Nach optimalen Bedingungen klingt das nicht: Viele Oberlandesgerichte haben Zweifel, ob sie in sozialen Netzwerken überhaupt Öffentlichkeitsarbeit betreiben dürfen. Und gerade die Pressestellen der Bundesgerichte sind dünn besetzt.
Um den Rechtsstaat besser zu erklären, hatte die ehemalige Bundesjustizministerin Katarina Barley während ihrer Amtszeit mehrfach betont, wie sehr ihr die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte am Herzen liege und dass sie deshalb ausgebaut werden müsse. Im LTO-Interview bemängelte sie außerdem, dass die Pressesprecher der Gerichte oft nur in Teilzeit arbeiteten und zudem auf ihre Tätigkeit schlecht vorbereitet würden.
Laut einer von LTO bei den Oberlandes- und Bundesgerichten durchgeführten Befragung haben sich die Bedingungen für die Gerichtspressestellenseither nicht wirklich verbessert. Zwar haben Gerichte, die wie der Bundesgerichtshof (BGH), das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) oder der Bundesfinanzhof (BFH) organisatorisch in den Geschäftsbereich des BMJV fallen, im Rahmen des "Pakts für den Rechtsstaat" 2019 je eine weitere Stelle für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erhalten. Gleichwohl ist die Personalbesetzung in diesem Bereichauch bei ihnen aber immer noch auf Kante genäht. Teilzeit-PR ist bei den Gerichtssprecherndie Regel - manchmal aber auch noch nicht einmal das.
Am Bundessozialgericht (BSG) etwa ist eine Richterin als Pressesprecherin tätig, die für diese Arbeit gerade einmal zu 25 Prozent von ihren üblichen Aufgaben als Richterin freigestellt ist. Ein Kollege ist stellvertretender Pressesprecher – freigestellt für diese Tätigkeit ist er aber überhaupt nicht.
"Keine geeigneten Bewerber" für das BVerwG
Die Pressestelle des BVerwG besteht derzeit aus zwei Richtern, die die Aufgabe als Pressesprecher ebenfalls neben ihrer richterlichen Tätigkeit ausüben, dafür aber auch nur "teilweise von ihren richterlichen Verpflichtungen freigestellt sind", wie es auf Anfrage heißt. Unterstützt werden die Sprecher durch zwei Mitarbeiter der Pressestelle, wobei die eigentliche Pressearbeit nur einen Teil ihrer Aufgaben ausmacht.
Was die zusätzliche Stelle für das BVerwG aus dem Pakt für den Rechtsstaat anbelangt, hat sich bisher nichts ergeben: Die wurde zwar im vergangenen Jahr ausgeschrieben, konnte aber mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt werden. Eine erneute Ausschreibung mit verändertem Qualifikationszuschnitt soll noch in diesem Jahr erfolgen.
Am BGH, der regelmäßig eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen von medialem Interesse fällt, sieht die Personallage in der Pressestelle ebenfalls eher dünn aus. Alleinige Pressesprecherin Dietlind Weinland ist für ihre Tätigkeit gerade einmal zu 50 Prozent freigestellt. Immerhin: Die BGH-Pressestelle ist mit zwei weiteren – nichtrichterlichen – hauptamtlichen Mitarbeiterinnen besetzt und Sprecherin Weinland hat Richterkolleginnen, die sie gegebenenfalls vertreten.
Ob mit dieser Besetzung die Medienarbeit vernünftig zu stemmen ist? Weinland verweist darauf, dass der Arbeitsaufwand vor allem infolge der gesetzlich relativ neu geschaffenen Möglichkeit, Filmaufnahmen von Urteilsverkündungen zuzulassen, zugenommen habe. Auch gebe es regelmäßig "Stoßzeiten", in denen aufgrund besonders interessanter Verfahren ein starkes Medieninteresse zu verzeichnen sei. "In solchen Zeiten wäre aus meiner Sicht eine punktuelle Entlastung der Pressesprecherin im richterlichen Bereich wünschenswert", so Weinland zu LTO.
"Nur BAG-Richter können BAG-Pressearbeit"
Am Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt dürfte man dem Auftrag, Rechtsprechung der Öffentlichkeit angemessen zu erklären, noch schwerer nachkommen können. Die BAG-Pressestelle besteht aus einer Pressesprecherin, einem Stellvertreter und zwei Verwaltungsmitarbeiterinnen. Allerdings: Für die eigentliche Pressearbeit ist in Wirklichkeit gar keine Zeit vorgesehen. So heißt es auf die LTO-Anfrage: "Die Pressesprecher sind in Vollzeit als Richter am BAG tätig und nehmen diese Aufgabe zusätzlich zu ihrem richterlichen Vollzeit-Dezernat wahr", sagt Sprecherin Stephanie Rachor. Pressemitteilungen zu entschiedenen Verfahren werden laut Rachorauch nicht von ihr, sondern "intern in den jeweils zuständigen Senaten" formuliert.
Auf die Frage, ob sie sich zusätzliches Personal für die Pressestelle wünsche, verweist die BAG-Sprecherin auf ein Dilemma: "Der Arbeitsaufwand in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Zusätzliche personelle Ressourcen erscheinen deshalb einerseits wünschenswert, sind aber andererseits angesichts des Anspruchs, den die Richterinnen und Richter des BAG an die inhaltliche Pressearbeit des Gerichts stellen, nur bedingt zu erfüllen, da die zutreffende Vermittlung der Rechtsprechung des BAG zur Überzeugung des Richterkollegiums die fachliche Kompetenz eines Richters am BAG voraussetzt." Dass ein ausgebildeter Journalist mit juristischem Hintergrund die Aufgabe übernehmen könnte, sieht man in Erfurt nicht.
