Die EU-Kommission genehmigt den Zusammenschluss von Linde und Praxair nur unter hohen Auflagen, und auch die US-Wettbewerbshüter stellen strenge Bedingungen. Der Milliardendeal könnte deshalb letztlich doch noch scheitern.
Die Wettbewerbshüter der EU-Kommission billigen den anvisierten Zusammenschluss von Linde und Praxair zu einem neuen Branchenriesen - allerdings verlangen sie die Erfüllung von Auflagen. So muss Praxair sein gesamtes Gasgeschäft im Europäischen Wirtschaftsraum verkaufen und seine Beteiligung an dem italienischen Gemeinschaftsunternehmen Siad abgeben, wie die Behörde in Brüssel mitteilte. Zudem sollen Helium-Bezugsverträge veräußert werden.
In der angemeldeten Form hätte die Fusion zu einer signifikanten Verringerung der Zahl der geeigneten alternativen Anbieter geführt und damit potenziell zu Preiserhöhungen, begründete die EU-Kommission ihre Entscheidung. Gase wie Helium und Sauerstoff kämen bei einer Vielzahl von Produkten zum Einsatz, etwa in der Stahlproduktion und in Krankenhäusern, erklärte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. "Weltweit gibt es nur sehr wenige Unternehmen, die alle diese Gase liefern können." Die nun von Linde und Praxair angebotenen Verpflichtungen räumten die wettbewerbsrechtlichen Bedenken aus.
Linde und Praxair hatten ihren Zusammenschluss im vergangenen Sommer vereinbart und bereits Geschäftsbereiche verkauft, um den Wettbewerbshütern entgegenzukommen: Während Praxair einen Großteil seines Europa-Geschäfts an den japanischen Konkurrenten Taiyo Nippon Sanso veräußerte, verkaufte Linde den Löwenanteil seiner US-Geschäfte an die deutsche Gesellschaft Messer und den Finanzinvestor CVC.
Genehmigung der US-Wettbewerbsbehörde steht noch aus
In trockenen Tüchern ist der geplante Zusammenschluss damit aber noch lange nicht. Vor allem die US-Wettbewerbsbehörde FTC, aber auch Kartellwächter in Brasilien, Argentinien, Südkorea, Indien und China müssen grünes Licht geben, damit der Deal gelingt.
Linde hatte bereits Anfang August mitgeteilt, dass die amerikanischen Wettbewerbshüter weitere Veräußerungen von Geschäften verlangen. Für solche Verkäufe hatten Linde und Praxair eine Grenze von 3,7 Milliarden Euro Umsatzvolumen oder 1,1 Milliarden Euro Betriebsgewinn vereinbart.
Am Mittwochmorgen teilte Linde nun mit, dass "auf Basis weiterer Rückmeldungen von Wettbewerbsbehörden" davon auszugehen sei, "dass die umsatzbezogene Obergrenze für Veräußerungszusagen überschritten werde". Die Unternehmen verhandelten weiter und diskutierten mit Wettbewerbsbehörden über die Erfüllung der Auflagen.
Die Zeit wird knapp
Die Zeit drängt: Laut Wertpapiergesetz muss die Fusion spätestens am 24. Oktober unter Dach und Fach sein. An der Börse wird bereits über wesentlich höhere Verkäufe von Geschäftsteilen spekuliert. Am Ende könnten es 4,5 Milliarden Euro sein, sagte ein Marktexperte.
Wird die vereinbarte Umsatzgrenze überschritten, müssten beide Unternehmen zustimmen. Auch der Linde-Aufsichtsrat müsste sich damit wohl erneut befassen. Linde hatte anders als Praxair den Deal nicht den Aktionären zur Abstimmung auf einer Hauptversammlung vorgelegt.
Mit dem Zusammenschluss wollen Linde und Praxair den weltgrößten Gasehersteller schmieden - noch vor dem französischen Konkurrenten Air Liquide. Mit 80.000 Mitarbeitenden und 28 Milliarden Euro Jahresumsatz würde das neue Unternehmen ein Viertel des Weltmarkts beherrschen. Praxair ist Marktführer in den USA, Linde stark in Europa und Asien, im US-Medizingeschäft und im Anlagenbau. Ziel der Fusion ist es, Größenvorteile zu heben und höhere Gewinnmargen zu erzielen. Linde und Praxair rechnen mit Synergien von 1,1 Milliarden Euro jährlich.
Anlegerschützer fordern Absage der Fusion
Aktionärsvertreter forderten angesichts dieser neuen Hürden der Kartellbehörden den Abbruch der Fusion. "Es hätte Größe, den Deal abzublasen und einzugestehen, dass man es auch im zweiten Anlauf nicht geschafft hat", sagte Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin des Anlegerschutzvereins DSW, der Deutschen Presse-Agentur. "Der Punkt ist erreicht, wo man darüber nachdenken muss, ob diese Fusion noch Sinn macht." Mit dem Überschreiten der vereinbarten Obergrenze würden Linde und Praxair "die eigene Schmerzgrenze niederreißen", kritisierte sie.
Linde und Praxair hatten schon 2016 eine Fusion versucht. Damals scheiterte der Deal am Streit um den Konzernsitz. Nun wurde beschlossen, dass die neue Linde plc in Dublin sitzen und von Praxair-Chef Steve Angel geführt werden soll.
Auch von Arbeitnehmervertretern kam erneut Widerstand. "Linde braucht die Fusion nicht", hieß es aus Gewerkschaftskreisen. IG Metall, IG BCE und Betriebsräte sehen das Vorhaben kritisch. Sie fürchten den Abbau von bis zu 10.000 Jobs und bangen um deutsche Mitbestimmungsrechte, wenn der Sitz nach Irland verlagert wird.
dpa/ah/LTO-Redaktion
Hohe Kartellauflagen: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30489 (abgerufen am: 01.12.2024 )
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