Ab 2021 soll der Emissionshandel endlich ein wirksames Instrument für den Klimaschutz werden. Wie das funktionieren soll und was sich für Unternehmen ändert, erläutern Joanna Bundscherer und Franziska Lietz.
Der Treibhausgas-Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das auf die Idee eines Doktoranden von der University of Wisconsin im Jahr 1966 zurückgeht. Mit ihm glaubte man, ein raffiniertes Werkzeug zur Senkung der globalen Treibhausgasemissionen gefunden zu haben. Der in der EU praktizierte Emissionshandel wurde im Jahr 2005 in Folge des internationalen Klimaschutzabkommens von Kyoto eingeführt. Zur Teilnahme verpflichtet sind die Betreiber einer Vielzahl von Industrieanlagen und Anlagen der Stromwirtschaft.
Der europäische Emissionshandel funktioniert nach dem sog. "Cap and Trade"-Prinzip. Das bedeutet, dass für alle emissionshandelspflichtigen Anlagen eine Gesamtmenge an Emissionen festgelegt wird, die jährlich ausgestoßen werden dürfen. Diese Grenze - das sogenannte "Cap" – wird schrittweise abgesenkt. Unternehmen müssen Emissionsberechtigungen erwerben (entweder kostenlos durch Zuteilung oder in Auktionen ersteigert), die ihnen erlauben, eine bestimmte Menge Treibhausgase auszustoßen. Diese Berechtigungen können von den Unternehmen untereinander gehandelt werden ("Trade"). Für jede emittierte Tonne Treibhausgas müssen die Unternehmen Emissionsberechtigungen abgeben.
Das Grundprinzip ist damit ganz einfach: Die Unternehmen haben die Wahl, ob sie durch Investitionen ihre Emissionen reduzieren und daher keine Zertifikate benötigen bzw. vorhandene Zertifikate verkaufen können oder ob sie Emissionsberechtigungen hinzukaufen. Dies soll im Ergebnis dazu führen, dass die Reduktion der weltweiten Treibhausgasemissionen an den Stellen stattfindet, wo dies wirtschaftlich am sinnvollsten ist. Ein klimapolitisch ambitioniertes Cap führt damit dazu, dass die Berechtigung, Treibhausgase auszustoßen, ein knappes Gut wird und sich am Markt ein Zertifikatspreis bildet, der Anreize für Investitionen in emissionsreduzierende Maßnahmen setzt.
Der Emissionshandel hat ein Überschussproblem
Zwar sollen auf Grundlage des Abkommens von Paris im Jahr 2015 in der EU bis 2030 40 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990 ausgestoßen und dieses Ziel vornehmlich über das Instrument des Emissionshandels erreicht werden. Bislang zeigte sich der Emissionshandel allerdings nicht so wirksam wie erhofft.
Das liegt vor allem am Preis der Emissionsberechtigungen, der bislang wenig Anreiz für Investitionen in klimaschonende Technologien bot. Die Gründe hierfür sind vielgestaltig. Unter anderem die Wirtschaftskrise im Jahr 2008/2009 und die einhergehende Drosselung der Produktion führten zu einem enormen Überschuss an Zertifikaten. Ende 2013 lag er bei über 2,2 Milliarden Zertifikaten – mehr als das gesamte Durchschnittsbudget eines Jahres. Der Preis pro Zertifikat sank deshalb zeitweise auf unter zehn Euro.
Bereits in den Jahren 2014 bis 2016 versuchte die EU, mit dem sog. "Backloading" dem Überschussproblem entgegenzutreten. Hierbei wurden 900 Millionen Zertifikate zunächst aus der Versteigerung zurückgehalten, um sie erst später in den Markt zu bringen. Ein noch drastischerer Schritt ist die Anfang 2019 eingeführte sog. Marktstabilitätsreserve (MSR), mit der überschüssige Zertifikate flexibel dem Markt entzogen werden können. Mittlerweile wurde sogar beschlossen, die zunächst nur zurückgehaltenen Zertifikate in die MSR zu überführen.
CO2-Obergrenze wird deutlich gesenkt
Die 4. Handelsperiode – der Emissionshandel wird in solche mehrjährigen Perioden unterteilt, in denen die Marktbedingungen stets neu geregelt werden – beginnt zwar erst am 1.1.2021. Die Frist für die Antragstellung auf kostenlose Zertifikate für die Unternehmen in der ersten Zuteilungsperiode läuft allerdings bereits am 29.6. diesen Jahres ab, sodass sich die Unternehmen schon jetzt intensiv mit den neuen Vorgaben beschäftigen müssen.
Das Bundesumweltministerium (BMU) hat sich für die 4. Handelsperiode zum Ziel gesetzt, den Emissionshandel endlich als effektives Klimaschutzinstrument etablieren zu können, zugleich aber die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie nicht zu beeinträchtigen. Letzteres bedeutet, dass verhindert werden soll, dass Unternehmen aufgrund strenger Klimaschutzanforderungen ins Ausland abwandern. Dies wird auch als sog. "Carbon-Leakage" (z. Dt.: Kohlenstoff-Leck)-Risiko bezeichnet.
