Verfassungsbeschwerden von VW und Jones Day erfolglos: Beschlag­nahmte VW-Unter­lagen dürfen aus­ge­wertet werden

von Dr. Anja Hall

06.07.2018

Schlappe für Volkswagen und Jones Day im Dieselskandal. Das BVerfG hat ihre Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Und dabei dem Legal Privilege bei internen Untersuchungen enge Grenzen gesetzt.

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) war lange erwartet worden – und sie endete mit einer klaren Niederlage von Volkswagen und der Kanzlei Jones Day.

Im Diesel-Skandal können die Ermittler damit nach einjähriger Verzögerung umfangreiche interne Unterlagen auswerten, die Jones Day für den Autobauer erhoben hat. Das BVerfG wies insgesamt fünf Verfassungsbeschwerden gegen die Beschlagnahme ab, wie am Freitag in Karlsruhe mitgeteilt wurde. Volkswagen und Jones Day bezogen ihre Beschwerden jeweils auf die Durchsuchungsanordnung sowie auf die Bestätigung der Sicherstellung. Drei Rechtsanwälte der Kanzlei richteten zudem eine Beschwerde gegen beide Maßnahmen.

Alle fünf blieben aber erfolglos: Der Autokonzern sei weder in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch im Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden, hieß es zur Begründung. Die US-Kanzlei Jones Day sei erst gar keine Trägerin von Grundrechten und deshalb auch nicht zur Beschwerde berechtigt. Auch eine Beschwerdebefugnis der dort tätigen Rechtsanwälte konnte das BVerfG nicht erkennen (Beschl. v. 27.06.2018; Az. 2 BvR 1287/17 u.a.)

Ermittler dürfen die Daten jetzt sichten

Damit sind jetzt Daten und Akten zur Sichtung frei, die im März 2017 bei einer Durchsuchung der Münchener Geschäftsräume von Jones Day sichergestellt wurden. VW hatte die internationale Wirtschaftskanzlei im September 2015 mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung und der Vertretung gegenüber den US-Strafverfolgungsbehörden beauftragt. Hintergrund war ein in den USA geführtes strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit manipulierten Dieselmotoren. Zur Sachaufklärung haben die Rechtsanwälte innerhalb des Volkswagen-Konzerns eine Vielzahl von Dokumenten gesichtet und konzernweit Befragungen von Mitarbeitern durchgeführt. Mit dem Mandat waren auch Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro der Kanzlei befasst.

Die Staatsanwaltschaft München II, die die Durchsuchung veranlasst hatte, ermittelt gegen die VW-Tochter Audi, die Jones Day selbst kein Mandat erteilt hatte. Es geht um Betrugsverdacht und strafbare Werbung. Die Ermittlungen der Münchner Staatsanwälte richten sich gegen mehrere Beschuldigte, inzwischen wurde auch gegen Audi selbst ein Bußgeldverfahren gemäß § 30 OWiG, der Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen regelt, eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig führt ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte, hier geht es um einen Dieselmotor von VW.

Über die Durchsuchung und die Verwertung der Unterlagen kam es zum Rechtsstreit. Vor dem Münchener Amtsgericht und dem Landgericht München I unterlagen VW und Jones Day. Sie legten daraufhin Verfassungsbeschwerden ein. Ende Juli 2017 hatte das BVerfG zunächst in einer Eilentscheidung die Auswertung der Unterlagen gestoppt und diese einstweilige Anordnung im Januar nochmals um sechs Monate verlängert.

BVerfG sieht "hohes Missbrauchspotenzial"

In der Hauptsache vertritt das BVerfG nun eine andere Ansicht, die Verfassungsbeschwerde von Volkswagen gegen den Durchsuchungsbeschluss halten die Karlsruher Richter mangels Rechtsschutzbedürfnis gar nicht erst für zulässig. VW sei von dem mit der Durchsuchung verbundenen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 GG nicht unmittelbar betroffen, weil nicht ihre Geschäftsräume, sondern die Kanzleiräume ihrer Rechtsanwälte durchsucht worden sind.

Was die Sicherstellung der Daten angeht, sehen die Verfassungsrichter den Autobauer zwar tatsächlich in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Sie räumen ein, dass eine mögliche Verwendung der internen Daten für weitere Ermittlungen den Konzern in seiner wirtschaftlichen Betätigung gefährden könnte. Sie halten diesen Grundrechtseingriff aber für gerechtfertigt.

