Auch wenn Gerichte trotz Coronakrise bei den Bürgern ungebrochenes Vertrauen genießen: In der Bevölkerung verhärtet sich der Unmut über zu lange Gerichtsverfahren, milde Urteile und Ungleichheiten vor Gericht.
Vertrauen ja, aber sind die Deutschen auch mit ihrer Justiz zufrieden? Die Ergebnisse des am Montag vorgelegten "Rechtsreportes 2021" der Roland-Rechtsschutzversicherung, mit dem diese seit inzwischen elf Jahren jährlich die öffentliche Meinung zum deutschen Rechtssystem und zu aktuellen rechtspolitischen Schwerpunktthemen ermittelt, fallen auch in diesem Jahr durchwachsen aus:
Wie bereits in den Vorjahren vertrauen die Bürgerinnen und Bürger dem deutschen Rechtssystem zwar grundsätzlich, auch die Coronakrise tut daran keinen Abbruch. So haben laut der vom Demoskopie-Institut Allensbach für den Rechtsschutzversicherer vorgenommenen Befragung 71 Prozent der Bürger "sehr viel oder ziemlich viel" Vertrauen in die Gesetze, 66 Prozent in die Gerichte. Beide Werte sind im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent gestiegen. Höheres Vertrauen genießen nur kleine und mittlere Unternehmen (84 Prozent) sowie die Polizei (73 Prozent).
Allerdings: Trotz der hohen Vertrauenswerte für Gerichte und Gesetze äußern die Befragten auch deutliche Kritik am deutschen Rechtssystem. Dabei löst vor allem die Dauer von Gerichtsverfahren Ärger aus: 83 Prozent haben den Eindruck, dass viele Verfahren zu lange dauern. 74 Prozent der Befragten halten zudem die Gerichte für überlastet. Weiter äußerte ein Großteil der Interviewten "Zweifel an der Gleichbehandlung vor Gericht". 62 Prozent seien insoweit der Auffassung, dass man seine Erfolgsaussichten erhöhe, wenn man sich einen bekannten Anwalt leisten kann. "58 Prozent halten die Rechtsprechung für uneinheitlich, Urteil und Strafmaß unterscheiden sich demnach von Gericht zu Gericht", heißt es in dem Bericht.
"Positive Aussagen zur Justiz eindeutig in der Minderheit"
Wie bereits in den Vorjahren, zeigte sich auch 2020 ein Großteil der Befragten nicht mit den Urteilen der Strafjustiz einverstanden: Strafen werden insbesondere mit Blick auf jugendliche Straftäter als zu milde kritisiert: 57 Prozent wünschen sich ein härteres Durchgreifen gegenüber jugendlichen Straftätern. 54 Prozent empfinden Urteile allgemein als zu milde.
Und auch der Paragrafen-Dschungel macht den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland weiter zu schaffen: 53 Prozent bemängeln, dass die Gesetze zu kompliziert sind und bezweifeln, dass ein normaler Bürger in der Lage ist, sie zu verstehen.
Insgesamt zieht das Institut Allensbach ein ernüchterndes Fazit: "Positive Aussagen zur deutschen Justiz sind eindeutig in der Minderheit." Dazu passt auch: Lediglich 32 Prozent der Befragten gaben an, "dass sie großen Respekt vor Richtern haben, während jeweils 31 Prozent finden, dass bei deutschen Gerichten alles mit rechten Dingen zugeht und dass die Gerichte gewissenhaft und gründlich arbeiten".
"Breite Zustimmung" für Corona-Kurs der Bundesregierung
Als Schwerpunktthema untersuchte das Allensbach-Institut im jüngsten Report auch die Meinung der Bevölkerung zu den Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Laut ROLAND Rechtsreport erfährt der Kurs der Regierung dabei breite Zustimmung: "Während sich 39 Prozent der Befragten von den Corona-Maßnahmen sehr stark oder stark in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt fühlen, sehen sich 59 Prozent gar nicht oder weniger stark eingeschränkt. Eine Mehrheit sieht die eigenen Freiheitsrechte also nicht gravierend beschnitten, was als bemerkenswertes Urteil angesehen werden kann, wenn man die Tragweite der Corona-Maßnahmen bedenkt", heißt es im Report.
