In Deutschland darf ein Justizminister auf die Ermittlungen der Staatsanwälte einwirken. Bislang kann das im Verborgenen geschehen. Ein neuer BMJ-Gesetzentwurf will das ändern..
Wenn bei deutschen Staatsanwälten das Telefon klingelt, kann es in seltenen Fällen besonders heikel werden. Dann nämlich, wenn sich am anderen Ende der Leitung das Justizministerium meldet. Die Staatsanwaltschaft steht in Deutschland in einem besonderen Verhältnis zu den politischen Justizministern, anders als Richter sind sie weisungsgebunden. Theoretisch könnte eine Ministerin oder ein Minister darauf einwirken, ob überhaupt Ermittlungen weiterverfolgt werden, wie im Zweifelsfall ein Strafgesetz auszulegen ist, was noch ermittelt werden soll, oder eben nicht. Ein mächtiges Instrument. Das erlauben die Paragraphen 146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Zugleich bleibt das Ganze eine Black-Box. Ob eine Ministerin oder ein Minister sich eingemischt hat, kann im Verborgenen bleiben. Ein kurzer Anruf hinterlässt keine Spuren. Als Dienstgeheimnis muss ein Staatsanwalt nach außen darüber schweigen. Wie das Weisungsrecht ausgeübt wird, steht in keinem Gesetz.
Das soll sich nun ändern. Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium, der LTO exklusiv vorliegt, will das Weisungsrecht in enge rechtliche Bahnen lenken und transparent machen. Durch die Verankerung im Gesetz soll jeder "böse Anschein" politischer Einflussnahme ausgeräumt werden, heißt es in dem Dokument. Damit greift der Entwurf eines der umstrittensten Justiz-Themen auf.
Grenzen für das Weisungsrecht und schriftliche Begründungspflicht
Sieht die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht für eine Straftat, muss sie dem Verdacht nachgehen und das Verfahren schließlich zu einem Ende bringen, also entweder einstellen oder anklagen. So weit der Rahmen aus dem sogenannten Legalitätsprinzip, auf dem Weg bleibt viel Raum für Entscheidungen. Ist der Sachverhalt ausermittelt? Fällt der wirklich unter das Strafgesetz? Zur Klarstellung schlägt der Referentenentwurf vor, Weisungen nur zuzulassen: "zur Verhinderung rechtswidriger Entscheidungen", "soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht" oder "im Bereich der Ermessensausübung". Justizfremde Erwägungen sind ausdrücklich ausgeschlossen. Entsprechend soll § 146 GVG geändert werden.
Außerdem sieht der Entwurf eine Dokumentationspflicht vor. Weisungen müssen schriftlich abgesetzt und begründet werden. In eiligen Ausnahmefällen kann das am Folgetag nachgeholt werden.
Klar, auch eine gesetzliche Klarstellung kann das Risiko missbräuchlicher politischer Weisungen an die Staatsanwaltschaft nicht vollständig ausschließen. Sie kann aber Aufmerksamkeit für das empfindliche Machtverhältnis schaffen, Rechtsunsicherheit beseitigen und die Position der Staatsanwaltschaft verbessern, sich gegen sachfremde Einflussnahme zu wehren. Vor allem dann, wenn Vorgänge gut dokumentiert werden müssen.
BMJ will das Weisungsrecht nicht ganz abschaffen
Kaum ein Justiz-Thema ist so umstritten wie das sogenannte externe Weisungsrecht, und zwar seit Jahrzehnten. So hatte zuletzt mal wieder Ende 2023 die größte Richter- und Staatsanwältevereinigung, der Deutsche Richterbund, die Abschaffung des externen Weisungsrechts nachdrücklich gefordert. Das Lager der Kritiker des Weisungsrechts verweist gerne darauf, dass Deutschland mit seinem politischen Durchgriffsrecht auf die Staatsanwaltschaft in Europa einen Sonderfall darstellt. Andere Rechtsordnungen kennen das nicht.
