Anwalt in der Krise: Ende der Schon­zeit

von Tanja Podolski

18.09.2017

2/2: Weniger Fehler, schlimmere Folgen

Dabei gibt es – zumindest bei der nach Marktinformationen bei Großkanzleien bedeutendsten Versicherung, der Allianz – nicht mehr Schadensfälle als früher. Im Gegenteil: "Die Anzahl der Pflichtverletzungen, also der Fehler von Anwälten, geht seit Jahren kontinuierlich zurück", berichtet Dirk Weske, Leiter der zuständigen Schadenabteilung für die Vermögensschadenhaftpflicht. Die Anzahl der Mandanten hingegen, die versuchten, von ihrem Anwalt Schadensersatz zu bekommen, sei konstant.

Eine deutliche Steigerung sieht Rechtsanwalt Weske bei den Massenschäden. Das sind die Fälle, in denen ein Anwalt z.B. Dutzende von Anlegern vertritt. Passiere hier ein Fehler, ziehe sich dieser durch alle Mandate, so der Schadenrechtler, der zuvor in der Allianz-Rechtsabteilung gearbeitet hat und Mitglied der Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer ist. So sei zwar die Anzahl der Pflichtverletzungen geringer, die Schäden würden unter anderem aus diesem Grund aber teurer.

Wer die Fehler macht und wie man damit umgeht

"Die Fehler machen eher diejenigen, die an sich besonders gute Juristen sind", beobachtet Clifford-Partner Hornung. Das seien die Anwälte, die etwas ausprobierten, neue Wege gingen, etwas wagten. "Anwälte, die unsicherer sind und sich für nicht so genial halten, lesen erst noch mal nach, bleiben bei ihren Leisten und beraten zu besonders gewagten rechtlichen Konstruktionen am Ende lieber gar nicht bzw. reden sie den Mandanten durch ihre eigenen Zweifel aus", so der Haftungsexperte. Umso bestürzter seien die herausragenden Anwälte, wenn sie etwas falsch gemacht hätten. Dabei, so sieht es Hornung, "ist das nun einmal ein Berufsrisiko, das man nicht völlig ausschalten kann".

Und es muss gar nicht immer dramatisch ausgehen. Einen Fehler zu machen, sei menschlich. Wenn der Anwalt dann ehrlich und authentisch bleibe und der Fall professionell betreut werde, bedeute das nicht unbedingt, dass eine Mandatsbeziehung für immer beendet ist.

Entscheidend ist daher, wie Anwalt und Kanzlei mit dem Vorwurf umgehen: "Das pauschale Abblocken von Presseanfragen ist in aller Regel kein guter Rat", meint Dirk von Manikowsky. Zwar könnten der Anwalt oder die Kanzlei, denen Fehler vorgeworfen werden, meist nicht sofort und detailliert etwas zu dem Sachverhalt sagen", weiß er. "Aber will man arrogant und unbelehrbar oder eher sympathisch und gradlinig erscheinen?". Auch wenn die beste Kommunikation nicht die Tatsachen umkehren kann, die öffentliche Wahrnehmung des Menschen oder des Unternehmens lasse sich durchaus mit den richtigen Stellungnahmen verändern.

Das sei wegen des Trends zur Skandalisierung und Zuspitzung in den digitalen Medien auch immer wichtiger: "In der Öffentlichkeit ist schon eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung oder eine Anklageerhebung gleichbedeutend mit einer Verurteilung", so von Manikowsky. "Daher ist es entscheidend, welche persönliche Haltung vermittelt wird: Rückgrat, Aufrichtigkeit und bei Fehlern natürlich Reue", meint er. "Die Haltung und persönliche Reaktion der involvierten Personen steht im Mittelpunkt, der eigentliche Sachverhalt tritt nach hinten. Jede Aussage wird dahingehend auf die Goldwaage gelegt. Selbstverständliches zu verlautbaren wie den Standardsatz ´ich habe den Ermittlungsbehörden die volle Unterstützung zugesichert´ helfen selten weiter".

Absicherung für Milliardendeals

Neben dem Druck auf die Reputation durch die öffentliche Wahrnehmung geht es auch um erhebliche finanzielle Risiken. Die Kanzleien wappnen sich gegen das Vorgehen von Ermittlungsbehörden und Mandanten in Form von Schadensersatzansprüchen mit Claim-Managern, also Partnern, die  für mögliche Haftungsfälle zuständig sind. Laut Weske war der Werhahn-Fall der Aufwecker für die Kanzleien im Hinblick auf die eigene Haftpflichtversicherung.

"Plötzlich standen mögliche Pflichtverletzungen mit enormen Schadenssummen im Raum", erinnert sich der Rechtsanwalt. Während um die 1990-er Jahre die höchste Versicherungssumme der Allianz bei damaligen Großkanzleien noch zehn Millionen Euro betragen habe, sei es heute ein Vielfaches.

Auch eine Pflichtversicherung für Anwälte gab es damals noch nicht, diese wurde erst 1994 eingeführt. Heute liegt die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtversicherungssumme bei 250.000 Euro für einen Rechtsanwalt.

Von der Realität der wirtschaftsberatenden Sozietäten ist diese Deckungssumme weit entfernt: "Die großen Kanzleien kaufen in der Regel eine Versicherung für alle Anwälte, um die Partner und Associates persönlich abzusichern", sagt Weske. Da kann die Versicherungssumme schon in den dreistelligen Millionenbereich gehen.

Kein Ende in Sicht

Wie hoch die Kanzleien genau gegen derartige Fälle abgesichert sind, darüber möchte keiner der Befragten reden: Man wolle an keiner Stelle, weder bei Mandanten noch potenziell Geschädigten oder gegnerischen Anwälten, Begehrlichkeiten wecken, heißt es. Jedenfalls arbeiten die Haftpflichtversicherer mit Rückversicherern, und die Kanzleien mit Haftungsbeschränkungen – bei großen Sozietäten im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Bei den heutigen Transaktionsvolumen gehe es um  Schadenssummen, die kein Dienstleister mehr stemmen könne, sagt ein Marktkenner. Ein Zwei-Milliarden-Schaden sei für keine Kanzlei weltweit versicherbar.

Ein Ende ist nicht in Sicht: Die Transaktionsvolumina sinken höchstens vorübergehend, das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird ebenso wenig abnehmen wie die finanziellen Begehrlichkeiten Betroffener.

Für Kanzleien und Anwälte bedeutet das - für die eigene Situation und in der Beratung ihrer Mandanten – die Notwendigkeit, ein Organigramm für das Schadensmanagement aufzubauen. Nicht um mögliche Fehler zu vertuschen, sondern um derartige Situationen professionell zu meistern. Dazu gehört die Bestellung eines Claim-Managers ebenso wie die Erstellung von Handlungsanweisungen für Partner bzw. Geschäftsführer und Mitarbeiter für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft vor der Tür steht. Ein Rat des Kommunikationsberaters von Manikowsky lässt sich darin schon mal vermerken: "Die Wahrheit ist immer der beste Ratgeber. Der Schaden von zerstörtem Vertrauen und Reputation bleibt sonst irreparabel"

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Anwalt in der Krise: Ende der Schonzeit . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24571/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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