Recherche ergibt neues Bild: Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte höher als ange­nommen

22.10.2021

Das Volumen der Steuerausfälle durch Cum-Ex-Geschäfte wird nach neuer Recherche auf rund 150 Milliarden Euro taxiert. Bislang hatte man die Schadenssumme für die betroffenen Länder mit rund 55 Milliarden Euro beziffert.

Ein Netzwerk aus Journalistinnen und Journalisten von 15 internationalen Medien hat in den vergangenen Monaten zu Cum-Ex-Geschäften recherchiert. In Zusammenarbeit mit Christoph Spengel, Steuerprofessor an der Universität Mannheim, kommt man zu dem Schluss, dass allein deutschen Finanzämtern knapp 36 Milliarden Euro entgangen sind. Im Zuge einer Berechnung im Jahr 2018 war Spengel von mindestens 31,8 Milliarden Euro ausgegangen.

Auch die Steuerausfälle in den mindestens elf anderen betroffenen Ländern liegen offenbar signifikant über den bisherigen Erwartungen. Den Recherchen zufolge dürfte sich die Gesamtsumme jenseits von 150 Milliarden Euro bewegen. Nach wie vor streiten sich Beobachter darüber, ob inzwischen alle Schlupflöcher in der Steuergesetzgebung geschlossen werden konnten.

Bei Cum-Ex-Geschäften wechseln Aktien eines Unternehmens mit Anspruch auf eine Dividendenausschüttung und Anteilsscheine ohne Ausschüttungsanspruch in schneller Folge den Besitzer. Die Transaktionen werden am und um den für die Dividendenzahlung maßgeblichen Stichtag durchgeführt.

Zeitpunkt und Häufung des Besitzerwechsels führen dazu, dass den Steuerbehörden in vielen Fällen keine eindeutige Zuordnung der Aktien mehr möglich ist. In der Folge wurden in der Vergangenheit sich überlappende Steuererstattungen gewährt. Bei zahlreichen Finanzämter waren die transaktionsbezogenen Auszahlungen deutlich höher als die vorangegangenen Einnahmen.

Hase vs. Igel

In Deutschland wurde dieser Praxis ab dem Jahr 2012 durch Anpassungen in der Steuergesetzgebung die Grundlage entzogen. Unter anderem sind die Voraussetzungen für eine Anrechnung von Kapitalertragsteuern auf Dividendenzahlungen enger gefasst worden.

Ende Juli dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof (BGH) Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung klassifiziert (Urt. v. 28.07.2021, Az. 1 StR 519/20). Zwei britische Aktienhändler waren in einem Strafprozess vor dem Landgericht Bonn zu Bewährungsstrafen verurteilt worden und hatten jeweils Revision zum BGH eingelegt. Beide Revisionen wurden verworfen.

Verbraucherschützer und Vertreter des linken politischen Spektrums werden indes nicht müde darauf hinzuweisen, dass nach wie vor Handlungsbedarf besteht und Cum-Ex-Geschäfte in teils abgewandelten Gestaltungsvarianten nach wie vor Anwendung finden. Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, greift gegenüber dpa das Bild von Hase und Igel auf. Die Staaten zögen seiner Einschätzung nach immer wieder “den Kürzeren”. Schick fordert mehr internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Steuerbetrug.

sts/LTO-Redaktion

mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Recherche ergibt neues Bild: Schaden durch Cum-Ex-Geschäfte höher als angenommen . In: Legal Tribune Online, 22.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46430/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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