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Diesel, Glücksspiel, DSGVO: Hilfe oder Störer? Pro­zess­fi­nan­zierer in Mas­sen­ver­fahren

Gastbeitrag von Prof. Dr. Stefan Engels und Dr. Thomas Gädtke

06.05.2025

Akten aus Dieselverfahren am LG Hannover

Akten aus Dieselverfahren am Landgericht Hannover. | Bild: picture alliance / Julian Stratenschulte

Wo Massenverfahren sind, sind die Prozessfinanzierer nicht weit. Ihre Rolle ist kritisch zu hinterfragen, finden Stefan Engels und Thomas Gädtke, die Unternehmen zu Massenverfahren beraten.

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Die Durchsetzung von Ansprüchen zwischen natürlichen und juristischen Personen führt zu den Zivilgerichten. Während dort früher überwiegend individuelle Streitigkeiten ausgetragen und entschieden wurden, sind in neuerer Zeit sogenannte Massenverfahren invasiv hinzugetreten. Darunter versteht man die Bündelung von Einzelklagen, die auf gleichartigen Ansprüchen beruhen. In der Regel richten sich diese gegen denselben Gegner. Prominente Beispiele sind die sogenannten Diesel-Fälle, Ansprüche aus der DSGVO und aktuell auch vermehrt Glücksspielklagen. Sie alle tragen zur Überlastung der deutschen Zivilgerichtsbarkeit bei.

Der Gesetzgeber hat bereits versucht, die Gerichte durch verschiedene, alternative Verfahrensmodelle zu entlasten (z.B. Musterfeststellungsklage und Abhilfeklage, §§ 1 ff. VDuG und Leitentscheidungsverfahren, § 552b ZPO). Bislang haben diese Instrumente keine nennenswerte Anzahl von Verfahren angezogen. Dies dürfte nicht allein an ihrer Schwerfälligkeit, sondern auch daran liegen, dass Anwälte – unter Zuhilfenahme einer Prozessfinanzierung – an der doch im Einzelfall häufig einfachen Rechtsdurchsetzung verdienen, jedenfalls aber kein wirtschaftliches Interesse daran haben, möglichst viele Ansprüche zu bündeln. Die mittlerweile mögliche, technologische Unterstützung bei deren individueller Abwicklung hat dafür ihr Übriges getan.

Verletzung von Grundprinzipien im Zivilprozess?

Nicht nur deshalb wird über die Anspruchsdurchsetzung durch finanzierte Abtretungsmodelle (u.a. auf dem 74. Deutschen Juristentag, Anhörung im Bundestag zu BT-Drs 20/5560) kritisch diskutiert. Es drängen sich Fragen der Verletzung der Grundprinzipien des Zivilprozesses auf, wenn (massenhaft) Ansprüche durch Abtretung von den Anspruchsinhabern weg hin zu den finanzierenden Gesellschaften getragen werden, die gegen Beteiligung an der eingeklagten Summe die Anwaltskosten zur Rechtsdurchsetzung übernehmen. Die Prozessfinanzierer sind als internationale Fonds meist drittfinanziert und verfolgen ihre eigenen Ziele (bzw. die ihrer Geldgeber), die nicht zwangsläufig mit den Verbraucherinteressen deckungsgleich sind. Die Insolvenz des großen deutschen Prozessfinanzierers RightNow kann insoweit als Beispiel gelten.

Die deutschen Gerichte als staatliche Ressource werden aber nicht nur zur Förderung des Geschäfts ausländischer Prozessfinanzierer ausgenutzt. Vielmehr werden durch die große Zahl der Klagen Gerichte blockiert und so der Zugang zum Recht für andere Rechtssuchende erschwert. Insgesamt fördert diese Finanzierung Massenklagen, weshalb das Vorgehen der Prozessfinanzierer schon Gegenstand von Entscheidungen gewesen ist, die zwar durchaus kritisch die Entwicklung diskutiert, aber bislang (noch) für die Zulässigkeit konkreter Abtretungsmodelle votiert haben (vgl. Keine Gewinnabschöpfungsklage mit Prozessfinanzierer).

