Anahita Thoms ist als einzige Anwältin einer Großkanzlei zum Young Global Leader 2020 ernannt worden. Was diese Gruppe erreichen will und wie Thoms Karriere macht und sich zugleich sozial engagiert, erzählt sie im Interview.
Das Weltwirtschaftsforum ernennt jährlich eine Gruppe von Führungskräften und Prominenten aus aller Welt, die nicht älter als 40 Jahre sind, zu "Young Global Leaders". Alumni in diesem Kreis sind etwa der französische Präsident Emmanuel Macron oder Facebook-Chef Mark Zuckerberg, aber auch die britische Menschenrechtsanwältin Amal Clooney.
Der diesjährigen Auswahl gehören 114 Personen an, darunter etwa die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock, die finnische Premierministerin Sanna Marin und Megan Rapinoe, die Kapitänin der amerikanischen Fußballnationalmannschaft. Und Anahita Thoms, Partnerin bei Baker McKenzie in Düsseldorf.
Thoms hat eine steile Kanzleikarriere gemacht: Die 38-Jährige arbeitete zunächst fast zehn Jahre für Freshfields in Berlin, New York und Düsseldorf. 2017 wechselte sie als Partnerin zu Baker McKenzie, wo sie seither die deutsche Praxisgruppe für Außenwirtschaftsrecht leitet und seit 2019 zudem Mitglied des Lenkungsausschusses für Compliance & Investigations der Sozietät für die Regionen Europa, Naher Osten und Afrika ist. Sie ist Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke, eines Vereins, der die engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Nordamerika fördert. Zudem gehört Thoms dem Lenkungsausschuss des internationalen Menschenrechtsausschusses der American Bar Association an.
Im Homeoffice von der Aufnahme erfahren
Frau Thoms, Sie wurden neben Annalena Baerbock als einzige Frau aus Deutschland und als erste Anwältin aus einer internationalen Kanzlei überhaupt in das Gremium aufgenommen. Wo waren Sie, als Sie davon erfahren haben und was haben Sie zuerst gedacht?
Anahita Thoms: Ich war im Homeoffice und habe mich selbstverständlich sehr geehrt gefühlt. Ich habe mich vor allem deshalb gefreut, weil sich vieles, was ich persönlich vorleben möchte, auch im Programm der "Young Global Leaders" widerspiegelt: Wir werden Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit und "New Work" diskutieren, die mir sehr am Herzen liegen und auch in meiner anwaltlichen Praxis relevant sind. Dabei möchte ich meine Erfahrungen einbringen, aber auch von anderen lernen.
Das "Forum of Young Global Leaders" gehört zum Weltwirtschaftsforum und will nach eigener Aussage dabei helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das klingt schön, aber wie soll das konkret passieren?
Beim Kick-off-Call wurde deutlich, welche Plattform uns gegeben werden soll, aber auch welche Verantwortung wir tragen. Man sagte uns: Ihr seid ausgewählt worden, weil ihr in euren Bereichen führend seid. Wir wollen euch zusammenbringen, weil wir glauben, dass ihr in Zukunft noch mehr Verantwortung tragen werdet. Das Kernstück des Forums ist ein Fünf-Jahres-Programm für moderne Führungspersönlichkeiten. Ein weiteres Ziel ist der Ausbau eines breiten Netzwerks.
Führung lernen und gemeinnützige Projekte umsetzen
Die Young Global Leaders Community zeichnet sich dadurch aus, dass viele unterschiedliche Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind: Ich treffe Menschen, mit denen ich beruflich eher selten zu tun habe, etwa Künstler oder Psychologen, aber natürlich auch Vertreter aus anderen Wirtschaftssektoren oder Politiker. Ich freue mich darauf, mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten, um über Grenzen hinweg so wichtige Themen wie Nachhaltigkeit, Menschenrechte und offene Gesellschaften anzugehen. Geplant ist bereits eine gemeinsame Veröffentlichung zum Thema "Post-Covid-19 World".
Was ist der Inhalt dieses Programms?
Das Programm ist sehr vielfältig. Es gibt verschiedene Formate, in denen wir uns über Zukunftsthemen austauschen oder Führungsqualitäten ausbauen. Bestandteile sind regionale wie auch globale Konferenzen. Zudem gibt es ein "Leadership"-Programm, das aus verschiedenen Einheiten besteht, die jeweils mehrere Tage dauern. Drei dieser Einheiten darf man auswählen. Ich möchte zum Beispiel gern nach Princeton, weil sich das dortige Programm auf Energie und Nachhaltigkeit fokussiert. Auch das Executive Education Programm an der Harvard Kennedy School soll exzellent sein.
Young Global Leaders können sich außerdem gemeinnützige Projekte überlegen. Jedes Jahr wird ein Projekt ausgewählt, und wer möchte, kann daran mitarbeiten. Es gibt ein offenes Alumni-Netzwerk, über das man in informellem Rahmen Personen aus verschiedenen Sektoren besser kennenlernen kann. Momentan gibt es jeden Samstag einen virtuellen YGL Salon. Vorletzte Woche sprach der kanadische Außenminister, letzte Woche Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, beide sind ebenfalls Young Global Leaders Alumni.