Immerhin: Während die personelle Situationan einigen Pressestellen der Bundesgerichte zulasten des Informationsbedürfnisses der Bürger gehen dürfte, stellt sich die Lage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) deutlich entspannter dar: Der Sprecher des Gerichts, Dr. Max Schoenthal, verweist darauf, dass seit Bestehen der BVerfG-Pressestelle Mitte der neunziger Jahre die personelle und technische Ausstattung "immer wieder den Bedürfnissen einer modernen Pressearbeit angepasst wird". Sprecher in Teilzeit gibt es an Deutschlands höchstem Gericht deswegen nicht, der Pressesprecher und seine Stellvertreterin üben neben der Arbeit in der Pressestelle keine richterliche Tätigkeit aus.
Oberlandesgerichte trauen sich nicht zu twittern
Den meisten Pressestellen der OLG drückt in Sachen Öffentlichkeitsarbeit dagegen der Schuh noch an anderer Stelle: Viele würden gerne auch über den Kurznachrichtendienst Twitter oder über Facebook Öffentlichkeitsarbeit betreiben, sehen sich aber aufgrund einer derzeit unklaren Rechtslage daran gehindert.
Grund dafür sind zwei Gerichtsentscheidungen, die sich vor allem mit dem Betrieb von Facebook-Fanpages beschäftigten, möglicherweise aber auch Auswirkungen auf die Nutzung von Twitter durch Gerichte und Behörden haben. So urteilte 2018 der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Streit um eine Facebook-Fanpage, dass Firmen und Institutionen, die eine solche Fanpage einrichten, gemeinsam mit Facebook zu Verarbeitern von personenbezogenen Daten werden.
Als Konsequenz aus diesen Urteilen meldete sich der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte Stefan Brink daraufhin bei Twitter ab und empfahl dies auch anderen Behörden: Seiner Auffassung nach können Twitter, Facebook und Co. derzeit nicht im Einklang mit der DSGVO betrieben werden.
Während sich nur wenige OLG wie beispielsweise die in Köln, Frankfurt, Braunschweig, Celle oder Karlsruhe von dieser Ansicht unbeeindruckt zeigen und aktuell twittern, verzichtet die überwiegende Anzahl der OLG auf die Nutzung von Social-Media-Kanälen.
Journalisten kommen seltener an die Gerichte – ein Problem?
Pressesprecher Florian Gliwitzky vom OLG München gibt zu bedenken: Man müsse sich Gedanken machen, wie man Journalisten künftig erreiche, wenn diese zunehmend nicht mehr vor Ort anwesend seien. Aus dem OLG Brandenburg heißt es, die Nutzung sozialer Medien müsse einer Prüfung und Planung unterzogen werden, um festzulegen, welche rechtlichen Grenzen bestehen. Der Sprecher des OLG Stuttgart, Matthias Merz, sagt: "Ein Facebook-Auftritt für das Oberlandesgericht Stuttgart wurde bewusst nicht gewählt. Die Möglichkeit, über Twitter zu kommunizieren, wurde bisher ebenfalls bewusst zurückgestellt." Man werde die weitere Entwicklung abwarten.
Genauso reagieren auch die OLG in Hamm und Düsseldorf. Düsseldorfs Sprecher, Dr. Michael Börsch, verweist darauf, dass sich schließlich auch die Landesdatenschutzbeauftragte des Landes NRW der Position ihres Kollegen aus Baden-Württemberg angeschlossen habe. "Bis zu einer abschließenden Klärung der Rechtslage sehe ich keinen Sinn darin, mir Gedanken über die Eröffnung eines Twitterkanals zu machen, von dem ich nicht weiß, ob ich ihn dauerhaft bedienen kann."
"Wir werden von einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr wahrgenommen"
Frauke Holmer, Sprecherin des OLG Schleswig-Holstein, hält die Social-Media-Abstinenz der Gerichtspressestellen für "gefährlich". Holmer warnt: "Ganz überwiegend findet aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Justiz insbesondere in den sozialen Medien nicht statt. Wir werden also von einem großen Teil der Bevölkerung, der sich nicht über die konservativen Medien informiert, nicht wahrgenommen."
Ob sich daran so schnell etwas ändern wird? Aus dem BMJV heißt es seit Wochen, man prüfe die Rechtslage was die Twitternutzung angeht. Und laut des Sprechers des Bundesdatenschutzbeauftragten, der ebenfalls als Behörde zurzeit nicht twittert, wird sich der Europäische Datenschutzausschuss EDSA im nächsten oder übernächsten Monat mit dem Thema befassen. Das Meinungsbild dort könnte dann auch für die Pressesprecher der OLG von Bedeutung sein, wenn diese das Thema Social Media auf ihrem nächsten gemeinsamen Treffen im Mai wieder erörtern werden.
Doch müssen Gerichte auf Social Media wirklich verzichten? Manche Datenschutzrechtler, wie der Berliner Rechtsanwalt Prof. Niko Härting, raten zu mehr Gelassenheit. Im Fanpage-Rechtsstreit habe das OVG Schleswig doch erst noch darüber zu entscheiden, "ob Facebook überhaupt Datenschutzverstöße begangen hat". Nach derzeitigem Stand sieht Härting deshalb "keinerlei Anlass, einem Unternehmen, einer Behörde oder einem Gericht zu empfehlen, Brinks Beispiel zu folgen und Twitter nicht mehr für die Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen".
Die Pressearbeit der Gerichte: . In: Legal Tribune Online, 26.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40495 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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