Der deutsche Gesetzgeber möchte die Rechtshilfe für US-Gerichte reformieren. Wie er dabei vorgehen sollte und ob eine Gefahr der Offenbarung deutscher Geschäftsgeheimnisse besteht, erklären Jakob Olbing und Philomena Hindermann.
Das Bild von Lastwagen und Lagerhallen gefüllt mit Akten und Unterlagen, die nach US-amerikanischen Prozessrecht der gegnerischen Partei zur Verfügung gestellt werden müssen, kennt man nur zu gut aus Serien und Filmen: Die sogenannte pre-trial discovery of documents. Deutsche Prozessparteien versetzen solche Aussichten allerdings in Angst und Schrecken. Sie befürchten, auf diesem Weg wichtige Geschäftsgeheimisse offenbaren zu müssen, wenn sie vor US-Gerichten verklagt werden.
Es herrscht die Angst vor der Ausforschung deutscher Unternehmen und sogenannter fishing expeditions im Kleide der pre-trial discovery of documents, indem eine Klage "ins Blaue hinein" erhoben und erst nach der vorverfahrensrechtlichen Beweiserhebung konkretisiert wird. Dies bewegte die Bundesrepublik Deutschland dazu, einen Vorbehalt im Rahmen des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens von 1970 (HBÜ) gegen solche Rechtshilfeersuchen zu erklären (§ 14 Abs. 1 Ausführungsgesetz zum Haager Zustellungsübereinkommen und zum Haager Beweisaufnahmeübereinkommen (HZÜ/HBÜ-AusfG)). In Deutschland belegene Dokumente können daher bisher nicht mit der Hilfe deutscher Gerichte in US-amerikanische Prozesse eingebracht werden. Das ist unüblich, da deutsche Gerichte gegenüber anderen Staaten regelmäßig Rechtshilfe gewähren und die Beweisaufnahme in ausländischen Verfahren unterstützen.
Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) hat Anfang dieses Jahres einen Referentenentwurf erarbeitet, der unter anderem auf die Stärkung der internationalen Rechtshilfe zielt und eben diesen Vorbehalt einschränkt. Die Rechtshilfe soll nun unter engen Voraussetzungen möglich werden.
Ein hartnäckiger Vorbehalt
Verschiedene Versuche, den deutschen Vorbehalt zu modifizieren und jedenfalls ausgewählte Beweishilfeersuchen im Rahmen der pre-trial discovery of documents zu erledigen, sind gescheitert, so zuletzt 2017. Jedes Mal setzten sich kritische Stimmen mit der Behauptung durch, die pre-trial discovery of documents sei dem deutschen Recht völlig fremd und würde deutsche Unternehmen schutzlos sogenannten Ausforschungsbeweisen, insbesondere aus den USA, aussetzen.
Die Mitwirkung der Parteien bei der Beweiserhebung ist jedoch nicht per se diskriminierend oder ungerecht. Ganz im Gegenteil dient sie vorrangig dem Ziel der objektiven Wahrheitsfindung. Während dieses Ziel im deutschen Recht durch materiellrechtliche Auskunftsansprüche (z.B. § 402 BGB) und prozessuale Pflichten (z.B. § 142 ZPO) verfolgt wird, übernimmt im US-amerikanischen Recht die pre-trial discovery größtenteils entsprechende Funktionen. Zudem sind nach US-amerikanischem Prozessrecht auch sogenannte fishing expeditions nicht zulässig. Dennoch bestehen natürlich Unterschiede zum deutschen Recht. Das Ziel des HBÜ war es aber ursprünglich, genau diese Unterschiede zu überwinden.
Reformbedarf: Schutzlücken und Willkür
Durch die Erklärung des Totalvorbehalts wurden deutsche Beweisgegner:innen aber auch nicht besser geschützt. Ganz im Gegenteil: Nach dem Grundsatzurteil S.N.I. Aerospatiale v. U.S. District Court S.D. Iowa von 1987 des U.S. Supreme Court kann das HBÜ und damit auch der Vorbehalt einfach umgangen werden. Die US-Gerichte sind bei der Beweisaufnahme zwar grundsätzlich gehalten, aus Rücksicht auf Souveränitätsinteressen anderer Staaten nach dem HBÜ vorzugehen, an das sich die USA völkerrechtlich gebunden haben. Doch der Supreme Court urteilte, dass dieses Vorgehen nur dann gefordert werden kann, wenn dadurch die Beweisbeschaffung nicht verzögert oder verkompliziert wird. Andernfalls können die Parteien einfach nach US-amerikanischem Prozessrecht dazu verpflichtet werden, diese vorzulegen, um an im Ausland belegene Dokumente zu gelangen.
Bei Ländern, die nur einen eingeschränkten Vorbehalt erklärt haben, entscheiden sich die US-Gerichte regelmäßiger für ein Vorgehen nach dem HBÜ. Um aber an in Deutschland belegene Dokumente zu gelangen, wenden die US-Gerichte aufgrund des Vorbehalts maßgeblich das eigene Prozessrecht an, sodass das HBÜ umgangen wird. Damit läuft auch der Vorbehalt weitgehend ins Leere.
