Die Rolle der BaFin beim Aufstieg und Niedergang des Technologiekonzerns Wirecard wirft kein vorteilhaftes Licht auf die Behörde. Ein BaFin-Mitarbeiter sagt am Mittwoch vor dem LG München I aus.
Für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist der Fall Wirecard ein veritables Debakel. Vom mutmaßlichen Milliardenbetrug bekam die Behörde nichts mit, zwischenzeitlich hat sie zumindest das Offensichtliche festgestellt: Die mutmaßlich jahrelang falschen Geschäftszahlen des 2020 kollabierten Dax-Konzerns trieben die Börsenkurse in die Höhe.
Das sagte ein als Gutachter und Zeuge geladener Mitarbeiter der Bundesbehörde im Münchner Strafprozess um den größten Fall von Wirtschaftsbetrug in Deutschland nach 1945. "Wir hätten einen sehr starken Kursrückgang gesehen, wenn das so bekannt gewesen wäre", erklärte der 44 Jahre alte Bundesbeamte.
Die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen den früheren Wirecard-CEO Dr. Markus Braun und weitere ehemalige Top-Manager des Unternehmens hat im Dezember 2022 am Landgericht München I begonnen und läuft noch immer (Az. 4 KLs 402Js 108194/22). Die Marktmanipulation ist als einer von mehreren Tatkomplexen Teil der Anklage, die von der Staatsanwaltschaft München I im März 2022 erhoben wurde.
Mit der Veröffentlichung der erheblich geschönten Zahlen hätten die Beteiligten gegenüber den Anlegern den Eindruck erwecken wollen, dass es sich bei der Wirecard AG um ein geschäftlich erfolgreiches und zahlungskräftiges Unternehmen handelte, heißt es in der Anklageschrift – und weiter: "Wäre die wahre Finanzlage veröffentlicht worden, wäre es demgegenüber zu erheblichen Kurseinbrüchen gekommen." Vorsätzliche Marktmanipulationen mit Einwirkung auf den Aktienkurs sind Straftaten. Bei einem gewerbs- oder bandenmäßigen Handeln, wie es den Angeklagten vorgeworfen wird, drohen bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe (§ 119 Abs. 5 Wertpapierhandelsgesetz).
Nach der Pleite kam der Gutachten-Auftrag
Die BaFin war im Zuge des Skandals in die Kritik geraten, weil die Aufsicht von Bilanzmanipulationen bei Wirecard lange nichts bemerkte. Stattdessen hatte die Behörde Anzeige gegen den britischen Journalisten Dan McCrum erstattet, der mit jahrelangen Recherchen den Skandal aufdeckte. Im Januar 2021 räumte der damalige BaFin-Chef Felix Hufeld nach monatelangen Vorwürfen gegen die Behörde schließlich seinen Stuhl. Die Versuche von Anlegern, wegen erlittener Kursverluste Schadensersatzansprüche gegen die BaFin geltend zu machen, blieben allerdings erfolglos.
Nach der Insolvenz gab die Münchner Staatsanwaltschaft bei der BaFin ein Gutachten in Auftrag, über das der Beamte am Mittwoch berichtete. Die Behörde sollte beurteilen, ob die nach Einschätzung der Ermittler seit 2015 falschen Bilanzen des Zahlungsdienstleisters Einfluss auf den Kurs der Wirecard-Aktie hatten. Grundlage waren Berechnungen, bei denen der mutmaßlich erfundene Teil der Wirecard-Umsätze und Gewinne von den mutmaßlich ehrlichen Geschäften abgezogen wurde.
Wirecard ohne Scheingeschäfte immer tiefer in den roten Zahlen
Ohne die angenommenen Scheingeschäfte hätte Wirecard demnach schon 2017 fast 100 Millionen Euro Verlust vor Steuern geschrieben, 2018 dann ein mehr als doppelt so hohes Minus verbucht. "Wäre das so bekanntgeworden, wäre das ein großer Anreiz gewesen, Wirecard-Aktien zu verkaufen, oder erst gar nicht zu erwerben", sagte der Beamte. "Das überrascht jetzt nicht, wenn man die Zahlen zugrunde legt", kommentierte der Vorsitzende Richter Markus Födisch.
Die Wirecard-Aktie wurde Anfang 2017 an der Frankfurter Börse für knapp 50 Euro gehandelt und schoss bis zur Aufnahme in den Leitindex Dax im September 2018 auf knapp 200 Euro in die Höhe. Der Insolvenz im Juni 2020 folgte der Crash. Heute macht der vom Insolvenzverwalter Dr. Michael Jaffé weitgehend abgewickelte Konzern keine Geschäfte mehr – die Aktie wird aber immer noch gehandelt. Aktuell liegt der Kurs bei knapp zwei Cent.
sts/LTO-Redaktion mit Material der dpa
Beamter sagt im Strafprozess aus: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56876 (abgerufen am: 13.05.2025 )
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