Roland Rechtsreport 2022: Impf­gegner mis­s­trauen dem Rechts­staat

von Hasso Suliak

22.02.2022

Die Polarisierung der Gesellschaft beim Thema Corona zeigt sich auch in der Bewertung des deutschen Rechtssystems. Wer sich nicht gegen das Covid-Virus impfen lassen möchte, hat deutlich weniger Vertrauen in Gesetze und Gerichte.

70 Prozent der Deutschen vertrauen den Gesetzen und Gerichten. Allerdings: Unter den Impfverweigerern ist der Anteil mit 27 bzw. 34 Prozent signifikant geringer. Das geht aus dem am Dienstag vorgelegten Rechtsreport 2022 der Roland-Rechtsschutzversicherung hervor, mit dem diese seit 2010 jährlich die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu aktuellen rechtspolitischen Schwerpunktthemen ermittelt. 

Einen Fokus legte die regelmäßig vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Untersuchung neben der Frage nach dem Vertrauen in das Rechtssystem diesmal auch auf die Themenkomplexe Fake News, Meinungsfreiheit und soziale Medien. 

Gefragt wurden im Dezember 2021 mehr als 1.000 repräsentativ ausgewählte Bürger:innen ab 16 Jahre, inwieweit sie den Eindruck haben, dass sie ihre Meinung in diesem Land frei äußern können und wie sehr sie den Medien, insbesondere den sozialen Netzwerken, vertrauen. Außerdem wollte man von ihnen wissen, ob Verschwörungstheorien eine ernsthafte Gefahr darstellen und ob Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken stärker kontrolliert und gegebenenfalls eingeschränkt werden müssen.  

Stabiles Vertrauen in die Gerichte 

Einige Umfrageergebnisse dürften dabei nun durchaus Anlass zur Sorge geben: Während sich die Justiz in Deutschland über relativ hohe Vertrauenswerte freuen darf, hat sich dagegen die Einstellung der Bürger:innen zur Bundesregierung sowie zur Meinungsfreiheit dramatisch zum negativen entwickelt. 

Die Justiz genießt bei den Befragten schon traditionell einen hohen Stellenwert: 70 Prozent der Umfrageteilnehmer haben sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in deutsche Gerichte. Auf einen besseren Wert kommen nur kleine und mittlere Unternehmen (84 Prozent) sowie die Polizei (73 Prozent). In der Trendanalyse der vergangenen Jahre zeigt sich laut der Untersuchung, dass das Vertrauen in das Rechtssystem als stabil gelten kann. So bewegt sich das Vertrauen in Gerichte und Gesetze seit drei Jahren um die 70 Prozent.  

Die Gerichte verzeichnen seit 2019 sogar einen Anstieg des Vertrauens um fünf Prozentpunkte. Dagegen zeigt sich, dass unter den Impfverweigerern nur 27 Prozent sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Gesetze und 34 Prozent in die Gerichte haben. "Die Polarisierung der Gesellschaft aufgrund der Impf-Frage kann auch für das Vertrauen in die Justiz erhebliche Konsequenzen mit sich bringen", warnte Dr. Ulrich Eberhardt, Vorstand der Roland-Rechtsschutzversicherung.  

Weniger Meinungsfreiheit in Deutschland?  

Stark abgenommen aufgrund des Corona-Managements hat indes das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bundesregierung und in die Verwaltung. Beiden gegenüber bringen nur 44 Prozent der Befragten sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen entgegen – ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozentpunkte (Verwaltung) bzw. 13 Prozentpunkte (Bundesregierung). Noch schlechter sieht es hier bei den Impfverweigerern aus: Nur elf Prozent der Nicht-Geimpften vertrauen der Regierung, 23 Prozent von ihnen der Verwaltung.  

Insgesamt verlieren auch Zeitungen und die Kirchen an Rückhalt: Erstere genießen nur noch bei 41 Prozent (Vorjahr: 44 Prozent) der Befragten "sehr viel oder ziemlich viel" Vertrauen, die Kirchen kommen insoweit nur noch auf rund 28 Prozentpunkte (Vorjahr: 31 Prozent). 

Im Abwärtstrend befindet sich nach Wahrnehmung der Bevölkerung auch die Meinungsfreiheit in Deutschland: Nachdem sich über viele Jahrzehnte die große Mehrheit der Bevölkerung darin einig gewesen sei, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland uneingeschränkt gesichert ist, "erodiert" laut Rechtsreport dieser Eindruck nun zunehmend: Der Untersuchung zufolge glauben nur noch 45 Prozent, dass man in der Öffentlichkeit seine Meinung frei äußern könne. Nahezu gleich viele, 43 Prozent, widersprechen.  

