EU-weite Harmonisierung: Deut­sch­land gerät im Sank­ti­ons­straf­recht unter Umset­zungs­druck

Gastbeitrag von Gerson Raiser und Dr. Benedikt Blumschein

08.10.2025

Verstöße gegen Sanktionen sollen in der EU künftig einheitlich verfolgt und geahndet werden. Gerson Raiser und Benedikt Blumschein erläutern die Änderungen und mögliche Folgen der Umsetzung in Deutschland.

Mitte August 2025 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie einen Referentenentwurf veröffentlicht, der die im April 2024 veröffentlichte EU-Richtlinie 2024/1226 umsetzen soll. Mit dieser Richtlinie hat die EU das Fundament für ein europaweit einheitliches Sanktionsstrafrecht gelegt. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten insbesondere, einheitliche Straftatbestände für bestimmte Verstöße gegen EU-Sanktionsvorschriften zu schaffen sowie Mindeststrafen und einheitliche Verjährungsfristen festzulegen, um eine effiziente und einheitliche Verfolgung von EU-Sanktionsverstößen zu gewährleisten. Für Unternehmen ist ein Mindesthöchstmaß für Geldbußen vorgesehen, das sich entweder am weltweiten Jahresumsatz (ein bzw. fünf Prozent) oder an konkreten Geldbeträgen von acht bzw. 40 Millionen Euro (je nach Art des zugrundeliegenden Verstoßes) orientiert.

Die Harmonisierung ist notwendig, da Sanktionsverstöße EU-weit bislang völlig unterschiedlich geahndet wurden: So waren in Mitgliedstaaten Sanktionsverstöße teilweise nur als Ordnungswidrigkeiten oder nur als Straftaten sanktionierbar, oder variierte etwa das Höchstmaß für Unternehmensgeldbußen in den Mitgliedstaaten zwischen 133.000 Euro und 37,5 Millionen Euro.

Um diese Divergenzen zu beseitigen und eine zumindest partielle Harmonisierung zu erreichen, hatte Brüssel den Mitgliedstaaten für die Richtlinie eine Umsetzungsfrist bis zum 20. Mai 2025 gesetzt. Der erste deutsche Gesetzentwurf aus dem Jahr 2024 fiel dem vorzeitigen Ende der letzten Regierungskoalition zum Opfer, so dass die Bundesregierung die Frist verpasst hat. Die Kommission leitete deswegen im Juli 2025 unter anderem gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Wenngleich Deutschland einen Großteil der Richtlinienvorgaben durch die bestehenden Regelungen bereits erfüllt, soll der neue Referentenentwurf die noch ausstehenden Versäumnisse heilen.

Nahezu alle vorsätzlichen Verstöße sollen zu Straftaten werden

Der Referentenentwurf entspricht in weiten Teilen dem früheren Entwurf aus dem Jahr 2024. Kern des Entwurfes ist eine Änderung der zentralen Straf- und Ordnungswidrigkeitsnormen der § 18 und § 19 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) sowie § 82 Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Er sieht insbesondere vor, dass zahlreiche Verstöße, die bislang lediglich als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können, bei vorsätzlichen Verstößen künftig zwingend strafbewehrt sind. Dies betrifft – im Einklang mit den Richtlinienvorgaben – insbesondere Verstöße gegen bestimmte Transaktions- und Finanzdienstleistungsverbote. Über die Richtlinienvorgaben hinaus soll dies aber auch verschiedene Investitionsverbote betreffen.

Aufgrund dieser umfassenden "Hochstufung" von Verstößen zu Straftaten und die damit einhergehenden Streichungen in der Außenwirtschaftsverordnung würde die in § 22 Abs. 4 AWG vorgesehene Möglichkeit ahndungsbefreiender Selbstanzeigen im Sanktionszusammenhang in der Praxis wohl weitgehend bedeutungslos werden, da sie nur für bestimmte Ordnungswidrigkeiten gilt.

Auch nach dem neuen Referentenentwurf bleibt Vorsatz grundsätzlich zentrale Voraussetzung für die Strafbarkeit bei Sanktionsverstößen. Eine wichtige Neuerung soll insoweit jedoch für Verstöße im Zusammenhang mit dem Handel mit Dual‑Use‑Gütern gelten – also für den Handel mit Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Hier soll künftig bereits Leichtfertigkeit für eine mögliche Strafbarkeit genügen. Diese Verschiebung würde die strafrechtlichen Risiken etwa für Unternehmen, die solche Güter ex- oder importieren, aber auch für Logistikunternehmen erhöhen.