Um die Effektivität des Emissionshandelssystems zu steigern, soll das "Cap", also die Gesamtmenge an verfügbaren Zertifikaten, jährlich stärker abgesenkt werden als bisher. Überschüssige Zertifikate sollen schneller und zugleich dauerhaft aus dem Markt genommen werden. Schon zu Beginn der nächsten Handelsperiode und damit fünf Jahre früher als nach dem bisherigen System soll so eine Knappheit an Zertifikaten entstehen, welche die Effizienz des Emissionshandelssystems steigern könnte. Unternehmen, die Emissionszertifikate (hinzu-)kaufen müssen, können sich somit darauf einstellen, dass der Preis in den nächsten Jahren deutlich ansteigen wird. Dies könnte langfristig vor allem für solche Unternehmen zum Problem werden, die bereits alle CO2-Einsparpotentiale an ihren Anlagen ausgeschöpft haben.
Sorge vor dem "Leck"
Um dem Carbon-Leakage-Risiko zu begegnen, erlaubt die EU-Richtlinie für den Emissionshandel, dass der gefährdeten Industrie weiterhin mehr kostenlose Zertifikate zugeteilt werden als anderen Industriesektoren. Die Sektoren werden auf einer sogenannten Carbon-Leakage-Liste abgebildet, die für die vierte Handelsperiode neu gefasst und deutlich verknappt wird. Unternehmen aus nicht in der Liste genannten Branchen erhalten eine kostenlose Zuteilung nur im wesentlich geringeren Umfang. Diese soll im Laufe der vierten Handelsperiode auch immer weiter verringert werden.
Die Zuteilung orientiert sich grundsätzlich nach sog. Benchmark-Werten, die mit Daten aus dem Jahr 2008 festgelegt wurden. Diese werden u.a. für Produkte bestimmt und errechnen sich danach, wie viele Tonnen CO2 bei der Herstellung einer Tonne eines Produkts in den zehn Prozent effizientesten Anlagen eines Sektors oder Teilsektors emittiert werden. Diese Referenzwerte sollen Anreize für die Industrie schaffen, ihre Emissionen zu reduzieren. In der 4. Handelsperiode werden sie noch weiter reduziert, je nachdem wie die Emissionen in den zehn Prozent effizientesten Anlagen in bestimmten Referenzjahren weiter gesunken sind (sog. Verbesserungsrate).
Unternehmen könnten überfordert werden
Für alle Unternehmen, die emissionshandelspflichtige Anlagen betreiben und kostenlose Emissionszertifikate zugeteilt haben möchten, ergeben sich insbesondere in den nächsten Wochen erhebliche Herausforderungen sowie zusätzlicher Verwaltungsaufwand. Alle Unternehmen müssen Ihre Anträge bis zum Fristablauf am 29.6. rechtzeitig gestellt haben, um von den kostenlosen Zuteilungen profitieren zu können.
Die Zuteilungsanträge sind in der 4. Handelsperiode deutlich umfangreicher und aufwändiger als bisher. Unternehmen müssen in ihrem Bezugsdatenbericht viel mehr Angaben machen. Daneben ist ein Methodenbericht zu erstellen, der im Hinblick auf Transparenz, Detaillierungsgrad und Vollständigkeit deutlich anspruchsvoller als noch in der 3. Handelsperiode ist. Beide Berichte müssen wiederum von einer akkreditierten Prüfstelle geprüft und verifiziert werden. Der darüber verfasste Prüfbericht muss dann zusammen mit den anderen Berichten von den Unternehmen innerhalb der genannten Frist an die Deutsche Emissionshandelsstelle übersendet werden. Allein die Verifizierung kann einige Wochen dauern. Denn es ist möglich, dass die Prüfstellen Berichtigungen verlangen, sodass Unternehmen ihre Berichte vor der endgültigen Verifizierung überarbeiten müssen. Daher stellt es aktuell viele Unternehmen vor eine Herausforderung, den Abgabetermin für den Zuteilungsantrag am 29.6. einzuhalten.
Obwohl die 4. Handelsperiode also die Wirksamkeit des Emissionshandels steigern soll, droht sie bereits jetzt, viele Unternehmen durch den zusätzlichen Verwaltungsaufwand stark zu fordern, wenn nicht gar zu überfordern. Ob sich der Emissionshandel damit insgesamt als effektives und vor allem praxistaugliches Klimaschutzinstrument erweist, wird sich erst im Laufe der nächsten Jahre zeigen.
Die Autorinnen Joanna Bundscherer und Dr. Franziska Lietz LL.M. sind Rechtsanwältinnen und beraten für die Energierechtskanzlei Ritter Gent Collegen vornehmlich Unternehmen aus energieintensiven Branchen.
Emissionshandel soll effektiver werden: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35023 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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