Zudem kommt es bei dem Vorbehalt, der sich nur gegen die discovery of documents richtet, zu absurden Resultaten, da andere Formen der Beweisaufnahme für die pre-trial discovery toleriert werden. So entschied 1980 etwa das OLG München, dass die Herausgabe von Dokumenten im Rahmen eines US-Rechtshilfeersuchens zwar nicht möglich sei, die Zeugenbefragung über die verweigerten Dokumente wiederum zulässig sei und auch nicht grundsätzlich gegen deutsches Recht verstoße. Welchen Sinn hat dann überhaupt ein Vorbehalt nur gegen die Dokumentenvorlage?
Der Referentenentwurf: Vier sind zwei zu viel
Der nun vom BMJ ausgearbeitete Entwurf zielt darauf ab, das HBÜ attraktiver für US-Gerichte zu machen und zugleich deutsche Unternehmen vor vermeintlichen Ausforschungen zu schützen. Dafür nennt er vier Voraussetzungen, nach denen deutsche Gerichte zukünftig Rechtshilfe für die pre-trial discovery of documents leisten können.
International üblich sind die ersten beiden Voraussetzungen des neuen § 14 HZÜ/HBÜ-AusfG-E. So sind nur solche Rechtshilfeersuchen zulässig, bei denen zunächst die vorzulegenden Dokumente genau bezeichnet sind und ihre Verfahrensrelevanz dargelegt wird. Die Erfahrungen anderer Länder zeigen, dass bereits diese Voraussetzungen genügen, um die Beteiligten angemessen vor Ausforschungen zu schützen.
Deswegen ist auch fraglich, warum sich als dritte Voraussetzung die verlangten Dokumente im Besitz einer am Verfahren beteiligten Partei befinden müssen. Diese Voraussetzung ist insofern auffällig, da sowohl das deutsche als auch das US-amerikanische Prozessrecht Herausgabepflichten von Dritten kennt. Dritte können sich auch über Art. 11 HBÜ auf ihre Zeugnisverweigerungsrechte berufen. Warum diese sorgfältige Abwägung des Gesetzgebers zwischen den Interessen der Prozessparteien am Zugang zu Beweismitteln und den Schutzinteressen der Dritten im internationalen Rechtsverkehr nicht ebenso gelten soll, ist überhaupt nicht ersichtlich und führt nur zu einer Schlechterstellung der Parteien.
Als vierte Voraussetzung steht die Rechtshilfe für die pre-trial discovery of documents unter einem zusätzlichen sogenannten ordre public-Vorbehalt und darf somit nur geleistet werden, wenn sie nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt. Die antragende Partei muss jedoch ohnehin schon die vorzulegenden Dokumente genau bezeichnen und darlegen, welche Bedeutung diese für den Verfahrensausgang haben. Beweisanträge "ins Blaue hinein" wären also gar nicht möglich. Außerdem können sich betroffene Parteien bereits auf den in Art. 12 Abs. 1 lit. b HBÜ geregelten ordre public-Vorbehalt und nationale Gegenrechte, insbesondere das Zeugnisverweigerungsrecht bezüglich Geschäftsgeheimnissen (§ 384 Nr. 3 ZPO) und das Geschäftsgeheimnisschutzgesetz berufen.
Darüber hinaus steht der Ausschluss Dritter und der ordre public-Vorbehalt auch dem Ziel entgegen, die internationale Beweiserhebung zu erleichtern. So erfolgt die Prüfung eines ordre public-Verstoßes stets auf den konkreten Einzelfall bezogen. Das kann zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichte führen, wodurch die Rechtshilfeverfahren verzögert werden. Zudem besteht auch ein erhebliches Missbrauchspotenzial, wenn etwa die Beweisgegner:in Gründe des ordre public anführt, um sich eigentlich zulässigen Rechtshilfeersuchen zu entziehen. Die beiden letzten Voraussetzungen verringern eher den Anreiz für US-Gerichte, anstelle des eigenen Prozessrechts künftig auf dem Wege des HBÜ in Deutschland belegene Dokumente dem Verfahren zuzuführen.
Vom Zaungast zur Mitspielerin
Dass in Zukunft Containerschiffe voller Dokumente Richtung USA aufbrechen, ist unwahrscheinlich. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass deutsche Unternehmen schutzlos US-amerikanischen Kläger:innen ihre Geschäftsgeheimnisse offenbaren müssen. Diese Gefahren bestanden schon unter der alten Rechtslage kaum.
Indem deutsche Gerichte künftig Rechtshilfe leisten können, können sie in ein Verfahren eingebunden werden, an welchem sie bisher keine Beteiligung haben. So können vermehrt deutsche Interessen berücksichtigt werden. Notwendig dafür ist, dass das HBÜ durch die US-Gerichte angewendet wird. Dafür dürfen die Voraussetzungen in § 14 HZÜ/HBÜ-AusfG-E nicht zu restriktiv ausfallen.
Jakob Olbing und Philomena Hindermann promovieren und arbeiten als Wissenschaftliche Assistent:innen am Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg. Beide wirkten Anfang 2022 an der gemeinsamen Stellungnahme des Instituts in Hamburg mit dem Max-Planck-Institut Luxemburg für Internationales, Europäisches und Regulatorisches Verfahrensrecht zum Referentenentwurf des BMJ zur Stärkung der internationalen justiziellen Zusammenarbeit mit.
Reform zur Stärkung der internationalen Beweisaufnahme: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47943 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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