Neue Strafbarkeitsrisiken bei Meldepflichten und höhere Geldbußen

Vor allem eine geplante Neuregelung im Zusammenhang mit sanktionsrechtlichen Meldepflichten kann die Risiken für Marktteilnehmer aller Branchen erheblich erhöhen: Neben einer Ausweitung einer bereits bestehenden Strafbarkeit für gelistete (also sanktionierte) Personen bei Verstößen gegen Meldepflichten hinsichtlich ihrer eingefrorenen Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen in der EU, ist auch eine Verschärfung im Hinblick auf die sogenannte "Jedermannspflicht" vorgesehen. Nach dieser Jedermannspflicht aus den verschiedenen EU-Sanktionsverordnungen müssen alle Personen und Unternehmen in der EU den Sanktionsbehörden alle Informationen mitteilen, die die Umsetzung der jeweiligen Sanktionsverordnungen erleichtern. Anders als noch vor der Ausweitung der Sanktionen gegen Russland, betonen die deutschen Sanktionsbehörden unterdessen, dass dies insbesondere auch Informationen zu Sanktionsverstößen umfasst.

Bislang stellen selbst vorsätzliche Meldepflichtverstöße nur Ordnungswidrigkeiten dar, die im Höchstmaß mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro geahndet werden können. Nach dem Entwurf soll ein vorsätzlicher Verstoß nun zu einer Straftat hochgestuft werden, wenn es um Informationen über eingefrorene Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen geht, die in Ausübung einer Berufspflicht erlangt wurden. Hier wird die gestiegene Relevanz von Meldepflichten in diesem Bereich deutlich. Künftig könnte beispielsweise für jede Person, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen zu Verstößen gegen Verfügungsverbote oder sonst Informationen zu eingefrorenen Vermögenswerten in der EU erlangt, ein Strafbarkeitsrisiko bestehen, wenn diese Informationen nicht rechtzeitig an die Sanktionsbehörden gemeldet werden.

Für juristische Personen und Personenvereinigungen enthält der Entwurf eine weitere Verschärfung: Das gesetzliche Höchstmaß einer Unternehmensgeldbuße soll bei zugrundeliegenden Sanktionsstraftaten oder diesbezüglichen Aufsichtspflichtverletzungen von Leitungspersonen von derzeit 10 Millionen Euro auf 40 Millionen Euro angehoben werden. Damit bliebe die Bußgeldhöhe zwar pauschal – Deutschland würde die Richtlinienoption zur Umsatzbezogenheit der Geldbuße nicht nutzen–, das Höchstmaß stiege aber um ein Vierfaches.

Weiterhin zunehmende Bedeutung umfassender Sanktions-Compliance

Neben der Harmonisierung von Straftatbeständen verpflichtet die EU‑Richtlinie die Mitgliedstaaten auch, ihren Verfolgungsbehörden wirksame Ermittlungsinstrumente zur Verfügung zu stellen und mit den anderen Mitgliedstaaten enger zusammenzuarbeiten. Jedenfalls mittelfristig ist daher davon auszugehen, dass EU-weit Verfolgungsaktivitäten im Sanktionsbereich zunehmen werden.

Zudem wird eine Umsetzung der EU-Richtlinie auch das deutsche Sanktionsstrafrecht verschärfen. Insbesondere können künftig nahezu alle Verstöße gegen EU‑Sanktionen zumindest strafrechtliche Ermittlungen auslösen. Gerade weil die verschiedenen Sanktionen der EU umfangreich und komplex sind und sich häufig schnell ändern, ist es für Unternehmen daher künftig umso wichtiger, Änderungen tagesaktuell zu verfolgen und wirksame sowie umfassende Sanktions-Compliance-Managementsysteme zu implementieren. Da unter Umständen auch bereits das Versäumen von Meldungen oder verspätete Meldungen im Sanktionszusammenhang zu Strafbarkeitsvorwürfen führen können, sollten Unternehmen dabei explizit auch entsprechende Meldeprozesse vorsehen.

 

Gerson RaiserBenedikt BlumscheinGerson Raiser ist Counsel und Dr. Benedikt Blumschein Associate in der Praxisgruppe "White Collar, Regulatory & Compliance" der Kanzlei Clifford Chance in Frankfurt. Sie beraten zu allen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere zu Fragen des Sanktionsstrafrechts und der Sanktions-Compliance.

Beteiligte Kanzleien

Zitiervorschlag

EU-weite Harmonisierung: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58329 (abgerufen am: 14.11.2025 )

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