Kein Legal Privilege gegen Durchsuchung und Beschlagnahme

Die Fachgerichte waren der Ansicht, dass § 160a Abs. 1 S. 1 Strafprozessordnung (StPO) im Zusammenhang mit Durchsuchungen nicht anwendbar ist. Die Vorschrift regelt, dass eine Ermittlungsmaßnahme, die sich gegen einen Rechtsanwalt richtet und Erkenntnisse liefern könnte, über die er ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte, unzulässig ist. Dass das für Durchsuchungen und Beschlagnahmen nicht gelte, bestätigten jetzt die Karlsruher Richter.

Das absolute Beweiserhebungs- und verwendungsverbot auf Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen von Mandantenunterlagen eines Rechtsanwalts auszudehnen, sei verfassungsrechtlich nicht geboten, denn das würde "die Effektivität der Strafverfolgung in erheblichem Maße einschränken", entschieden die Richter. Derartige absolute Verbote kann es nach der Rechtsprechung des BVerfG nur in engen Ausnahmefällen geben, etwa wenn eine Ermittlungsmaßnahme in den Schutzbereich der Menschenwürde eingreifen würde. Das liege hier aber nicht vor.

Auch eine erweiternde Auslegung von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO lehnt das BVerfG ab. Dass die Fachgerichte das Beschlagnahmeverbot nur im Rahmen des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Berufsgeheimnisträger und einem konkret Beschuldigten anwendbar halten, verletze das Verfassungsrecht ebenfalls nicht. Einen Beschlagnahmeschutz unabhängig für von einem Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Verhältnis könne es nicht geben. Hier gebe es "ein hohes Missbrauchspotential", so das BVerfG: Beweismittel könnten sonst gezielt in die Sphäre des Rechtsanwalts verlagert oder nur selektiv herausgegeben werden.

Jones Day gar nicht erst zur Beschwerde berechtigt

Auch die Verfassungsbeschwerden von Jones Day und dreien seiner Anwälte blieben erfolglos, Karlsruhe sieht sie als gar nicht erst zulässig an. Jones Day sei nicht berechtigt, Verfassungsbeschwerden einzureichen, entschieden die Richter des BVerfG. Die Kanzlei, die in der Rechtsform einer Partnership nach dem Recht des US-Bundesstaats Ohio organisiert ist, sei keine inländische juristische Person - und damit auch keine Trägerin von Grundrechten (Art. 19 Abs. 3 GG). Dass ihr Münchner Standort von den Ermittlungsmaßnahmen betroffen ist, ändert daran nichts.

Auch eine Beschwerdebefugnis von Anwälten der Kanzlei ist nicht ersichtlich, entschied das Gericht. Die Juristen seien durch die Durchsuchung und Sicherstellung nicht in eigenen Grundrechten verletzt worden. Sie können sich laut BVerfG nicht auf das Wohnungsgrundrecht (Art. 13 Abs. 1 GG) berufen, denn bei Geschäftsräumen kommt der Schutz nur dem Unternehmer als Nutzungsberechtigtem zugute, nicht aber den einzelnen Arbeitnehmern.

Zudem hätten sie ihre Verfassungsbeschwerde mit ihrer Stellung als Rechtsanwalt, ihrer Berufsausübung und den Auswirkungen auf die Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant begründet. "Diese berufliche Sphäre betrifft jedoch nur die Kanzlei Jones Day", stellen die Verfassungsrichter klar.

Entscheidung auch für Pläne der GroKo relevant

Die Entscheidung des BVerfG war seit langem erwartet worden. Mit Blick auf interne Untersuchungen hatten sich gerade bei der Aufarbeitung des Dieselskandals einige Regelungslücken in Bezug auf das Legal Privilege gezeigt, mit denen sich u.a. eine Entscheidung des Landgerichts Stuttgart befasste (Beschl. v. 26.3.2018, 6 Qs 1/18).

Auch die Bundesregierung wird die Entscheidungen der Verfassungsrichter interessiert zur Kenntnis nehmen, denn die große Koalition plant gesetzliche Vorgaben für Internal Investigations. Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD, hatte in einem Interview mit LTO gesagt, dass eine klare Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung nötig sei. Bevor es an die konkrete Umsetzung gehe, wollte man jedoch die Entscheidung des BVerfG abwarten.

Der Volkswagen-Konzern teilte in einem Statement mit, man begrüße es, dass "nunmehr Klarheit hinsichtlich der offenen Rechtsfragen geschaffen wurde, auch wenn das Gericht die Rechtsauffassung der Volkswagen AG nicht geteilt hat". Weiter hieß es, dass die Gesellschaften des Volkswagen-Konzerns "auch weiterhin und unter Einbeziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts" mit den staatlichen Behörden kooperieren würden. Jones Day antwortete bis zur Veröffentlichung nicht auf Anfrage der LTO-Redaktion.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Anja Hall, Verfassungsbeschwerden von VW und Jones Day erfolglos: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29613 (abgerufen am: 10.10.2024 )

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