Anwälte mit Behinderung: Blinder Fleck in der Kanzlei­welt

von Désirée Balthasar

30.07.2015

2/2: "Ich rufe vorher beim Hausmeister an und frage, in welche Säle ich auch im Rollstuhl komme"

Dr. Eric Uftring von Winheller Rechtsanwälte würde ihr zustimmen: "In unseren modernen Kanzleiräumen in Frankfurt ist alles barrierefrei." Uftring ist Fachanwalt für Steuer- und Arbeitsrecht und seit einem unverschuldeten Unfall während seines Referendariats Rollstuhlfahrer. Der 41-Jährige fühlt sich im normalen Arbeitsalltag nicht von seiner Umwelt eingeschränkt, einzig die Gerichte hätten Nachholbedarf: "Es wäre schön, wenn man auf der Internetseite direkte Hinweise zur Barrierefreiheit finden würde."

Denn dann hätte er weniger organisatorischen Aufwand: "Bei einer Verhandlung in einer fremden Stadt spreche ich vorher mit dem Hausmeister. Er weiß, wo man am besten parkt und welche Räume problemlos mit dem Rollstuhl zu erreichen sind. Gegebenenfalls kümmere ich mich anschließend darum, dass die Sitzung verlegt wird."

Uftring ist sein gesamtes Arbeitsleben Rollstuhlfahrer und erlebte keine nennenswerten Einschränkungen: "Ich hatte insofern Glück, dass meine Physis für die Chefs meiner bisherigen Karriere kein unüberwindbares Thema war und ist." Schwierig war vor allem die Umstellung direkt nach dem Unfall und die Zeit, die Uftring für Rehabilitations-Maßnahmen aufwenden musste. Ein Jahr pausierte er dafür. Trotz der zeitlichen Verzögerung promovierte er und begann seine berufliche Laufbahn.

Die Kanzleiwelt empfindet er nicht als einschränkend: "Die Arbeitszeiten in den (Groß-)Kanzleien dürften für einen Rollstuhlfahrer keine andere Herausforderung sein als für 'Fußgänger'. Im Gegenteil, die Großkanzleien befinden sich in modernen Bürogebäuden mit Aufzug und Tiefgarage. Dort passt ein Rollstuhlfahrer physisch sogar besser hin, als in kleine Kanzleien mit Treppenstufen." Und ob jemand das Arbeitspensum bewältigt hängt nicht davon ab, ob er einen Behindertenausweis in der Tasche trägt. Denn auch Menschen ohne eingetragene Behinderung können da zuweilen nicht mithalten.

Nicht nur so tun, als ob alles normal wäre

Die geringe Anzahl von Anwälten mit Behinderung sieht Uftring vielmehr darin begründet, dass diese nicht die erforderlichen Abschlussnoten oder Sprachkenntnisse mitbrächten. "Ich nehme eher an, dass es nicht so viele ‘Merkmalsträger‘ gibt, die die fachlichen Anforderungen erfüllen", sagt der Anwalt. Er selbst lebt seinen Alltag nach dem Motto: "Gib dich normal, dann wirst du auch normal behandelt." Sein Rollstuhl etwa ist für seine Kinder kein Thema, sie kennen ihn nur so.

Eine rein körperliche Behinderung kann durchaus von Vorteil für die eigene Rechtsberatung sein. Uftring etwa kann in seiner Funktion als Fachanwalt für Arbeitsrecht seinen Mandanten besonderen Mehrwert bieten: "Wenn es bei Verhandlungen gelegentlich auch zu Fragen mit Bezug zum Behindertenrecht kommt, kann ich argumentativ meine besonderen Lebenserfahrungen einfließen lassen." Seine Kanzlei Winheller hat aufgrund der Beratung im Gemeinnützigkeitsrecht oft mit Mandanten zu tun, für die dies ein Thema sein kann.

Doch nicht nur die Menschen im Alltag sollten sich gegenüber Menschen mit Behinderung möglichst normal verhalten - es ist vor allem an den Kanzleien, natürlich mit diesem Thema umzugehen. Ob es dafür spezieller Initiativen bedarf, ist fraglich. Denn dann wird der Fokus sogleich auf das Merkmal der Behinderung gelenkt, der "gute Wille" womöglich auf peinliche Weise überbetont.

Potential für weniger schulterklopfende Aktionen gäbe es indes genug. In Großbritannien beispielsweise gibt es eine eigene Messe für Jurastudenten mit Behinderung und ein Portal, welches spezielle Möglichkeiten für Bewerber mit Behinderung aufzeigt. Und vermutlich würde es von Bewerbern mit Behinderung positiv aufgenommen, wenn Kanzleien ihre Offenheit in dieser Beziehung öffentlich zum Ausdruck brächten.

Zitiervorschlag

Désirée Balthasar, Anwälte mit Behinderung: Blinder Fleck in der Kanzleiwelt . In: Legal Tribune Online, 30.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16434/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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