Erst Anwalt, dann Richter: Quereinsteiger sind bei der Justiz, die händeringend Nachwuchs sucht, genauso willkommen wie frisch gebackene Assessoren. Laut Richterbund gibt es so manchen Quereinsteiger, den die Justiz von sich überzeugen konnte.
Die Nachwuchsgewinnung zählt zu den zentralen Herausforderungen der Justiz. Gerichte und Staatsanwaltschaften haben unter den Nachwuchsjuristen teilweise einen schlechten Ruf: überlastet, altmodische Technik, schlechtere Bezahlung als in Unternehmen sowie hohe Einstellungsvoraussetzungen, heißt es oft.
Neben gerade fertigen Assessoren versucht die Justiz deshalb, auch berufserfahrene Volljuristen für sich zu gewinnen. Die waren vorher zum Beispiel als Anwalt oder in der Wissenschaft unterwegs. Laut einer Umfrage der Deutschen Richterzeitung, die vom Deutschen Richterbund (DRB) herausgegeben wird, konnten die Bundesländer in den vergangenen fünf Jahren mindestens 670 Juristen für den Staatsdienst gewinnen. Tatsächliche dürfte die Zahl der Quereinsteiger höher liegen, denn nur sieben von 16 Bundesländern führen eine gesonderte Statistik darüber.
Die meisten Quereinsteiger gab es demnach in den Jahren 2020 bis 2024 in Berlin als Spitzenreiter mit 170 Juristen. In Hessen wurden 156 Quereinsteiger registriert, gefolgt von Bayern mit 140 Neuzugängen. Es folgen Sachen (119), Sachsen-Anhalt (34), Bremen (27) und Mecklenburg-Vorpommern (25).
DRB: "Der Beruf des Richters oder Staatsanwalts ist für viele Juristen attraktiv"
"Der Beruf des Richters oder Staatsanwalts ist für viele Juristinnen und Juristen attraktiv und lockt immer wieder auch Quereinsteiger zur Justiz", so DRB-Geschäftsführer Sven Rebehn.
Viele der Quereinsteiger seien vorher als Rechtsanwälte tätig gewesen. In Rheinland-Pfalz beispielsweise verfügten mehr als 20 Prozent der neu eingestellten Richter und Richterinnen über Erfahrung als Rechtsanwälte oder eine vergleichbare Beschäftigung. Dies habe eine Auswertung des Justizministeriums für das Jahr 2024 ergeben. In Sachsen übten rund ein Drittel der insgesamt 322 eingestellten Proberichter eine Vortätigkeit in der Anwaltschaft oder einem anderen volljuristischen Beruf aus.
Jeder Quereinsteiger ist ein Gewinn für die Justiz, die in sämtlichen Bundesländern händeringend Nachwuchs sucht. Zum Beispiel wurde erst im Juni 2024 bekannt, dass allein in NRW von 1.480 Planstellen 84 nicht besetzt seien und dass dort bis 2030 knapp 680 Richter und 168 Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. Von der anrollenden Pensionierungswelle der sogenannten Baby-Boomer sind dabei vor allem die ostdeutschen Bundesländer betroffen: Allein dort stehen 3.000 Richter und Staatsanwälte vor der Pensionierung.
"Besonders in den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten ist die Lage prekär, hier müssen zwei Juristen vielfach die Arbeit von dreien machen", so Rebehn. Bundesweit würden allein 2.000 Staatsanwälte fehlen. Die Politik müsse deutlich mehr tun gegen den hohen Erledigungsdruck und systematische Überbelastung in der Justiz, die bisher ergriffenen Maßnahmen reichten nicht.
Warum die Quereinsteiger wechseln
Viele Berufswechsler entscheiden sich nicht zuletzt wegen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für einen Wechsel in die Justiz. Während das Vergütungsmodell und der Partnertrack in Wirtschaftskanzleien auf Vollzeitjobs zugeschnitten seien, gelinge es beim Staat besser, dass man vorübergehend Teilzeit arbeite und danach wieder durchstarte, berichtet etwa Leif Schubert im LTO-Interview. Er wechselte selbst vom Anwaltsberuf in die Staatsanwaltschaft. "Die Justiz ist insgesamt sehr familienfreundlich", so sein Fazit. Kanzleien würden sich dagegen zu sehr auf Berufseinsteiger konzentrieren und Anwälte über 40 mit viel Erfahrung beim Partnertrack außen vorlassen.
Schubert gefällt aber auch der praxsisnahe Arbeitsalltag: "Jetzt schaut man plötzlich im Gerichtssaal den Menschen ins Gesicht und muss sich überlegen, ob diese Person wirklich von anderen für eine Tat missbraucht wurde oder einfach nur lügt. Es geht in der Justiz immer um echte Menschen, im Studium bleibt das alles dagegen häufig ganz abstrakt."
DRB-Chef Rebehn glaubt auch, dass für viele Bewerber die Unabhängigkeit und die relativ freie Arbeitsgestaltung im Richterberuf nach wie vor wichtige Pluspunkte seien, die für den Weg in die Justiz sprächen. So gelinge es in allen Bundesländern zwar derzeit noch, qualifizierten Nachwuchs für die Justiz zu gewinnen und verfügbare Stellen zu besetzen. Die Justiz dürfe jetzt aber nicht nachlassen, der Nachwuchsmangel verschlimmere sich weiter.
eh/LTO-Redaktion
Umfrage unter den Bundesländern: . In: Legal Tribune Online, 05.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56039 (abgerufen am: 23.01.2025 )
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