2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass im deutschen Justizsystem die Staatsanwaltschaft nicht unabhängig genug sei, um europäische Haftbefehle auszustellen. Den Ausschlag hatte für den EuGH das drohende Weisungsrecht aus der Politik gegeben. Die deutsche Praxis behalf sich von da an damit, dass sie EU-Haftbefehle von einem Richter unterzeichnen ließ.
Mit seinem Entwurf bekennt sich das BMJ zum Weisungsrecht. In dem Entwurf wird die Bedeutung des Weisungsrechts für die demokratische Legitimation der Staatsanwaltschaft betont. Einerseits bildet es eine Legitimationskette vom gewählten Parlament, über das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Ministerin oder dem Minister, hinein in die Staatsanwaltschaft als Teil der Exekutive. Allein die Existenz des Weisungsrechts stellt auch für heikle Fälle eine politische Verantwortlichkeit her. Eine Ministerin oder ein Minister müssten sich dann fragen lassen, wie und warum sie auf einen herausgehobenen Fall reagiert hat. Der BMJ-Entwurf geht deshalb davon aus, dass eine Abschaffung des Weisungsrechts gegen Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz verstößt.
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Wann wünscht man sich ein Weisungsrecht, wann lieber nicht?
Tatsächlich kommen Weisungen nur sehr selten vor, aber es gibt sie. Justizministerinnen und -ministern in den Ländern wie im Bund dürfte das mit dem Durchgriff verbundene Risiko vertraut sein. Anschauungsbeispiele gibt es. Etwa als 2015 der Bundesjustizminister Heiko Maas seinen Generalbundesanwalt Harald Range angewiesen haben soll, ein Gutachten zurückzuziehen. Damals ging es um einen mutmaßlichen Fall des Verrats von Staatsgeheimnissen in der sog. Netzpolitik-Affäre. Am Ende des Kräftemessens zwischen Justizminister und seinem höchsten Staatsanwalt entfernte Maas Range schließlich aus dem Dienst, geriet dabei aber selbst in die Kritik.
Die Sache ist kompliziert. Je nach Fall scheint die Einflussnahme auf Staatsanwälte mal kritisiert, und mal in anderen Konstellation sogar begrüßt zu werden. Als 2019 ein umstrittener Staatsanwalt in Gera gegen das Künstlerkollektiv vom Zentrum für politische Schönheit ermittelte, verlangte eine Gruppe aus Kunst und Wissenschaft: "Wir fordern daher den Landesjustizminister Dieter Lauinger dazu auf, seine Kontrollpflicht rascher wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass solche Ermittlungen künftig erst überhaupt nicht begonnen werden"
Während man sich gegenüber einem allzu politisiert ermittelnden Staatsanwalt ein Weisungsrecht wünschen mag, mag es einen erschauern lassen, wenn der Landesjustizminister zukünftig mal nicht aus dem Lager von CDU, SPD, Grünen, FDP oder Linke stammt.
Bislang gibt es teilweise in den Ländern interne Richtlinien zum Weisungsrecht, eine einheitliche gesetzliche Regelung fehlt aber. Die Ampel hatte sich das Thema in den Koalitionsvertrag geschrieben. Dort heißt es: "Entsprechend den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) passen wir das externe ministerielle Einzelfallweisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften an." Der EuGH hatte 2019 auch die schriftliche Begründung einer Weisung angeregt. Eine Umsetzung blieb bislang aus.
Bereits in der letzten Legislatur, wie auch schon in einigen Anläufen zuvor, hatte das damals SPD-geführte Bundesjustizministerium einen Vorschlag gemacht, das Weisungsrecht entsprechend transparenter zu regeln. Das Regierungskabinett der GroKo konnte sich nicht einigen, das Vorhaben versandete.
Der neue Entwurf aus dem BMJ erreicht nun nach Informationen von LTO die anderen Ressorts.
Politische Einflussnahme: . In: Legal Tribune Online, 22.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54389 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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