Die AfD blockiert im Thüringer Landtag die Wahlausschüsse für Richter und Staatsanwälte. Nun haben die Ausschüsse in alter Besetzung ihre Arbeit gemacht. Eine gerechtfertigte Notlösung oder ein heikler Schritt?
Seit Monaten blockiert die AfD in Thüringen die dringend anstehende Neubesetzung der Wahlausschüsse für Richter- und Staatsanwälte. Nun haben die für den Justiznachwuchs wichtigen Ausschüsse nichtsdestotrotz getagt – allerdings in alter Besetzung aus der letzten Legislatur. Dass der Termin stattgefunden hat und die Ausschüsse über Lebenszeiternennung für ihren jeweiligen Justiznachwuchs entschieden haben, das bestätigte das thüringische Justizministerium gegenüber LTO.
Beide Ausschüsse wirken bei der Berufung von Richtern und Staatsanwälten in den Dienst des Freistaats mit. Zu Beginn einer Legislatur sind die Wahlausschüsse eigentlich mit neuen Landtagsmitgliedern zu besetzen – dies war seit Antritt der neuen Brombeer-Regierung (CDU, SPD, BSW) im Herbst 2024 bisher nicht möglich. Die von Björn Höcke geführte AfD stellt sich im Landtag quer.
Besetzung der Justizwahlausschüsse stammt noch aus der letzten Legislatur
Üblicherweise tagen die Justizgremien jedes Jahr zwei Mal, um den Bedarf und Karriereweg von Nachwuchsrichtern und -staatsanwälten zu gewährleisten. Monatelang war es aber mangels Neubesetzung zu keiner Sitzung der Gremien gekommen. Hatte man in der Thüringer Justiz noch gehofft, eine Neubesetzung der Gremien politisch mit der AfD zu erreichen, bevor man wieder eine neue Gremienrunde ansetzen muss?
Nun jedenfalls hat man sich durchgerungen – und zwar in der alten Besetzung, bestätigte das Justizministerium gegenüber LTO. In den Sitzungen hätten die Justizausschüsse Beschlüsse zur Übernahme in ein Richter- oder Staatsanwaltsverhältnis auf Lebenszeit getroffen. Genaue Zahlen und weitere Details teilte das Ministerium auf Nachfrage nicht mit.
Rechtlich ist der Schritt durchaus heikel, denn die Legitimation des alten Gremiums und sein Agieren als Übergangsgremium ist umstritten. Verfassungsrechtler hatten vor der unsicheren Lage gewarnt. Sollte sich herausstellen, dass der Richterwahlausschuss in seiner Übergangsform verfassungswidrig besetzt war, könnten Folgefragen zum Schicksal von Richterernennungen und den Gerichtsentscheidungen dieser Richter auftauchen. Eine Gefahr für das Ansehen der Justiz.
Warum die Justizwahlausschüsse wichtig sind
In Thüringen werden Richter und Staatsanwälte durch einen entsprechenden Wahlausschuss gewählt. Seine Mitglieder prüfen, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber persönlich und fachlich für das Richteramt geeignet ist. Der oder die Justizministerin darf Kandidaten auf Lebenszeit grundsätzlich nur ernennen, wenn der Ausschuss zugestimmt hat. Es handelt sich also um ein für die Funktionsfähigkeit der Justiz wichtiges Gremium.
Vorausgesetzt wird der Richterwahlausschuss sogar von der Thüringer Verfassung (Art. 89), die genaueren Abläufe regelt das Thüringer Richter- und Staatsanwältegesetz (ThürRiStAG). Der Staatsanwaltswahlausschuss ist, anders als der Richterwahlausschuss, nicht von der Verfassung vorgesehen. Der Ausschuss für den Richternachwuchs soll sich aus zehn Abgeordneten des Landtags zusammensetzen, zwei Richtern als ständigen Mitgliedern, und jeweils drei Richtern des entsprechenden Gerichtszweigs, in den die Kandidaten wollen. Hinzu kommen Vertreter für jedes Mitglied im Gremium. Ähnlich ist der Staatsanwaltswahlausschuss besetzt, hier sind es zehn Abgeordnete des Landtags, fünf Staatsanwälte, plus Vertreter für jedes Mitglied. Die Zusammensetzung zeigt schon: Es handelt sich nicht um klassische Parlamentsausschüsse unter dem Dach des Landtags, sondern um Sondergremien.
