Schulte-Kellinghaus legt Verfassungsbeschwerde ein: Hoffen auf ein Macht­wort aus Karls­ruhe

von Annelie Kaufmann

08.02.2018

Darf ein Richter auch dann ermahnt werden, wenn er gründlich arbeitet – aber besonders langsam? Thomas Schulte-Kellinghaus hat nun doch eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er hofft auf ein Machtwort, bevor er pensioniert wird.

Landet der Fall Thomas Schulte-Kellinghaus doch noch vor dem Bundesverfassungsgericht? Der Richter hatte von Anfang an darauf gesetzt, dass der Streit um seine Arbeitsweise dort anders bewertet wird als am Bundesgerichtshof (BGH).

"Wir hoffen, dass die Verfassungsrichter sehen, dass es eilt und sich der Sache annehmen", sagte seine Anwältin Christina Gröbmayr. Sie hatte bereits die BGH-Entscheidung vom November vergangenen Jahres scharf kritisiert. Mit der Zurückverweisung an den Dienstgerichtshof habe der BGH die von Schulte-Kellinghaus angestrebte Verfassungsbeschwerde "für die nächsten Jahre verhindert", so Gröbmayr damals.

Nun hat Schulte-Kellinghaus dennoch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er rügt, dass die Entscheidungen des BGH und des Dienstgerichtshofes die richterliche Unabhängigkeit verletzten. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Verfassungsrichter überhaupt in der Sache entscheiden werden– denn eigentlich müsste Schulte-Kellinghaus zunächst das erneute Urteil des Dienstgerichtshofs abwarten und dann Revision zum BGH einlegen.

Allerdings wird Schulte-Kellinghaus am 29.02.2020 pensioniert. Wartet er weiter ab, dürfte der Fall erledigt sein, bevor es zu einer Entscheidung der Verfassungsrichter kommt.

Zu langsam oder besonders gründlich?

Der Fall sorgt seit Jahren in der Justiz für Aufsehen. Der Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe wehrt sich gegen den Vorhalt der ehemaligen OLG-Präsidentin Christine Hügel, er erledige zu wenig Fälle.

Hügel hatte seine Erledigungszahlen mit dem Pensum anderer Richter am OLG Karlsruhe verglichen und kritisiert, Schulte–Kellinghaus unterschreite das durchschnittliche Erledigungspensum "ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche". In den Jahren 2008 bis 2010 habe seine Erledigungsleistung nur etwa 68 Prozent der von anderen OLG-Richtern in diesem Zeitraum durchschnittlich erledigten Verfahren entsprochen.

Schulte-Kellinghaus sieht darin einen Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit. Unbestritten ist, dass er nicht etwa weniger arbeitet als seine Kollegen, sondern eher besonders gründlich vorgeht. Um mehr Fälle zu erledigen, müsse er seine Rechtsanwendung grundlegend ändern, betont Schulte-Kellinghaus immer wieder. Das könne die Gerichtspräsidentin jedoch nicht von ihm verlangen.

"Hoffen, dass die Verfassungsrichter sehen, dass es eilt"

Das baden-württembergische Dienstgericht und der Dienstgerichtshof beim OLG Stuttgart hatten die Ermahnung der Präsidentin zunächst bestätigt.

Der BGH hob das Urteil allerdings auf und verwies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Dienstgerichtshof zurück. Dort müsse zunächst geklärt werden, ob die durchschnittlichen Erledigungszahlen zutreffend ermittelt worden seien oder ob es bei der Ermittlung methodische Mängel gegeben habe, etwa wegen einer unterschiedlichen Zählweise bei den verschiedenen Senaten.

Die für den Dienstgerichtshof bindenden Vorgaben in den Urteilsgründen des BGH ließen "für eine neue Entscheidung der Berufungsinstanz jedoch keine verfassungskonforme Entscheidung zu", argumentiert Schulte-Kellinghaus nun in seiner Verfassungsbeschwerde. Schließlich habe der BGH bereits entschieden, dass der Antrag keinen Erfolg haben könne, wenn keine Bedenken gegen "sachgerechte" Durchschnittszahlen festzustellen seien. Gerade diese Erwägungen hält Schulte-Kellinghaus jedoch für unzulässig: Jeder Richter müsse selbst entscheiden, wie schnell oder wie gründlich er seien Aufgaben bewältige.

Zudem habe der Fall grundsätzliche Bedeutung. "Die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen betreffen alle Richter und alle Gerichtspräsidenten in Deutschland", so seine Anwältin Gröbmayr. Nun müsse das Bundesverfassungsgericht für Klarheit sorgen. 

 

Ein paar klarstellende Worte wären möglich

Möglich wäre auch, dass die Verfassungsrichter die Beschwerde zwar nicht zur Entscheidung annehmen, aber trotzdem ein paar deutliche Worte finden. So hatte die 2. Kammer des Zweiten Senats in einem Beschluss vom Juli 2016 hatten die Verfassungsrichter ausgeführt, ein Richter könne seiner persönlichen Verantwortung nur gerecht werden, wenn ihm ausreichend Zeit "zu einer allein an Recht und Gesetz orientierten Bearbeitung des Falles" zur Verfügung stehe. Eine Orientierung allein an vermeintlich objektiven, durchschnittlichen Bearbeitungszeiten genüge dem nicht.

Die Verfassungsrichter hatten damit eine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, mit der sich ein Amtsrichter gegen seine Verurteilung wegen Rechtsbeugung wehrte.

Eine Klarstellung aus Karlsruhe würde auch die Neue Richtervereinigung (NRV) begrüßen. Neben vielen Problemen im Einzelfall gehe es auch um verfassungsrechtliche Fragen, betonte Carsten Löbbert, Sprecher des NRV-Bundesvorstands: "Die Kernfrage ist, ob die haushalterischen Vorgaben das Maß der richterlichen Bearbeitungstiefe beeinflussen können und sollen – oder ob umgekehrt das Maß der richterlichen Entscheidungstiefe und Überzeugungsbildung Vorgaben für den Haushaltsgesetzgeber bilden kann."

 

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Schulte-Kellinghaus legt Verfassungsbeschwerde ein: Hoffen auf ein Machtwort aus Karlsruhe . In: Legal Tribune Online, 08.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26963/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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