Das Urteil im ersten Cum-Ex-Strafprozess ist rechtskräftig, so der BGH. Das LG Bonn hatte zwei britische Aktienhändler zu Bewährungsstrafen verurteilt, Karlsruhe hat die Revisionen am Mittwoch nun verworfen.
Das bundesweit erste Strafurteil wegen sogenannter Cum-Ex-Aktiengeschäften zulasten der Steuerkasse ist rechtskräftig. Im vergangenen Jahr hatte das Landgericht (LG) Bonn zwei britische Börsenhändler zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt (Urt. v 18.03.2020, Az. 62 KLs 1/19) und die Einziehung von 176 Millionen Euro zu Lasten der in den Skandal verwickelten Privatbank M.M. Warburg angeordnet. Alle Beteiligten hatten Revision eingelegt – und scheiterten damit vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Dieser bestätigte am Mittwoch die Entscheidung aus Bonn (Urt. v. 28.07.2021, Az. 1 StR 519/20).
Bei der Verhandlung am 15. Juni 2021 hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter noch keine Tendenz erkennen lassen – jetzt aber ist klar, dass es sich bei den Cum-Ex-Transaktionen um strafbare Steuerhinterziehung handelt und nicht nur ein Steuerschlupfloch genutzt wurde, wie die Verteidigung unter anderem argumentiert hatte. Die strafrechtliche Aufarbeitung des Skandals kann damit weitergehen.
Erstes Strafurteil zu Cum-Ex fiel im März 2020
Im März 2020 hatte das LG Bonn das erste Strafurteil zu den Cum-Ex-Deals verkündet: Es verurteilte zwei Londoner Börsenhändler zu Haftstrafen, setzte diese allerdings aufgrund der umfassenden Kooperation der Angeklagten zur Bewährung aus. Beide hatten für die inzwischen liquidierte Finanzberatung Ballance gearbeitet, die im Cum-Ex-Skandal eine zentrale Rolle spielte. In den Jahren 2007 bis 2011 waren beide Angeklagten in unterschiedlichem Maß in die Planung und Organisation von Aktientransaktionen eingebunden, die der Umsetzung des Geschäftsmodells mit den Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften dienten.
Einer der Männer wurde wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen sowie der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem weiteren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Zudem hatte das Gericht bei ihm die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 14 Millionen Euro angeordnet. Dagegen richtete sich seine Revision.
Der zweite Angeklagte wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Auch hier wurde die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. In den übrigen Anklagepunkten wurde er freigesprochen. Mit seiner Revision wendete er sich gegen die Verurteilung insgesamt.
Außerdem hatte das LG Bonn bei der Privatbank M.M. Warburg die Einziehung von Taterträgen in Höhe von rund 176 Millionen Euro angeordnet. Das Gericht nahm dabei an, die Bank habe durch die unberechtigte Steueranrechnung Vermögenswerte und Nutzungen in dieser Höhe erlangt. Die Bank hält das für ungerechtfertigt und hatte Revision eingelegt. Die Angeklagten hätten auf eigene Rechnung gehandelt. Außerdem seien die Ansprüche aus einem Teil der Geschäfte zwischen 2007 und 2009 steuerrechtlich verjährt. Die Steuern hat die Bank zurückgezahlt, die Bescheide des Finanzamts jedoch angefochten.
Erstattung von Steuern, die nie gezahlt wurden
Mit den sogenannten Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften nutzten Investoren und Banken eine Gesetzeslücke. Nach den Feststellungen des LG plante und organisierte der wegen Steuerhinterziehung verurteilte Angeklagte zahlreiche Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäfte, die alle dem gleichen Ablauf folgten: Warburg kaufte in der Dividendensaison der Jahre 2007 bis 2011 von Leerverkäufern jeweils kurz vor dem Hauptversammlungstag Aktien mit Dividendenanspruch ("Cum-Aktien"). Die Leerverkäufer lieferten jedoch – und das war von vornherein geplant – Aktien ohne Dividendenanspruch ("Ex-Aktien") und leisteten zur Kompensation je eine Ausgleichszahlung. Für diese war ab dem Jahr 2007 Kapitalertragsteuer zu entrichten – die Steuer wurde aber weder auf Seiten der Leerverkäufer noch sonst wo einbehalten.
Das Bankhaus stellte sich dann selbst Steuerbescheinigungen zur Vorlage bei den Behörden aus, mit denen es wahrheitswidrig den angeblichen Steuereinbehalt bestätigte. In der Folge erstatteten Finanzämter Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Insgesamt wurden über 166 Millionen Euro an Warburg ausgezahlt; aus diesen Erträgen erwirtschaftete die Bank weitere zehn Millionen Euro.
In weiteren Fällen übernahmen eigens für diesen Zweck gegründete Fonds die Rolle des Leerverkäufers. Nach Vorlage ebenfalls falscher Steuerbescheinigungen, die wiederum den angeblichen Steuereinbehalt für die durchgeführten Cum-Ex-Transaktionen bestätigten, zahlten die Finanzbehörden an die Fonds zu Unrecht über 226 Millionen Euro aus.
Der wegen Steuerhinterziehung verurteilte Angeklagte profitierte von den Geschäften insgesamt in Höhe von 14 Millionen Euro. Der andere Angeklagte war an den Profiten nicht beteiligt; er übernahm auch nur unterstützende Aufgaben.
Die beiden angeklagten Briten hatten im Bonner Prozess beteuert, sie seien nie auf die Idee gekommen, etwas Strafbares zu tun, sondern hätten nur ein Steuerschlupfloch genutzt. Das sah der BGH anders. Aus dem Gesetz habe sich eindeutig ergeben, dass nur eine tatsächlich gezahlte Steuer gegenüber den Finanzbehörden geltend gemacht werden könne, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Raum. "Eine Lücke gab's hier nicht." Bei Cum-Ex sei es nur um eines gegangen: den "blanken Griff in die Kasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen."
Cum-Ex-Deals sind strafbare Steuerhinterziehung
Die Richterinnen und Richter stellten klar, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden im Wege der Cum-Ex-Geschäfte eine strafbare Steuerhinterziehung ist.
Insbesondere hatten sie keinen Zweifel am Vorsatz der Beteiligten, denn diese hätten um den Dividendenstichtag herum bewusst arbeitsteilig auf die Auszahlung nicht abgeführter Kapitalertragsteuer hingewirkt. Das Gesetz habe schon zum Zeitpunkt der Tatbegehung eindeutig vorgesehen, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf. Dagegen hätten die Beteiligten bei den Cum-Ex-Geschäften bewusst verstoßen.
Auch die Revisionen des Angeklagten und des Bankhauses gegen die Einziehungsentscheidungen hatten keinen Erfolg. Anhand der erzielten Taterträge und der hieraus gezogenen Nutzungen habe das LG Bonn die Höhe der Einziehungsbeträge zutreffend bestimmt. Jedenfalls auf Grund der durch das Jahressteuergesetz 2020 neu eingeführten Regelung des § 73e Abs. 1 Satz 2 StGB sei die Einziehung entgegen der Ansicht der Bank auch nicht wegen Verjährung ausgeschlossen. Ebenfalls nicht zu beanstanden sei die gesamtschuldnerische Haftung der Beteiligten in Bezug auf die Einziehungsanordnung.
Das Urteil des LG Bonn ist damit rechtskräftig.
fkr/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Erstes BGH-Urteil in der Sache: . In: Legal Tribune Online, 28.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45578 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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