Eigentlich sollen die Ausschüsse jede Legislatur mit neuen Landtagsmitgliedern besetzt werden. Dazu wählt der Landtag sie "zu Beginn jeder Wahlperiode" – und zwar mit Zwei-Drittel-Mehrheit, so der § 51 ThürRiStAG.
Hier kommt nun die AfD-Fraktion ins Spiel. Seit der Landtagswahl im Herbst 2024 ist die AfD stärkste Kraft in Thüringen, sie verfügt im Landtag über 32 der 88 Sitze. Weit entfernt von einer absoluten Mehrheit, aber mit einer Sperrminorität ausgestattet. Ohne sie geht nichts mehr, überall da, wo eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht wird. Und diese Lage nutzt die AfD-Fraktion jetzt, um die Wahl neuer Abgeordneter aus dem Landtag in den Richterwahlausschuss zu verhindern. Übrigens nicht zum ersten Mal. Sie will für ihre Kandidaten Zugeständnisse bei der Besetzung anderer wichtiger Gremien und Posten durchsetzen.
Sind Übergangs-Wahlausschüsse verfassungsrechtlich tragfähig?
Solange gibt es nur die Justizwahlausschüsse in alter Besetzung. Aber geht das so verfassungsrechtlich? Ein vom Justizministerium beauftragtes Gutachten des Jenaer Rechtsprofessors Michael Brenner dekliniert die einfachgesetzliche Rechtslage durch und kommt in allen Fragen zugespitzt zum Ergebnis: Dank Übergangsregelungen wie etwa § 52 Abs. 2 ThürRiStAG bleiben Richter- und Staatsanwaltswahlausschuss handlungsfähig. Besetzt mit Personal aus der letzten Legislatur. Sodass es auf eine durch die AfD blockierte Neubesetzung der Ausschüsse nicht ankommt. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Übergangslösung bleiben aber.
Dass die Ausschüsse nun getagt haben, rückt diese Fragen erst recht in den Blickpunkt.
"Alter Ausschuss entspricht nicht der Verfassung, seine Beteiligung sorgt aber auch nicht für verfassungswidrige Ernennungen"
Die verfassungsrechtliche Lage ist von zwei widerstreitenden Verfassungsgütern geprägt: Einerseits setzt Art. 89 ThürVerf die Wahl der Landtagsmitglieder in die Ausschüsse mit qualifizierter Mehrheit voraus. Andererseits garantiert die Verfassung die Funktionsfähigkeit der Justiz. So betont es auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung regelmäßig. Und zu dieser Funktionsfähigkeit gehört auch, dass Proberichterinnen und -richter nach spätestens fünf Jahren einen Anspruch auf Übernahme in ein Lebenszeitverhältnis haben, so steht es in § 12 Abs. 2 Deutsches Richtergesetz (DRiG).
Vor diesem Hintergrund ordnet die Verfassungsrechtlerin Juliana Talg das Vorgehen als Gratwanderung ein: "Der alte Ausschuss entspricht nicht den Vorgaben der Thüringer Verfassung. Seine Beteiligung macht die Ernennungen aber nicht verfassungswidrig." Übergangsrecht kann die fehlende Neuwahl nicht "heilen", es kann aber – solange und soweit es tragfähig ist – den Weg zu rechtmäßigen Ernennungen offenhalten, so die Juristin, die beim Thüringen-Projekt des Verfassungsblog tätig war.
