Aufklärungspflichten bei Verfehlungen: Wie weit reicht der Arm des Auf­sichts­rats?

Gastbeitrag von Dr. Lars-Gerrit Lüßmann und Matthias Dezes

19.11.2018

Die Frage steht nicht erst seit Friedrich Merz und Blackrock im Raum: Muss ein Aufsichtsrat eingreifen, wenn es unternehmerische Verfehlungen vor seiner Amtszeit gab? Wenn ja, wie? Lars-Gerrit Lüßmann und Matthias Dezes mit einem Überblick.

Müssen sich Aufsichtsräte für unternehmerische Verfehlungen verantworten, die Jahre vor dem Beginn ihrer Amtszeit begangen wurden? Und wie ist in einer solchen Situation vorzugehen? Mit diesem Thema muss sich zurzeit Friedrich Merz, Aufsichtsratsvorsitzender des Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland und Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, auseinandersetzen.

Hintergrund ist eine mögliche Verwicklung von Blackrock in sogenannte Cum-Ex-Geschäfte. Merz ist in die Kritik geraten, obwohl die fraglichen Geschäfte in einen Zeitraum vor 2011 fielen, während er erst seit 2016 Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock in Deutschland ist. Cum-Ex-Geschäfte beruhten auf einer Regelungslücke und beinhalteten im Kern, dass sich Kapitalmarkt-Akteure zu viel gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten ließen.

Der Aufsichtsrat muss nicht alles prüfen

Im Hinblick auf die Handlungspflichten des Aufsichtsratsvorsitzenden ist zu differenzieren. Es ist selbstverständlich eine der Kernaufgaben des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung durch den Vorstand zu überwachen und gegebenenfalls Pflichtverstöße oder gar rechtswidrige Handlungen des Vorstands zu unterbinden (§ 111 Abs. 1 AktG). Dabei geht das Gesetz zunächst davon aus, dass der Aufsichtsrat die gegenwärtige Geschäftsführung überwacht. Abgeschlossene Vorgänge in der Vergangenheit kann der aktuelle Aufsichtsrat selbstverständlich nicht mehr verhindern. Eine Verantwortlichkeit ist insoweit klar abzulehnen, soweit die Mitglieder des Gremiums ihre Tätigkeit erst nach dem Abschluss der fraglichen Vorgänge aufgenommen haben.

Dennoch muss der Aufsichtsrat auch alle abgeschlossenen Geschäftsführungsvorgänge prüfen, und zwar auch solche von ehemaligen Vorstandsmitgliedern. Konsequenterweise ist Referenzzeitraum für die laufende Überwachung aber zunächst die jeweilige Rechnungslegungs- bzw. Entlastungsperiode. Ein erweiterter Prüfungszeitraum kann nur geboten sein, wenn der Aufsichtsrat Anlass hat anzunehmen, dass gegenwärtig amtierende Vorstandsmitglieder in der weiter zurückliegenden Vergangenheit erhebliche Pflichtverletzungen begangen haben, die eine außerordentliche Beendigung des Vorstandsmandats erfordern könnten.

Eine Aufklärungspflicht kann auch dann bestehen, wenn es einen Verdacht auf schwerwiegende Verfehlungen – etwa Wirtschaftsstraftaten – gibt und die Aufklärung der Vorgänge erforderlich ist, um mögliche Schadensersatzansprüche gegen die handelnden Vorstandsmitglieder durchzusetzen oder die Reputation des Unternehmens zu schützen.

Wann der Aufsichtsrat selbst die Untersuchung aufzunehmen hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es hängt davon ab, wie konkret der Verdacht eines Fehlverhaltens und wie schwerwiegend der Vorwurf ist. Über die Frage, ob ein solcher Anlass bei Blackrock schon vor der staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung vorlag und der heute amtierende Aufsichtsrat daher schon zuvor veranlasst gewesen wäre, Ermittlungen einzuleiten, kann aber nur spekuliert werden.

Mitentscheidend: die richtige Kommunikation

Die Unternehmensführung muss also bei gegebenem Anlass die Situation sorgfältig prüfen und im Rahmen des rechtlich Gebotenen entscheiden, ob und wenn ja, welche Maßnahmen sie ergreift und wie sie darüber kommuniziert. Im Hinblick auf die Kommunikation ist das wesentliche Kriterium für solche Entscheidungen die Unternehmensreputation. Eine solche aufzubauen, erfordert viel. Sie zu zerstören, bedarf es dagegen nur wenig.

