Die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Polen hat sich gegen die Aufhebung der Immunität von Richter Igor Tuleya entschieden. Er gilt als scharfer Kritiker der Regierung, kann aber nun nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Die umstrittene Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Polen hat sich gegen die Aufhebung der Immunität eines regierungskritischen Richters ausgesprochen. Der Warschauer Bezirksrichter Igor Tuleya habe nach Ansicht der Kammer im Einklang mit dem Gesetz und im Rahmen seiner Kompetenzen gehandelt, sagte ein Gerichtssprecher am Dienstag in Warschau. Anders als in Deutschland genießen Richter und Staatsanwälte in Polen Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung, die nur unter bestimmten Bedingungen aufgehoben werden kann.
Der 49 Jahre alte Jurist Tuleya ist einer der prominentesten Kritiker der Justizreformen der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Die Staatsanwaltschaft hatte die Aufhebung seiner Immunität gefordert. Sie warf ihm unter anderem Überschreitung seiner Kompetenzen vor, weil er bei der Urteilsverkündung in einem für die PiS unangenehmen Verfahren Medienvertreter im Gerichtssaal zugelassen hatte.
An der Unparteilichkeit der Disziplinarkammer gibt es Zweifel. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einer einstweiligen Verfügung Anfang April entschieden, dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit zunächst aussetzen müsse, weil sie möglicherweise nicht politisch unabhängig sei. Erst am Montag hatte die EU-Kommission gerügt, dass Polen die Anordnung nicht vollständig umsetze.
Tuleya selbst war bei dem Verfahren nicht anwesend, da er die Rechtmäßigkeit der Disziplinarkammer nicht anerkennt. Zu Beginn der Sitzung hatten sich vor dem Gebäude des Gerichtshofs rund hundert Demonstranten versammelt, die eine unabhängige Justiz forderten.
Der Deutsche Richterbund hatte bei einer Aufhebung der Immunität Tuleyas einen weiteren schweren Rückschlag für die richterliche Unabhängigkeit in Polen befürchtet. "Die polnische Regierung will hier wohl ein erstes Exempel statuieren, dem viele weitere Verfahren gegen missliebige Richter folgen könnten", hatten die Vorsitzenden Barbara Stockinger und Joachim Lüblingshoff erklärt. Sprecherin Brigitte Kreuder-Sonnen von der Neuen Richtervereinigung sagte: "Ohne unabhängige Richter kann ein Rechtsstaat nicht funktionieren."
dpa/mam/LTO-Redaktion
Polens Disziplinarkammer entscheidet: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41850 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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