Wird das Urteil aufgehoben?: Staats­an­walt unter Koks-Kor­rup­ti­ons­ver­dacht nun Fall für BGH

von Dr. Markus Sehl

28.11.2024

Muss das Gerichtsverfahren zu einem der größten Kokain-Schmuggelfälle Europas neu aufgerollt werden, weil der zuständige Staatsanwalt die Bande mit internen Informationen versorgte? Darüber wird nun der BGH entscheiden.

Es sah lange danach aus, als würde es zu einem der spektakulärsten Schläge gegen den organisierten Kokainhandel in Europa. Die Ermittlerinnen und Ermittler aus Hannover waren einer Kokain-Bande auf die Spur gekommen, verantwortlich für eine Mega-Lieferung über den Hamburger Hafen. Im Februar 2021 entdeckte der Zoll dort in mehreren Schiffscontainern aus Paraguay 16 Tonnen Kokain, versteckt mit Spachtelmasse in Blechkanistern. Der Wert der Ladung wird auf zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro geschätzt.

Die etwa zwanzigköpfige Bande hatte unter anderem eine unscheinbare Speditionsfirma aus dem Harz für ihren Schmuggel genutzt. Sie soll auch mit der berüchtigten niederländischen Kokainmafia in Kontakt gestanden haben. 

Aber als die Strafverfolger nach ihren heimlichen Ermittlungen im März 2021 zur Razzia gegen die Gruppe ansetzten, wartete eine Überraschung auf sie: Zwei der Köpfe der Bande hatten sich ins Ausland abgesetzt, bei den bundesweiten Durchsuchungen fand die Polizei weniger Datenträger und Geld als sie eigentlich erwartet hatte. Von den gut 30 Haftbefehlen konnten nur 19 vollstreckt werden. Schon 2022 nach der Razzia dämmerte den Ermittlerinnen und Ermittlern, dass da etwas schief läuft. Entschlüsselte Chat-Nachrichten der Bande stützen den Verdacht: Vieles weist darauf hin, dass es einen Maulwurf bei Polizei und Staatsanwaltschaft gibt. Er hatte die Gruppe offenbar gegen Geld mit internen Informationen versorgt, auch zu Haftbefehlen und der bevorstehenden Razzia.

Kann ein Prozess unter Mitwirkung eines beschuldigten Staatsanwalts fair sein?

Es ist ein beispielloser Fall in der deutschen Justiz, der eine ganze Reihe neuer Rechtsfragen aufwirft. Das wurde am Donnerstag in der Verhandlung des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Leipzig deutlich. Denn an einschlägigen Rechtsvorschriften zur Auswechslung von verdächtigen Staatsanwälten im laufenden Verfahren fehlt es im deutschen Prozessrecht. Ein Fall, so verrückt, dass die Rechtsprechung erst um seine Verarbeitung ringen muss.

"Als mich mein Anwaltskollege Funk mit dem Fall anrief, wollte ich das alles erst gar nicht glauben", sagte der Berliner Strafverteidiger Ali B. Norouzi am Donnerstag im Sitzungsaal. Als er die Akten dann gelesen hatte, sei er fassungslos gewesen. Norouzi vertritt einen der Verurteilten, den Spediteur Jonas H.

Der Fall hat mittlerweile als Revision auch die BGH-Richterinnen und -Richter erreicht. Einzelne Bandenmitglieder wurden bereits verurteilt. Während einige Urteile aus dem Kokainschmuggel-Komplex bereits rechtskräftig geworden sind, läuft gegen die Verurteilung von Jonas H. noch das Revisionsverfahren (Az. 6 StR 335/23). H. soll als Spediteur an dem Mega-Schmuggel mitgewirkt haben. Das Landgericht (LG) Hannover hatte ihn 2023 wegen bandenmäßigen Drogenhandels zu zwölf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. 

Seine Anwälte Norouzi, Raban Funk und Pascal Ackermann kritisieren, dass ein Staatsanwalt das Verfahren gegen ihren Mandanten H. führen durfte, der unter Verdacht steht, der interne Maulwurf in dem riesigen Schmuggel-Fall zu sein. Der 39-jährige Yashar G. hielt schließlich sogar das Schlussplädoyer im Hannoveraner Gerichtssaal gegen H., obwohl Staatsanwaltschaft, Gericht und Justizministerium der Verdacht G. bekannt war. Die Anwälte rügen deshalb einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren, abgeleitet aus Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt ein Verstoß dagegen vor wenn, "rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben worden ist". Ein Fall durchgängig im Ton des Superlativs. Was ist "rechtsstaatlich unverzichtbar"?   

Der BGH wollte dazu verhandeln. Der Beginn der Revisionsverhandlung wurde von den Ereignissen gewissermaßen überholt. Denn Staatsanwalt G. wurde im Oktober festgenommen, sein Dienstzimmer und seine Wohnung wurden durchsucht. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Hannover Bestechlichkeit in einem besonders schweren Fall sowie Geheimnisverrat und Strafvereitelung vor. So stehen die Geschehnisse um den Staatsanwalt auch im Mittelpunkt der Revisionsverhandlung des BGH über H.s Fall. Prozessual geht es immer ans Eingemachte, wenn letztinstanzlich geklärt werden muss, ob ein Urteil auf Rechtsfehlern beruht.

Wann rechtfertigen Ermittlungen gegen einen Staatsanwalt seine Ablösung?

Das Anwaltsteam von Spediteur H., der am Donnerstag nicht in Leipzig anwesend war, beantragt, das Urteil des LG Hannover aufzuheben und zur neuen Verhandlung zurückzuverweisen. Allerdings nicht an das LG Hannover, sondern gleich an eine andere Strafkammer des LG Osnabrück. "Das würde der Sache sicherlich gut tun", so Norouzi. Er und das Team sehen in Hannover ein "Systemversagen" am Werk.