Der Aufsichtsrat hat an dieser Stelle eine schwierige Position: Wird er im Falle eines Anfangsverdachts zu schnell aktiv, desavouiert er den Vorstand. Zögert er zu lange, wird ihm vorgeworfen, dass er den Vorstand und damit das gesamte Unternehmen nicht ausreichend kontrolliert. In der öffentlichen Wahrnehmung spielt es eine untergeordnete Rolle, ob das fragliche Ereignis vor oder nach dem Amtsantritt des Aufsichtsrats stattgefunden hat.

Wie also kann ein Firmenaufseher in einem kritischen Szenario und im Rahmen der Rechtsordnung so handeln, dass er oder sie die aktienrechtlichen Pflichten erfüllt, die Unternehmensreputation verteidigt und das Management (und sich selbst) nicht beschädigt? Zunächst sollte sich der Aufsichtsratsvorsitzende ein klares Bild über den Sachverhalt verschaffen und sodann unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses geeignete Maßnahmen ergreifen. Das klingt banal, doch die Umsetzung und die Kommunikation darüber sind alles andere als einfach.

Transparenz schützt auch Vorstand und Aufsichtsrat

Schlechte Nachrichten schaden einem Unternehmen immer: Die Kunden werden verunsichert, Verkaufszahlen gehen zurück, der Aktienkurs gerät unter Druck, und Vorstand und Aufsichtsrat geraten in die Kritik. Verschweigen oder Herunterspielen steigert die Negativeffekte um ein Vielfaches – erst recht, wenn der Vorgang auch eine rechtlich relevante Dimension hat. Dagegen hat eine professionelle Kommunikation kritischer Themen den betroffenen Unternehmen meist genutzt: Das konsequente Offenlegen von Problemen, nachprüfbare Anstrengungen zu deren Beseitigung – etwa durch Kooperation mit den Behörden – und vor allem verlässlich gegebene Informationen hierüber steigerten das Vertrauen in die Unternehmen, die einen solchen Weg beschritten haben, nachhaltig.

Ein solches Vorgehen nützt auch der persönlichen Reputation von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern. Denn es ist Aufgabe der Unternehmensführung, in der Krise zugleich die Chance zu erkennen, weiteren Schaden abzuwenden, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen und auf diese Weise seinen Wert zu steigern.

Notfalls auch gegen den Vorstand

Die Initiative zur Aufklärung sollte ein Aufsichtsratsvorsitzender erst recht dann ergreifen, wenn die herrschenden Kräfte im Unternehmen in die entgegengesetzte Richtung wirken. Wehrt sich beispielsweise das Management gegen die Aufklärung von Verfehlungen, sollte der Aufsichtsratsvorsitzende auf ein geschlossenes Auftreten des Aufsichtsrats hinwirken. In einer solchen Situation bieten sich Vertreter von Großaktionären oder gegebenenfalls auch Arbeitnehmervertreter als Bündnispartner des Vorsitzenden an. Im Ernstfall muss der Aufsichtsratsvorsitzende bereit sein, als ultima ratio auch auf die Ablösung des Vorstands zu drängen.

Gibt es begründeten Anlass zur Annahme von Fehlverhalten in der Vergangenheit und ist dies bereits öffentlich, dann ist sowohl die Unternehmensreputation als auch die persönliche Reputation der amtierenden Organmitglieder in Gefahr - auch wenn ihnen das Fehlverhalten selbst nicht zuzurechnen ist. In einer solchen Situation sollte der Aufsichtsrat zunächst den Sachverhalt sorgfältig prüfen, eine moderierende Rolle einnehmen und den Vorstand in der Krise unterstützen. Bei Bedarf muss er jedoch bereit sein, Konflikte auszutragen und selbst Maßnahmen zu ergreifen.

Die Autoren: Dr. Lars-Gerrit Lüßmann ist Partner bei Taylor Wessing in Frankfurt, er ist auf Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Matthias Dezes ist Inhaber der Public-Relations-Agentur Dezes, die unter anderem auf CEO-Kommunikation und Krisen-PR spezialisiert ist.

 

Zitiervorschlag

Aufklärungspflichten bei Verfehlungen: Wie weit reicht der Arm des Aufsichtsrats? . In: Legal Tribune Online, 19.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32171/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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