Alle sind sich einig: Digitale Geschäftsmodelle wachsen rasant und müssen "artgerecht" besteuert werden. Über das Wie streitet man sich allerdings, zeigt Andreas Gerten. Das führe zu erheblichen Problemen.
Mit ihrer Forderung nach einer Bepreisung und steuerlichen Berücksichtigung persönlicher Daten hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Global Solutions Summit 2018 die hitzige Debatte um Steuergerechtigkeit im Zeitalter der Digitalisierung weiter befeuert. Unternehmen, die vorrangig auf digitale Geschäftsmodelle setzen und online tätig sind, wachsen weitaus schneller als die Wirtschaft insgesamt.
Der Knackpunkt: Mit den heutigen Vorschriften können Gewinne international tätiger Digitalunternehmen und solcher, die auf die Vermarktung von Nutzerdaten und nutzergenerierten Daten setzen, nicht wirksam besteuert werden. Es fehlt in der Regel mangels physischer Präsenz ein Anknüpfungspunkt für ein nationales Besteuerungsrecht. Die ohnehin schwelende Debatte um das Thema nimmt so weiter an Fahrt auf.
Die Bundesregierung hat sich dabei im Koalitionsvertrag die wirksame Besteuerung der digitalen Wirtschaft zum Ziel gesetzt. Dort heißt es: "Wir unterstützen ausdrücklich alle Bemühungen für eine gerechte Besteuerung großer Konzerne, insbesondere auch der Internetkonzerne." An anderer Stelle wird reklamiert: "Wir werden Maßnahmen für eine angemessene Besteuerung der digitalen Wirtschaft ergreifen."
Die von der Bundeskanzlerin nun ins Gespräch gebrachte Idee einer Bepreisung der Lieferung persönlicher, nutzerbezogener Daten ist dabei gar nicht so neu. Im Bereich des Steuerrechts wird schon seit einiger Zeit die Frage diskutiert, ob nicht bereits bei Bereitstellung vermeintlich kostenloser Internetangebote (wie Social Media, E-Mail- oder Navigations-Applikationen) im Gegenzug gegen die Preisgabe und Einwilligung in die Auswertung nutzerbezogener Daten ein der Umsatzsteuer unterliegendes Austauschgeschäft vorliege. Ganz praktisch scheitert eine Steuererhebung auf solch vermeintlich kostenlose Internetangebote derzeit daran, dass die Gegenleistung "Einräumung eines Datenverwertungsrechts" nicht in Geld oder in einem in Geld ausdrückbaren Wert quantifizierbar ist.
Der internationale Ansatz: noch ein wenig Tee trinken
In einem gemeinsamen Projekt der OECD und der G20-Staaten gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung multinationaler Unternehmen (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) wurden bereits umfangreiche Untersuchungen zu insgesamt 15 Aktionspunkten (AP) angestellt und konkrete Handlungsempfehlungen für Gesetzgeber ausgesprochen.
Im Rahmen des AP 1 "Herausforderungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft" wurde analysiert, ob die hergebrachten Besteuerungsprinzipien in Anbetracht des zunehmenden technologischen Wandels weiterhin sachgerecht sind. Das Ergebnis: Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung der gesamten Wirtschaft gibt es keine isolierbare "digitale Wirtschaft", die für steuerliche Zwecke vom Rest der Wirtschaft getrennt betrachtet werden könne. So entschieden sich die Macher der Studie, die weitere technologische Entwicklung zu beobachten. Erst 2020 soll ein weiterer Bericht zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft vorgelegt werden.
Die OECD erhielt indes den Auftrag, einen Zwischenbericht zu erstellen, der im März vorgelegt wurde. Dieser untersuchte, welche steuerlichen Anknüpfungspunkte in einem Staat gegeben sein müssen, um ein Besteuerungsrecht überhaupt erst zu begründen, und nach welchen Grundsätzen Gewinne zwischen den beteiligten Staaten aufgeteilt werden können. Ein internationaler Konsens zu diesen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zentralen Fragen soll bis zur Vorlage des Schlussberichts im Jahr 2020 erzielt werden.
Agenda der Europäischen Union: langsam herantasten
Auf Ebene der Europäischen Union (EU) wird die aktuelle Diskussion mit einem zweigleisigen Vorgehen begleitet: Einem Zweistufen-Plan für die Einführung einer Digitalsteuer und mit einem Alternativmodell für ein neues Regime der internationalen Konzernbesteuerung, das auch die Besonderheiten der digitalen Wirtschaft berücksichtigt.
Der Zweistufenplan sieht in einem ersten Schritt die kurzfristige Einführung einer Sondersteuer in Höhe von drei Prozent auf bestimmte digitale Umsätze (Digital Services Tax) vor. Als Übergangssteuer soll sie bis zur Anpassung des Systems der allgemeinen Besteuerung an die Besonderheiten digitaler Geschäftsmodelle auf der zweiten Stufe gelten.
Die Steuer soll ausschließlich für digitale Dienstleistungen gelten, die in besonderem Maße auf Nutzerbeteiligung oder von Nutzern generierte Daten angewiesen sind. Dazu zählen Werbung und Verkauf nutzergenerierter Daten, wie beispielsweise bei Betreibern von Social-Media-Kanälen oder Suchmaschinenanbietern. Ebenfalls betroffen sind digitale Plattformen, die einen Austausch von Waren oder Dienstleistungen zwischen Nutzern ermöglichen.