Rechtsanwalt Funk rekapitulierte die Lage aus seiner Sicht vor dem Prozessbeginn gegen seinen Mandanten H. beim Landgericht Hannover Ende 2022. H. hatte auf die Chats und Spuren zu dem mutmaßlich korrupten Staatsanwalt hingewiesen, will bei der Aufklärung geholfen haben und verspricht sich Strafmilderung. 

"An wen hätte ich mich damals wenden können?", fragte Funk am Donnerstag in den Saal. Er habe es beim niedersächsischen Justizministerium, der Staatsanwaltschaft und dem Landgericht versucht. Aus der Justiz seien ihm vor allem Gegenwind und Skepsis entgegengeschlagen. Seinem Mandanten und ihm haben man entgegnet, Hinweise und ein daraufhin eingeleitetes Ermittlungsverfahren könnten nicht ausreichen, den zuständigen Staatsanwalt von einem laufenden Verfahren einfach so abzuziehen. Der leitende Staatsanwalt H., der neben dem beschuldigten G. in Hannover in den Verhandlungen gegen den Spediteur saß, sprach von einem Schachzug der Organisierten Kriminalität. Die versuche mit dieser Geschichte, die Reputation der ermittelnden Staatsanwälte zu beschädigen. Was er meint: Ein Ermittlungsverfahren sei schnell angestoßen, gleichzeitig könne das nicht in jedem Fall zur Auswechslung der Staatsanwälte führen. 

Norouzi, Funk und Ackermann mussten sich sichtbar zusammenreißen am Donnerstag, so offensichtlich schien ihnen, dass es hier eben nicht um irgendeinen Verdacht ging, sondern ihrer Meinung nach um einen gut belegten und außerdem schwerwiegenden Vorwurf gegen den Staatsanwalt in eigener Sache. Funk sagte, er habe damals alles versucht, um auf eine rechtzeitige Abberufung des Staatsanwaltes hinzuwirken. Staatsanwaltschaft, das Landgericht und das Justizministerium hätten das stattdessen laufen lassen. Überhaupt wirft Funk ihnen "Passivität" vor. Und so geht es vor dem BGH auch um den Umgang der niedersächsischen Justiz mit dem Verdacht gegen ihren Staatsanwalt G.

Funk erzählt dazu noch eine Anekdote. Als er zum Prozessauftakt gegen den Spediteur in Hannover in den Saal kam, habe er einen Mann in den Zuschauerreihen erkannt: Es sei der Generalstaatsanwalt aus Celle gewesen, Frank Lüttig. Jemand, der für gewöhnlich nicht in Gerichtsprozessen seiner untergeordneten Staatsanwälte auftaucht. Auf die Frage von Funk, was er denn hier mache, soll Lüttig geantwortet haben, er wolle dem jungen Kollegen den Rücken stärken. Funk sagt, bei ihm habe das "Unbehagen" ausgelöst.

"Sternstunde" im Sitzungssaal des BGH

Eine weitere Besonderheit dieser Revision beim BGH ist: Wie lässt sich das Geschehen aus Hannover in das Format der Revision übersetzen, bei der der BGH nicht den Sachverhalt erneut prüft, sondern nach einem strengen Maßstab nur auf ganze bestimmte Rechtsfehler der Vorinstanz kontrolliert? Ein prozessuales Nadelöhr. Auf der anderen Seite: Immerhin geht es um nicht weniger als die Aufhebung eines bereits gefällten Urteils. 

Der Vertreter des Generalbundesanwalts trat zur Verteidigung des Urteils mit einer Art K.-O.-Argument an. Nach der zentralen Vorschrift zu den Revisionsgründen des § 337 Strafprozessordnung müsse das ergangene Urteil gerade auf der Gesetzesverletzung beruhen. Diesen ursächlichen Zusammenhang stellte er in Frage. Hätte das LG Hannover also anders entschieden, hätte der unter Verdacht stehende Staatsanwalt nicht mehr mitgewirkt?

Der BGH-Senat ließ durch seine Nachfragen durchblicken, dass es ihm darauf ankommt, wie stark der Verdacht gegen den Staatsanwalt G. ausgeprägt war. Den Richterinnen und Richter schien es wichtig, dass zwischenzeitlich schon einmal ein Ermittlungsrichter eine Durchsuchung bei G. abgesegnet hatte.

 Der BGH-Senat unter Vorsitz von Richter Burkhard Feilcke hatte zahlreiche Nachfragen und ließ deutlich erkennen, dass er Interesse an der Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen hat. Er betonte, dass sie ihre Entscheidung erst noch erarbeiten wollten. 

Ein Glücksfall auch für die rund zwei Dutzend Berliner Jurastudierenden, die als Zuschauer angereist waren. Überhaupt war der BGH-Sitzungssaal mit Studierenden und Pressevertretern bis auf den letzten Platz besetzt. Was sie geboten bekamen, war eine Art Strafprozessrechtsseminar in real, ein intellektueller Schlagabtausch und dazu noch äußerst unterhaltsam, woran weniger der Vertreter des Generalbundesanwalts Anteil hatte als das lebendige Verteidiger-Duo Norouzi-Funk. Nach gut zwei Stunden intensiver Diskussion sprach Feilcke zum Abschluss der Verhandlung sogar von "einer der Sternstunden hier im Saal".

Sein Urteil will der Senat am 16. Dezember verkünden.

 

Zitiervorschlag

Wird das Urteil aufgehoben?: . In: Legal Tribune Online, 28.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55994 (abgerufen am: 07.12.2024 )

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