Talg sieht das Hauptproblem weniger im rechtlichen als im politisch-strategischen Vorgehen. Sie kritisiert, das Ministerium habe zu wenig Transparenz hergestellt. So berufe sich das Justizministerium auf das "Brenner"-Gutachten, ohne dass es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Zudem seien die jüngsten Sitzungen der Übergangsausschüsse nicht proaktiv kommuniziert worden. Das komme letztlich einer Einladung an die AfD gleich, das Narrativ von einer "rechtswidrigen" und "hinter verschlossenen Türen" operierenden Justiz zu bedienen.
Besonders betroffen ist die Gruppe der Proberichterinnen und -richter. Sie erwerben mit zunehmender Dienstdauer eine rechtlich besonders geschützte Position. Wird die Lebenszeiternennung trotz erfüllter Voraussetzungen verzögert, drohen Rechtsstreitigkeiten – umgekehrt erzeugt eine Ernennung in einem politisch aufgeladenen Übergangsverfahren Ungewissheit. Talg verweist auf das Szenario, dass künftig eine Regierung unter AfD-Beteiligung versuchen könnte, Ernennungen aus der Übergangszeit anzugreifen. Zwar bedarf es für eine Nichtigkeit oder Aufhebung einer gerichtlichen Feststellung; politischer Druck entsteht dennoch.
Braucht es einen klar geregelten Notfallmechanismus im Gesetz?
Wie lässt sich die Kollision zwischen Verfassungsvorgaben und Funktionsschutz der Justiz besser austarieren? Talg und der Münsteraner Staatsrechtler Fabian Wittreck schlagen einen einfachgesetzlichen Notfallmechanismus vor. Der Gesetzgeber könnte – transparent und allgemein – definieren, wann ein "Blockadefall" vorliegt. Also etwa, wenn der Richterwahlausschuss binnen eines bestimmten Zeitraums trotz mehrfacher Anläufe nicht neu besetzt werden kann. Für diesen Fall sollte normiert werden, ab welchem Zeitpunkt das Justizministerium Ernennungen ersatzweise treffen darf.
Denkbar wäre eine zeitliche Staffelung: Bereits nach vier Jahren Probezeit könnte eine Lebenszeiternennung möglich werden, denn nach dieser Zeit ist nach § 22 Abs. Nr. 2 dem DRiG eine Entlassung nicht mehr möglich.
Andere Verfassungsrechtler argumentieren, dass es gar nicht erst einen Notlösungsmechanismus brauche. Nach Probezeitablauf hätten die Richter:innen aus dem DRiG einen Anspruch auf Ernennung. Solange kein Veto des Wahlausschusses vorliege, schade seine fehlende Zustimmung nicht. Denn die Betroffenen könnten sich einklagen, bei Erfolg müsste die Justizministerin sie ernennen. Darauf wollte man es in Thüringen nun aber nicht ankommen lassen.
Und wie reagiert die AfD auf die Lage? Während sie den anderen Fraktionen vorwirft, Rechtsunsicherheit zu erzeugen und sie ausnutzen zu wollen, hat sie auf LTO-Nachfrage angekündigt, in der Sache keine rechtlichen Schritte einlegen zu wollen. Also eine Unsicherheit, die letztlich auch ihr derzeit nutzt?
Justizministerium: Einstellungen an sich nicht gefährdet
Zu den aktuellen Justizentscheidungen durch die Übergangsgremien betonte ein Sprecher des Justizministeriums gegenüber LTO: In Thüringen seien die Ausschüsse erst zur Lebenszeiternennung zu beteiligen; die Einstellung von Richterinnen und Staatsanwälten auf Probe erfolge unabhängig davon. Der eigentlichen Einstellung stünde also erst einmal nichts entgegen. Offenbar will man diesen Weg weiter verfolgen. Die nächste Einberufung der Gremien sei für das Frühjahr 2026 vorgesehen. Im Zweifel wohl wieder mit den alten Übergangsgremien.
Diese Woche tagt das Plenum des Thüringer Landtags. Eine Neubesetzung der Justizwahlausschüsse steht nicht auf der Tagesordnung.
Thüringer Justiz-Ausschüsse tagen trotz AfD-Blockade: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58481 (abgerufen am: 14.11.2025 )
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