Die Einschätzung der Corona-Maßnahmen unterscheide sich zudem stark nach Alter oder Parteizugehörigkeit: So sehen sich laut des Reports 59 Prozent der unter 30-Jährigen (sehr) stark in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, wohingegen bei den über 60-Jährigen nur 30 Prozent dieser Auffassung sind. 75 Prozent der Anhänger der AfD sowie 57 Prozent der Anhänger der Linkspartei und der FDP sehen (sehr) starke Einschränkungen. Bei den Unionsparteien und der SPD sind es der Allensbach-Untersuchung zufolge nur 27 bzw. 34 Prozent der Anhänger.
Für die Begründung der Corona-Maßnahmen finden die Befragten die verschiedenen Argumente unterschiedlich plausibel. 76 Prozent halten die Einschränkungen für gerechtfertigt, wenn diese gut begründet und nachvollziehbar sind. Auf dem zweiten Platz folge mit 74 Prozent der starke Anstieg der Infektionszahlen als Rechtfertigungsgrund. Dagegen akzeptierten nur 21 Prozent die Bestätigung der Maßnahmen durch Gerichte als Rechtfertigungsgrund. Eine kleine Minderheit von 8 Prozent lehnt die Einschränkungen aufgrund der Corona-Krise grundsätzlich ab.
Setzen sich Gerichte genug für Grundrechtsschutz ein?
Vergleichsweise wenige Bürger (26 Prozent) sehen Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte dann als gerechtfertigt an, wenn Gerichte diesen zugestimmt haben. Laut Rechtsreport liege dass vor allem daran, dass die Rolle der Gerichte in der derzeitigen Corona-Krise von der Bevölkerung ambivalent beurteilt werde. Ganz generell finde es eine deutliche Mehrheit der Bürger richtig, dass die Gerichte die Verhältnismäßigkeit von einzelnen staatlichen Einschränkungen überprüfen.
"Der Eindruck, dass sich die Gerichte in der Corona-Krise jedoch ausreichend dafür einsetzen, dass die Grundrechte der Bürger geschützt sind, wird nur von einer relativen Mehrheit uneingeschränkt geteilt." Laut Bericht finden 43 Prozent der Befragten, dass sich die Gerichte in der derzeitigen Krise ausreichend für die Grundrechte der Bürger einsetzen, lediglich 17 Prozent widersprechen ausdrücklich.
Coronakrise: Gesundheitsschutz schlägt Grundrechte
Dass die Befragten Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte akzeptieren, hängt laut Rechtsreport wesentlich damit zusammen, dass eine überwältigende Mehrheit den Gesundheitsschutz in der aktuellen Situation höher bewertet als den Schutz der Freiheit. "69 Prozent der Befragten räumen dem Gesundheitsschutz einen Vorrang gegenüber Freiheitsrechten ein. Bemerkenswert ist dabei die Zustimmung über alle Generationen hinweg: Bei den über 60-Jährigen bewerten nur 10 Prozent die Freiheitsrechte höher als den Gesundheitsschutz, bei den unter 30-Jährigen sind es mit 14 Prozent kaum mehr."
Für die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen hat eine Mehrheit der Bürger wenig Verständnis. Zwar finden es 46 Prozent richtig, dass die Demonstrationen aufgrund der Versammlungsfreiheit stattfinden dürfen, aber gleichzeitig finden es 60 Prozent schlimm, dass die Gegner der Maßnahmen gemeinsam mit Rechtsextremen demonstrieren. Nur 28 Prozent haben grundsätzlich Verständnis für die Proteste.
Unterdessen dürften die Zahlen im Zusammenhang mit Corona nur mit Vorsicht zu genießen sein: Schließlich stützt sich die Untersuchung auf 1.286 Interviews, die zwischen 1. und 11. November 2020, also noch vor den zuletzt getroffenen Lockdown-Maßnahmen, durchgeführt wurden. Auch sind inzwischen die Infektionszahlen deutlich gesunken.
Um hier in Kürze aktuellere Werte zu ermitteln, kündigte Roland-Pressesprecher Marcus Acker gegenüber LTO eine weitere Befragung an, die der Versicherer in den nächsten Monaten bei einem anderen Meinungsforschungsinstitut in Auftrag geben will.
Hasso Suliak, Roland Rechtsreport 2021: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44269 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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