Nach der Nominierung folgt ein hartes Auswahlverfahren
Wie wird man Young Global Leader?
Jeder kann Vorschläge einreichen. Nur Initiativbewerbungen sind ausgeschlossen. Unternehmen aus aller Welt dürfen alle zwei Jahre eine Person nominieren, und teilnehmen darf tatsächlich jedes Unternehmen, es gibt dabei keine Vorgaben. Die Vorgeschlagenen müssen bei der Ernennung unter 40 Jahre alt sein. Damit dürfen sie am Anfang des Auswahlverfahrens maximal 38,5 Jahre alt sein dürfen, da das Verfahren recht lange dauert.
Wie lief das Auswahlverfahren ab?
Ein so umfangreiches und ganzheitliches Bewerbungsverfahren habe ich noch nicht erlebt. Die Jury interessiert sich nicht nur für das, was der Mensch beruflich macht, sie möchte die gesamte Person kennenlernen. Ich wurde gefragt, was meine Erfahrungen zum Thema Führung sind, wie mein Netzwerk aussieht und insbesondere wie ich mich über meinen Beruf hinaus gesellschaftlich engagiere.
Auf das schriftliche Auswahlverfahren folgte ein Interview mit einer Young Global Leader Alumni. Diese Interviewpartnerin, eine Deutsch-Amerikanerin, hatte sich detailliert vorbereitet und kannte sich in den Feldern, in denen ich aktiv bin, gut aus.
Sie sind die einzige Anwältin aus einer internationalen Kanzlei in dem Forum. Ist das ungewöhnlich?
Es ist nach unseren Recherchen das erste Mal, dass ein Anwalt aus einer Großkanzlei unter den Young Global Leaders ist. Es gibt aber zum Beispiel einige beeindruckende Menschenrechtler in dem Forum.
Wer Karriere machen will, hat meist wenig Zeit für soziales Engagement
Wer Karriere in einer großen Kanzlei machen will, muss das Geschäft aufbauen, bis er oder sie 40 Jahre alt ist. Da bleibt wenig Zeit, um sich außerhalb des Kernberufs zu engagieren und sich ein Netzwerk aufzubauen.
Aber die Zeiten ändern sich. Heute wollen Berufseinsteiger in Großkanzleien auch Partner erleben, die einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Die Rechtswelt revolutioniert sich gerade und wir alle entscheiden derzeit, wie die nächste Generation von Rechtsberatern aussehen wird. Dabei möchte ich Impulse geben und Akzente setzen. Unsere Mandanten entwickeln sich weiter, da dürfen wir nicht stehen bleiben.
Und wie schaffen Sie es, sich neben dem Job in der Kanzlei zu engagieren?
Manche laufen Marathon, ich habe eben eine Passion für gesellschaftliches Engagement. Außerdem betrachte ich die Themen, mit denen ich beruflich oft zu tun habe, nicht in Silos, sondern ganzheitlich. Etwa das Thema moderne Sklaverei, wo ich berufliches und privates Engagement verknüpfe – ich unterstütze Unternehmen, ihre Lieferketten zu überprüfen und zu verbessern. Gleichzeitig gebe ich Interviews und unterstütze Diskussionsforen und Nichtregierungsorganisationen, um ein stärkeres Bewusstsein für das Thema zu schaffen.
"Frau kann es auch mit Kindern schaffen"
Ich begeistere mich für wirtschaftliche Zusammenhänge, aber auch für politische Themen und ich bringe mich gern gesellschaftlich ein, beispielsweise in der Atlantik-Brücke oder wenn ich Nichtregierungsorganisationen berate. Ich denke oft, ich müsste noch mehr machen, aber der Tag hat nur 24 Stunden.
Haben Sie Familie?
Ja, ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder. Das ist natürlich eine Herausforderung: Wir brauchen und haben eine gute Infrastruktur. Die gesamte Familie trägt das mit und hat die richtige Einstellung: Das betrifft meinen Ehemann, aber auch die Großeltern, die in den Ferien gerne bei uns sind und mitanpacken, wenn nicht gerade Corona wütet. Wir haben außerdem eine Nanny, die bei uns wohnt, eine gute Schule – und nicht zuletzt gute Freunde, die die Kinder auch mal mit zum Sport nehmen. Frau kann es auch mit Kindern schaffen, dies versuchen wir vorzuleben.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Was werden Sie – vielleicht auch mit Hilfe des Forums – in zehn Jahren erreicht haben?
Was ich persönlich in zehn Jahren erreicht haben werde, ist weniger relevant als die Frage, ob meine Vorstellungen und Visionen von einem gesellschaftlichen Miteinander, wo Wirtschaft und Politik ein besseres Verständnis füreinander entwickeln und diese konstruktiv und gemeinsam umzusetzen, sich durchsetzen. Eins ist klar: Ich werde mich weiterhin mit Leidenschaft wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich einbringen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Thoms!
Anahita Thoms ist Partnerin bei Baker McKenzie in Düsseldorf. Sie leitet die deutsche Praxisgruppe für Außenwirtschaftsrecht und ist Mitglied des EMEA-Lenkungsausschusses für Compliance & Investigations der Sozietät.
Karriere in der Großkanzlei und soziales Engagement: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41612 (abgerufen am: 06.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag