit dem Produkt verbunden? Wie lassen sich diese Risiken managen?
Nach der Beantwortung dieser Fragen, gestützt von Zahlen und Fakten, lässt sich beurteilen, ob dieses Produkt entwickelt und vermarktet werden sollte. Die Antworten bilden auch die Basis eines Businessplans für das Produkt.
Produktentwicklung am "lebenden" Mandat
Im nächsten Schritt wird das Produkt ausgearbeitet und das dazu erforderliche Produkt-Know-how entwickelt. Oft geschieht dies am "lebenden" Erstmandat – anders ist es manchmal auch gar nicht möglich. Solange der Mandant dies nicht mit unverhältnismäßig erhöhten Honorarrechnungen bezahlen muss, ist dies auch legitim – er erhält immerhin eine im besten Sinne innovative Beratungsleistung. In der Vorbereitung werden auch Standards festgelegt, zum Beispiel Vertragsmuster entworfen. Dabei kann natürlich auf bereits bestehendes Know-how zurückgegriffen werden.
Am Ende dieses Arbeitsschrittes steht ein Dokument mit den wichtigsten rechtlichen Aspekten. In unserem Beispiel der F&E-Kooperationen ist dies eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte aus den Bereichen Vertragsrecht, Know-how-Schutz, Kartell- und Beihilferecht und so weiter.
Der Weg zum Marketingplan ist dann nicht mehr weit: Broschüren, Veranstaltungen oder andere Werbe- und Informationsformate positionieren die Kanzlei als Serviceanbieter für das spezifische Produkt am Markt und sprechen konkrete mögliche Mandanten an. Die Maßnahmen richten sich nicht zuletzt danach, ob und wieweit das Thema im Markt bereits bekannt ist. Im Hinblick auf unser Beispiel bedeutet das: Muss ich erst die Chancen von F&E-Kooperationen erläutern oder reicht es aus, meine Lösung für die rechtlichen Aspekte darzustellen?
In größeren Kanzleien: Cross-Selling ankurbeln
In größeren Kanzleien mit mehr Spezialisierung der einzelnen Anwälte ist der interne Produktmarkt essentiell für den Erfolg. Der Anwalt, der ein Produkt verkaufen will, muss seine Kanzleikollegen davon überzeugen, dass sie geeigneten Kontakten ihrer Mandanten das Produkt vorstellen.
Das bedingt einerseits eine gute, "mundgerechte" Aufbereitung des Angebotes, damit der "Vertriebs-Anwalt" nicht zu viel Aufwand betreiben muss. Andererseits muss der "Vertriebs-Anwalt" bereit sein, "seinem" Mandanten Beratungsleistungen eines anderen Kollegen schmackhaft zu machen. Das ist für viele Anwälte ein hohe Hürde: Sie verkaufen erstens generell ungern; noch schwerer tun sie sich mit Produkten, die sie mangels Spezialisierung selber rechtlich nicht durchdrungen haben; schließlich haben einige Angst, dass ihr Mandant komplett zum Kollegen wechseln könnte.
In einer ausbalancierten Partnerschaft selbstbewusster Anwälte, die einander vertrauen, sollten diese Punkte aber nicht vom Cross-Selling abhalten. Die Anwälte sind mal in der Anbieter-, mal in der Vertriebsrolle – und daher aufeinander angewiesen.
Beratungsprodukte eignen sich auch hervorragend als Instrument der Kaltakquise, also zur Ansprache bisher noch nicht bekannter Kontakte in Unternehmen. Sie können über innovative Ideen motiviert werden, mit anderen als den etablierten Beratern ins Gespräch zu gehen und diese im besten Falle auch zu mandatieren.
Jörg Overbeck berät seit über 15 Jahren Anwälte im Marketing. Er ist Head of Marketing, Business Development and Communications der Kanzlei Osborne Clarke
Warum auch Kanzleien F&E betreiben müssen: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17529 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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