Dabei ist die Rolle der Parteien im Prozess im Zusammenhang mit dem Sach- und Rechtsvortrag bislang nicht ausreichend in den Blick genommen worden. Richtig ist zwar, dass eine Zivilrechtsdurchsetzung kostet, wobei Prozessfinanzierer dafür sorgen können, dass Prozesse auch von denjenigen durchgeführt werden können, die ansonsten das Risiko der gerichtlichen Auseinandersetzung scheuen. Gleichwohl sind aber erhebliche Risiken für die Grundprinzipien des Zivilprozesses, u.a. für die Unmittelbarkeit und die Dispositionsmaxime zu erkennen.

Denn bevor es zur gerichtlichen Auseinandersetzung kommt, sprechen Prozessfinanzierer bzw. ihre Anwälte durch Werbung bzw. Social-Media-Beiträge Verbraucher direkt an, um diese zu einer Klage zu motivieren. Zur Angebotserstellung fragt der Prozessfinanzierer beim möglichen Anspruchsinhaber schlicht, und teils sogar technikgestützt, den Sachverhalt ab. Dies ist z.B. aktuell auch bei den sogenannten Glücksspielklagen der Fall.

Es droht der automatisierte Prozessbetrug

Damit macht der Prozessfinanzierer zur Geschäftsgrundlage des Abtretungsvertrages und der damit verbundenen Prozessfinanzierung, dass die den Anspruch begründenden Tatsachen der Wahrheit entsprechen. Dies erfolgt im Regelfall weder mit anwaltlicher Beratung (u.a. auch zum Verbot des Prozessbetruges) noch mit Schutz durch eine staatliche Absicherung. Im Ergebnis wird auf dieser Grundlage der Prozess finanziert, so dass der Anspruchsinhaber an dem vorgerichtlich mitgeteilten Sachverhalt festgehalten wird, was in der gerichtlichen Auseinandersetzung zu Problemen führt, die sich nicht auflösen lassen.

Der Anspruchsinhaber hat, wenn ihm später – z.B. auf Nachfrage des Gerichts – weitere oder neue Informationen einfallen oder andere richtig erinnert werden, vor Gericht nur noch die Wahl, die Unwahrheit zu sagen oder nicht nur den Prozess, sondern auch die Finanzierung vollständig zu verlieren. Dieses Risiko führt dazu, dass eine Parteieinvernahme bzw. der Sachvortrag im Grunde nicht verwertbar ist, jedenfalls das Unmittelbarkeitsprinzip gefährdet. Anderenfalls besteht die Gefahr des automatisierten Prozessbetruges.

Dieser Befund wird dadurch unterstützt, dass die Prozessfinanzierer zunächst verdeckt, oft aber auch gleich offen dem Anspruchsinhaber deutlich machen, dass derjenige, der für den Sachverhalt verantwortlich ist, nämlich der Anspruchsinhaber, keine Herrschaft mehr über den Prozess hat, sondern allein der Finanzierer prozessführungsbefugt ist. Das steht im Konflikt mit der Dispositionsmaxime, die besagt, dass die Parteien Herrinnen des Verfahrens sind. So wird durch die Prozessfinanzierer der deutsche Zivilprozess nicht nur überlastet, sondern geradezu pervertiert, was nicht länger hinnehmbar ist, wenn Prozessfinanzierer letzten Endes den Prozessablauf diktieren.

Prozessfinanzierung führt zum Rosinenpicken

Klar ist, dass Verbraucher ein Recht auf eine Wiedergutmachung auch unter Mithilfe der Gerichte haben, wenn ihnen durch rechtswidriges Verhalten ein Schaden entstanden ist. Ob auch das Profitstreben der Prozessfinanzierer von diesem Justizgewährungsanspruch umfasst ist, bleibt fraglich. So konterkariert die Prozessführung durch den Finanzierer wie oben beschrieben nicht nur die Prinzipien des Zivilprozesses, sondern auch die der Verbraucherrechte als solcher. Dies belegen die mittlerweile üblichen Kosten für die Prozessfinanzierung (häufig mehr als 40% der eingeklagten Summe), welche eine unangemessene Belastung des Verbrauchers darstellen.