Die Sondersteuer soll nur für Unternehmen mit jährlichen weltweiten Erträgen in Höhe von 750 Millionen Euro und EU-Erträgen in Höhe von mindestens 50 Millionen Euro gelten. Dadurch soll die Steuer auf Unternehmen einer gewissen Größe begrenzt werden und sichergestellt sein, dass kleinere und junge Unternehmen nicht belastet werden und die Steuer nur für Unternehmen mit einem hinreichenden digitalen Fußabdruck in der EU gilt.
Auf der zweiten Stufe ist langfristig vorgesehen, den EU-Staaten ein Besteuerungsrecht für Gewinne zuzuweisen, die in ihrem Hoheitsgebiet durch eine signifikante digitale Präsenz eines Unternehmens erwirtschaftet werden – und zwar auch dann, wenn das betreffende Unternehmen dort keine physische Präsenz hat. Von einer signifikanten digitalen Präsenz eines Unternehmens in einem Mitgliedstaat soll auszugehen sein, wenn die jährlichen Erträge aus digitalen Dienstleistungen, die Nutzerzahlen oder die Anzahl abgeschlossener Geschäftsverträge bestimmte Schwellenwerte übersteigen.
Die Alternative: schematische Verteilung des Steuerkuchens
Mit dem Projekt einer "Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage" verfolgt die EU-Kommission dagegen einen völlig anderen Ansatz zur Besteuerung international tätiger Unternehmen. Kernelemente des Entwurfs sind europaweit einheitliche Vorschriften zur Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und eine formelhafte Aufteilung dieser Bemessungsgrundlage auf die einzelnen Staaten auf Basis vorgegebener Faktoren.
Das Modell einer formelhaften Gewinnverteilung gibt es auch im deutschen Gewerbesteuerrecht. Hier wird die steuerliche Bemessungsgrundlage von Unternehmen, die auf dem Gebiet mehrerer Städte oder Gemeinden tätig sind, den einzelnen Kommunen im Verhältnis der Lohnsumme der einzelnen Betriebsstätte zur Gesamtlohnsumme des Unternehmens zugewiesen. Ein Beispiel: Hat ein Unternehmen mit Sitz in Köln eine Zweigniederlassung in Stuttgart und zahlt den dort beschäftigten Mitarbeitern im Jahr 400.000 Euro Löhne und Gehälter, dann entfallen bei einer deutschlandweiten Gesamtlohnsumme von einer Million Euro auf Stuttgart 40 Prozent der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage. Dieser Anteil kann dort mit dem örtlichen Gewerbesteuersatz besteuert werden.
Bereits im Oktober 2016 hat die EU-Kommission einen entsprechenden Richtlinienentwurf für eine solche Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vorgelegt (COM(2016) 685, COM(2016) 683). Der Entwurf sah ursprünglich eine Aufteilung der Bemessungsgrundlage auf Basis von drei Faktoren (Arbeit, Kapital und Umsatz) vor. Auf Betreiben des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments (A8-0051/2018) soll die Gewinnverteilungsformel noch um den Faktor Daten erweitert werden. Dieser Faktor soll die Erhebung und die Nutzung personenbezogener Daten für gewerbliche Zwecke erfassen.
Auch hier zeigt sich, welche fundamentale Bedeutung Daten für die digitale Wirtschaft beigemessen wird. Die wichtige Fragen, wie der Begriff der nutzerbezogenen Daten zu definieren ist und wie diese zu quantifizieren sind, lässt der Entwurf jedoch offen.
Steuerlicher Anknüpfungspunkt für die Begründung einer Steuerpflicht nach dem Alternativmodell ist eine digitale Niederlassung, die eigens auf Verbraucher oder Unternehmen in einem EU-Mitgliedstaat abzielt, wobei die physischen Standorte der Verbraucher beziehungsweise Nutzer und der Anbieter der bereitgestellten Güter und Dienstleistungen angemessen zu berücksichtigen sein sollen. Sind letztere nicht ermittelbar, soll zusätzlich zu berücksichtigen sein, ob die digitale Niederlassung ihrer Geschäftstätigkeit unter der Top-Level-Domain eines EU-Mitgliedstaats oder der Union nachgeht.
Gesucht: ein gemeinsamer Highlander
Die derzeitige Debatte ist also geprägt von verschiedensten Partikularinteressen, vor allem auch von Staaten, die von den bisherigen Besteuerungsgrundsätzen profitieren.
Im schlimmsten Fall droht ein dauerhaftes Nebeneinander mehrerer Einzelmaßnahmen durch einzelne Staaten oder Staatengruppen. Für Unternehmen würde daraus wiederum ein organisatorischer Mehraufwand resultieren. Nicht zuletzt droht durch die fehlende Harmonisierung eine Doppel- oder gar Mehrfachbesteuerung.
Die von der Bundeskanzlerin geforderte Lösung für eine Digitalsteuer führt daher nur dann zum Ziel, wenn ein umfassender internationaler Konsens erzielt werden kann.
Der Autor Dr. Andreas Gerten, LL.M. (NYU) ist Counsel bei CMS Deutschland. Der Rechtsanwalt und Steuerberater berät sowohl mittelständische Unternehmen als auch Konzerne im nationalen und internationalen Unternehmenssteuerrecht.
Digitalsteuer: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28933 (abgerufen am: 10.12.2024 )
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