Den perfekten Wirtschaftsrechtler gibt es nicht. Kanzlei-Anwälten fehlen oft betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Unternehmensjuristen mitunter die rechtliche Tiefe in Spezialgebieten. Möglichkeiten, in Unternehmen und Kanzleien beide Seiten der Rechtsberatung kennenzulernen, gibt es kaum. Abhilfe könnte eine duale Ausbildung schaffen: ein Bootcamp für die Juristen der Generation Y?
Kanzlei oder Unternehmen? Die Frage aller Fragen
Wolf Kahles, Personalleiter bei Clifford Chance, Markus Hartung, Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession und Dr. Dominik Lentz, ehemaliger Rechtsabteilungsleiter und heutiger Senior Vice President Corporate Division der Fujifilm Europe, wagten am vergangenen Freitag ein Gedankenexperiment. Im Rahmen eines Workshops während der 4. Herbsttagung der Bucerius Law School zum Thema Innovationsmanagement entwarfen sie ein Ausbildungskonzept für Juristen, das diese Probleme lösen soll.
Die Gründe, warum sich Kahles, Lentz und Hartung überhaupt mit der Thematik befassen, sind vielfältig und drängend. Der Bewerbermarkt stellt Kanzleien und Unternehmen gleichermaßen vor große Probleme, insbesondere die viel zitierte Generation Y gibt den Personalern weiterhin Rätsel auf. Ihr wird nachgesagt, andere Karriereziele zu verfolgen als frühere Anwaltsgenerationen.
Die Partnerschaft in einer Kanzlei ist nicht mehr das ultimative Ziel eines Berufseinsteigers, die Work-Life-Balance sollte ausgeglichen sein, und Familienverträglichkeit ist die Grundvoraussetzung für die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag.
Eine weitere Herausforderung in Kanzleien ist der Kostendruck. Mandanten sind immer weniger bereit, über ihre Honorare für Horden von Associates die Ausbildungskosten für Berufseinsteiger und Junganwälte zu übernehmen. Doch wie sollen die jungen Berater sonst Praxiserfahrung sammeln, wenn nicht in der Mandatsarbeit?
Einbahnstraße Unternehmensjurist?
Unternehmen auf der anderen Seite finden kaum Nachwuchskräfte, weil Berufseinsteiger fürchten, in eine Einbahnstraße zu gelangen, sollten sie ihre Karriere in einer Rechtsabteilung beginnen. Möchten sie später doch auf Kanzleiseite wechseln, so die Vorstellung vieler Juraabsolventen, wäre dies kaum möglich. Auch unterscheidet sich die Ausbildung im Unternehmen in den ersten Berufsjahren signifikant von der in Kanzleien.
Denn Unternehmensjuristen werden meist generalistisch ausgebildet, ihnen fehlt die juristische Tiefe. Außerdem können Rechtsabteilungen nicht mithalten, was die Entlohnung angeht. Sie zahlen weit weniger als Großkanzleien, die mit Einstiegsgehältern von teils mehr als 100.000 Euro um Berufsanfänger buhlen.
Die bisherigen Versuche, einen Ausbildungsweg für Juristen zu schaffen, der sowohl Unternehmen als auch Kanzleien zufrieden stellt, haben sich bislang nicht bewährt. Der Studiengang Wirtschaftsrecht beispielsweise, 1993 an Fachhochschulen erstmals eingeführt, hat sich auch nach mehr als 20 Jahren in der Praxis nicht als zufriedenstellende Lösung erwiesen. Die Karrierechancen für Wirtschaftsjuristen sind nach wie vor begrenzt und Absolventen kämpfen allerorts um Anerkennung.
Ein Bootcamp als Lösung
Was also muss der Rechtsberater von heute können? Wie kann er den gewandelten Berufsanforderungen und Mandantenwünschen entsprechen? Wie sollte eine Ausbildung gestaltet sein, die den Nachwuchs auf das Arbeiten sowohl in Kanzleien als auch in Unternehmen vorbereitet?
Mit diesen Leitfragen im Kopf setzten sich Kahles, Lentz und Hartung an einen Tisch und ließen ihrer Phantasie freien Lauf. Das Brainstorming brachte ihnen die eierlegende Wollmilchsau. Ihre Vorstellung entspricht einer Mischung aus MBA, Referendariat und Wirtschaftsrechtsstudium. Die duale Ausbildungsidee trägt den Namen "Bootcamp" und gründet im Kern darauf, dass Unternehmen und Kanzleien gemeinsam auf dem Recruiting-Markt auftreten. Ein Bootcamp könnte die Kosten der Ausbildung gerecht auf beide Seiten verteilen und auch als Vermittlungsgesellschaft auftreten.