Ein signifikanter Anteil eines ausgeurteilten Betrags landet damit im Erfolgsfall bei dem Finanzierer. Anders als häufig gehofft, erzeugt der Wettbewerb nicht die Situation, dass bei "klareren" Ansprüchen die Kosten der Prozessfinanzierung sinken. Vielmehr werden mittlerweile nur noch derartige (klare) Fälle anhängig gemacht (DSGVO-Ansprüche oder Glücksspielklagen), bei denen der Abzug außer Verhältnis zum tatsächlichen (geringen) Risiko steht, und damit viel zu hoch ist. Die bereits diskutierte Grenze von mind. 90% der Klagesumme für den Kläger dürfte hier angesichts der Dysfunktionalität des Wettbewerbes geboten sein.

RightNow-Insolvenz zeigt Regulierungsdefizit auf

Die Anfang März 2025 eingetretene Insolvenz von RightNow (einschließlich dessen Schweizer Klagevehikel, der Legal Claims Holding), hat eine weitere Gefahr der Prozessfinanzierung von Verbraucheransprüchen offenbart: Die weder für den Verbraucher noch die Gerichte durchschaubare finanzielle Lage dieser Akteure. Sie verdeutlicht, dass, neben der bereits vorgeschlagenen 90-Prozent-Grenze, erheblicher Bedarf zur Regulierung der Prozessfinanzierer besteht. Um in Zukunft vergleichbare Fälle, die Verbraucher wie Gerichte hart treffen, zu vermeiden, bieten sich beispielsweise Vorgaben zur Kapitalausstattung und eine Verpflichtung zur Anspruchsbündelung an.

So ruhen aufgrund der Insolvenz von RightNow, die nach Marktinformationen maßgeblich durch die erfolglose Durchsetzung von angeblichen Glücksspielansprüchen hervorgerufen wurde, nun die massenhaft angestrengten Spielerklagen vor deutschen Gerichten. Diese haben bereits erhebliche Ressourcen auf Gerichts- und Parteienseite in Anspruch genommen, etwa durch mündliche Verhandlungen und die Anreise der Verbraucher.

Prozessführungsbefugt ist jetzt aber nicht einmal mehr der Prozessfinanzierer, sondern der Insolvenzverwalter. Die Anspruchsdurchsetzung ist damit endgültig unabhängig vom eigentlichen Anspruchsinhaber (dem Verbraucher) und dem angerufenen Gericht. Stattdessen hängt sie an sachfremden Aspekten wie dem Sanierungsplan des Prozessfinanzierers und dem Erfolg einer weiteren Finanzierungsrunde. Möglich ist damit ein wirtschaftlicher Totalschaden – sowohl beim Verbraucher als auch bei den weiteren Beteiligten, die auf sämtlichen Verfahrenskosten sitzen bleiben, die der insolvente Prozessfinanzierer verursacht hat.

 

Stefan EngelsProf. Dr. Stefan Engels ist Partner bei DLA Piper und leitet die deutsche Praxisgruppe Intellectual Property & Technology. Er unterrichtet E-Commerce, Werberecht sowie Presserecht an der Universität Hamburg. Prof. Dr. Engels ist spezialisiert auf Presse- und Äußerungsrecht, Gewerblichen Rechtsschutz (u.a. Werbe- und Wettbewerbsrecht sowie Urheberrecht) und Rundfunk- und Onlinerecht ("Medienrecht"). Er ist beratend sowie insbesondere in streitigen Angelegenheiten tätig.

Thomas GädtkeDr. Thomas Gädtke ist Partner bei DLA Piper und leitet die deutsche Praxisgruppe Litigation & Regulatory, die Global Class Actions Group und die European Cross Border Litigation Group. Er ist spezialisiert auf Cross-Border-Streitigkeiten, internationale Schiedsverfahren sowie alle Arten nationaler Konfliktlösungsmechanismen (Ordentliche Gerichtsbarkeit, Schiedsverfahren, Mediation). Ein Hauptschwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Verteidigung von Unternehmen in Massenverfahren/Verbandsklagen.

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Diesel, Glücksspiel, DSGVO: . In: Legal Tribune Online, 06.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57132 (abgerufen am: 09.11.2025 )

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