Diejenigen, die darüber klagen, dass sie ihre Meinung nicht frei äußern können, stellen dabei in aller Regel nicht infrage, dass die im Grundgesetz festgeschriebene Meinungsfreiheit gilt, sondern sie beklagen die gesellschaftlichen Sanktionen, die drohen, wenn man gegen die Regeln der Political Correctness verstößt. Laut Rechtsreport 2022 vertreten besonders Personen aus den unteren Sozialschichten, Impfverweigerer und AfD-Anhänger die Ansicht, sie wären in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt 

Verschwörungstheorien gefährden Zusammenhalt der Gesellschaft 

Misstrauisch zeigen sich große Teile der Bevölkerung gegenüber der Zuverlässigkeit von Informationen aus den Medien, insbesondere den sozialen Netzwerken: So raten 70 Prozent der Befragten zur Vorsicht gegenüber Informationen aus dem Internet, da hier jeder und jede schreiben könne, was er oder sie möchte. Weitere 55 Prozent äußern sich skeptisch gegenüber Informationen aus sozialen Netzwerken und 61 Prozent sind überzeugt, dass ganz generell viele Fakenews im Umlauf sind. 

Eine Gefahr geht aus Sicht der Bevölkerung zudem von Verschwörungstheorien aus. 60 Prozent sehen darin eine ernsthafte Gefahr für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Von AfD-Anhänger: innen halten im Vergleich dazu nur 29 Prozent Verschwörungstheorien für eine ernsthafte Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, bei den Impfverweigerern sind es mit 19 Prozent noch weniger. 

50 Prozent der Befragten würden zudem eine stärkere Kontrolle von Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken wie Telegram oder Facebook begrüßen. Nur neun Prozent halten dagegen und meinen, dass bereits heute zu viel Kontrolle in den sozialen Netzwerken stattfindet. Weitere 15 Prozent wünschen sich keine Veränderung, weil sie die derzeitigen Regelungen für ausreichend und angemessen erachten. 

Eine Mehrheit von 62 Prozent würde es schließlich gutheißen, wenn Nutzerinnen und Nutzer ihre Beiträge oder Kommentare in sozialen Netzwerken oder Internetforen nur unter ihrem richtigen Namen und nicht anonym veröffentlichen dürften. 

Kritik an der Überlastung der Gerichte und an zu komplizierten Gesetzen  

Auch wenn die Justiz wie in den Vorjahren im neuen Rechtsreport grundsätzlich gut wegkommt, äußern die Befragten dennoch deutliche Kritik am Rechtssystem. 81 Prozent der Befragten kritisieren, dass viele Verfahren zu lange dauern würden. 75 Prozent sind der Meinung, dass Gerichte heute zu viel Arbeit hätten und überlastet seien. Außerdem kritisieren die Befragten eine mangelnde Gleichbehandlung vor Gericht: 59 Prozent glauben, dass sich mit einem bekannten Anwalt die Aussichten auf ein günstiges Urteil verbessern würden. Und 55 Prozent vertreten schließlich die Ansicht, dass die Gesetze heutzutage zu kompliziert seien. 

Die Einschätzungen der Befragten basieren laut Untersuchung dabei zum Teil auf persönlichen Erfahrungen mit dem Justizsystem. So geben 24 Prozent an, in den vergangenen zehn Jahren einmal oder mehrmals an einem Gerichtsprozess beteiligt gewesen zu sein – sei es als Beklagter, Kläger oder Zeuge. Überdurchschnittlich hoch ist dieser Anteil bei den 30- bis 59-Jährigen und bei den Personen mit einer Rechtsschutzversicherung.  

Gerichtsweg erst ab 3.700 Euro interessant 

Zudem zeigt die Studie, dass die Deutschen durchschnittlich ab einem Streitwert von knapp 3.700 Euro vor Gericht ziehen würden. Dieser Wert ist im Vergleich zu vergangenen Studien gestiegen. 

Vor diesem Hintergrund setzt der Rechtsschutzversicherer noch mehr als in den vergangenen Jahren statt auf gerichtliche Auseinandersetzung auf Mediation und Schlichtung: "Auch unterhalb des Werts von knapp 3.700 Euro spielen sich gesellschaftlich bedeutsame Konflikte ab. Hier sehen wir in der Untersuchung ein starkes Signal, sich noch stärker mit dem Anbieten alternativer Konfliktlösungsmechanismen zu beschäftigen“, erklärte Roland-Vorstand Eberhardt. 

Eine Alternative zum klassischen Rechtsweg sieht die Roland-Rechtsschutz nach der jüngsten Befragung auch in Legal Tech-Angeboten. 46 Prozent der im vergangenen Dezember Befragten bewerten es positiv, wenn rechtliche Angelegenheiten künftig ohne Anwält:innen und nur mithilfe von Computerprogrammen erledigt werden könnten.

Zitiervorschlag

Roland Rechtsreport 2022: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47612 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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