Voraussetzung für die Aufnahme in ein Bootcamp wären das erste Staatsexamen oder ein Bachelor-Abschluss in Jura (LL.B.). In einem Zeitraum von ca. vier Jahren würden die Teilnehmer jeweils die Hälfte der Zeit in Kanzleien und Unternehmen arbeiten, um vielseitige Praxiserfahrung zu sammeln - Mandantenpflege für spätere Zusammenarbeit inbegriffen. Kahles und Lentz möchten damit dem Einbahnstraßen-Charakter entgegenwirken und die Ausbildung auf breitere Füße stellen.
Die Karriereoptionen für derartig ausgebildete Juristen wären ihrer Ansicht nach vielfältig: Inhouse-Jurist, Paralegal in Kanzleien oder Referendariat und, nach dem zweiten Staatsexamen, Rechtsberater. Der Vorteil für Kanzleien läge darin, dass die Personalkosten für einen Bootcamp-Absolventen geringer ausfallen würden als für einen Juristen mit zweitem Staatsexamen. Die Mitarbeiter wären auch jünger als der Berufseinsteiger nach dem 2. Staatsexamen mit Doktortitel und LL.M.-Abschluss. Der Vorteil für die Teilnehmer liegt in einer betriebswirtschaftlichen Zusatz-Ausbildung.
Viele offene Fragen
Das Konzept eines Bootcamps ist lediglich ein erstes Gedankenspiel von Kahles und Lentz, noch ist nichts Dergleichen in Planung. Auch geben die beiden zu, dass viele Fragen ungeklärt sind, etwa die des Karrierewegs in einer Kanzlei.
Denn solange Referendariat und zweites Staatsexamen für die Rechtsberatung notwendig sind, wird es kein Äquivalent zum Vollpartner geben. Die Frage des Weiterkommens in Kanzleien wird auch künftig ohne Gesetzesänderung an die Rechtsanwaltszulassung gekoppelt bleiben. Wer allerdings von vorneherein gar nicht Partner werden will, für den könnte das Bootcamp eine sinnvolle Entscheidung sein.
Eine andere offene Frage ist Kahles und Lentz zufolge, ob das Bootcamp besser vor oder nach dem Berufseinstieg durchlaufen werden sollte. Da das Referendariat zumindest mittelfristig weiterhin notwendig sein wird, wenn Absolventen anwaltlich tätig werden wollen, würde ein Bootcamp die Ausbildungsphase erheblich verlängern. Das späte Eintrittsalter von Anwälten in Kanzleien würde sich noch weiter nach hinten verschieben.
Ist das Konzept zukunftsfähig?
Der Erfolg eines Bootcamps hängt laut Lentz und Kahles auch maßgeblich davon ab, welche Kanzleien und Unternehmen daran teilnehmen. Eine Großkanzlei, die bereits als Marke etabliert und von Absolventen als attraktiv bewertet wird, könnte auf einen ebenfalls angesehenen Mandantenstamm aus Großkonzernen zurückgreifen. Eine Mittelstandskanzlei täte sich mit ihren eher mittelständischen – und somit weit unbekannteren – Mandanten wohl erheblich schwerer, Teilnehmer anzulocken.
Ein Bootcamp würde nach den Überlegungen von Kahles und Lentz wohl vorerst nur dann funktionieren, wenn sich Kanzleien und Mandanten gut kennen und einander vertrauen. Dann allerdings könnten praxisbezogene Inhalte, Kontaktpflege und juristische Übung sowohl den Bewerbern als auch den Arbeitgebern gute Perspektiven bieten. Für die Generation Y, die scheinbar jegliche Partnerwerdungs-Ziele verworfen hat, täte sich eine brauchbare Alternative auf. Allerdings fehlt es hier noch an der Kreativität der Kanzleien, einen dritten Weg einzuführen, der mit dem Partnerstatus auf Augenhöhe liegen würde.
Den Begriff 'Bootcamp' allerdings könnten Kahles und Lentz nochmals überdenken. In den USA bezeichnet man so Umerziehungslager für straffällige Jugendliche, in Deutschland wird der Begriff mitunter für Rekrutenausbildungslager oder Fitnessstudios verwendet.
Doch ihre Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt, dass Unternehmen und Kanzleien erkannt haben, dass sie Bewerber nicht mehr mit den üblichen Versprechen von hohen Gehältern, steilen Karrieren und High-End-Mandaten locken können. Die Juraabsolventen von morgen verlangen mehr Kreativität und Flexibilität von ihren Arbeitgebern.
Désirée Balthasar, Juristenausbildung neu gedacht: Die eierlegende Wollmilchsau . In: Legal Tribune Online, 25.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13906/ (abgerufen am: 19.04.2024 )
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