In Polen setzt die Regierung den Umbau der Justiz unbeirrt von jeglicher Kritik fort. Beim Besuch von Malgorzata Gersdorf in Karlsruhe herrschten Hilf- und Ratlosigkeit vor. Nicht nur bei der Frage, wie man sie denn nun ansprechen soll.
Wer ist da kurz vor der Sommerpause nach Deutschland gekommen, an den wichtigsten Justizstandort des Landes? Ist die polnische Juristin Malgorzata Gersdorf die Präsidentin des Obersten Gerichts der Republik Polen - wie es auf der Einladung der Stadt Karlsruhe steht? Oder eine ehemalige Präsidentin? Eine zwangspensionierte Richterin oder einfach eine pensionierte Richterin?
Beim Karlsruher Oberbürgermeister, Frank Mentrup, sind dazu zwei Briefe eingegangen, wie er fast scherzhaft am Freitagabend erzählte - wenn es nur nicht so ernst wäre: einer von der polnischen Botschaft in Berlin und einer aus dem Auswärtigen Amt. In dem ersten heißt es, er dürfe Malgorzata Gersdorf offiziell nur als Gerichtspräsidentin "außer Dienst" vorstellen. Das Auswärtige Amt meint dagegen, es gebe keine Anzeichen dafür, dass Gersdorf nicht mehr im Amt sei. Sie habe kein formales Entlassungsschreiben bekommen, im Gericht noch ein Büro und dafür nach wie vor auch den Schlüssel.
So viel lässt sich wohl sicher sagen: Gersdorf ist eine Streiterin für die Unabhängigkeit der Justiz in Polen und Europa. Ob sie noch ein Amt inne hat, darüber aber liegt sie mit der rechtskonservativen Regierung in Warschau im Streit.
Gersdorf: "Ziemlich sicher gehe ich am Montag zur Arbeit"
Denn nach einem von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) durchgesetzten einfachen Gesetz ist die Richterin seit Anfang Juli im Ruhestand. Die umstrittene Vorschrift sieht vor, dass oberste Richter schon mit 65 statt mit 70 Jahren in den Ruhestand gehen. Betroffen sind davon 27 von 72 Richtern - über ein Drittel. Wer im Amt bleiben will, muss dies bei Staatspräsident Andrzej Duda beantragen. Regierungskritiker warnen: Mit dem Gesetz will die Regierung missliebige Richter loswerden.
Gersdorf ist 65 Jahre alt, sie stellte keinen Antrag. Und erschien dennoch am 4. Juli am Gericht. Laut Verfassung dürfe sie bis 2020 im Amt bleiben. Und darauf besteht sie. "Ziemlich sicher gehe ich am Montag zur Arbeit", sagt Gersdorf am Freitagabend in Karlsruhe.
Aber auch die Regierung macht unbeirrt weiter. Sie brachte umgehend ein Gesetz auf den Weg, durch den Gersdorfs Posten schneller als vorgesehen nachbesetzt werden könnte. Danach könnte der Gerichtspräsident bereits bei der derzeitigen Besetzung von rund zwei Dritteln der Richterposten gewählt werden. Bislang müssen dafür fast alle Richterämter am Obersten Gericht besetzt sein.
Limperg: "Europäische Regeln sind sehr schwerfällig"
"Die Richter haben keine Armee. Gegen die Exekutive verlieren wir immer", sagt Gersdorf. "Richter können nur mit Paragrafen kämpfen." Das stimmt nicht ganz. Die Polin belässt es mitnichten beim Kampf per Paragraf. Sie sucht die Bühne, die Öffentlichkeit.
Als sie am 4. Juli zu Gericht kam, tat sie das begleitet von Reportern, ihren Protest sprach sie bereitwillig in die Mikrofone der Journalisten, ebenfalls betroffene Richterkollegen standen an ihrer Seite, ihre schwarz-lila Roben in den Armen. In Karlsruhe wird neben einem geplanten Vortrag kurzfristig eine Pressekonferenz anberaumt. "Ich muss darüber sprechen, weil ich zu der polnischen Bevölkerung durchdringen will", sagt Gersdorf.
Das tat sie im Rahmen einer Veranstaltung, die an den Karlsruher Widerstandskämpfer Reinhold Frank erinnert, der nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Ausrichter sind neben der Stadt unter anderem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Bundesgerichtshof (BGH).
Sowohl die BGH-Präsidentin Bettina Limperg als auch der Bundesverfassungsrichter Johannes Masing geben sich mit Blick auf die Entwicklungen in Polen sehr pessimistisch. "Was einen besonders ratlos macht, ist, dass man von außen nur zugucken kann", sagte Masing. Und Limperg: "Wir sind hilflos, wir schauen zu, einer Dynamik, die atemberaubend ist." Die europäischen Regeln seien "außerordentlich schwerfällig". Und in der Zwischenzeit geschähen Dinge mit ganz "erheblichen Auswirkungen".
Polen weist jede Kritik weit von sich
Mit der EU-Kommission liegt Polen seit mehr als zwei Jahren im Streit. Ende 2017 leitete die EU-Kommission ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag gegen Polen ein, weil sie die Unabhängigkeit der dortigen Justiz bedroht sieht. In letzter Konsequenz könnte Polen seine Stimmrechte im Ministerrat verlieren. Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass Ungarn dabei mitmachen wird - und das müsste es, weil eine Entscheidung nur einstimmig erzielt werden könnte.
In den Konsequenzen weniger weitreichend, aber Erfolg versprechender sind wohl Vertragsverletzungsverfahren. Das jüngste leitete die EU-Kommission Anfang Juli ein, eben wegen der Herabsetzung des Rentenalters für die obersten Richter. Über diese Verfahren entscheiden am Ende nicht die Mitgliedstaaten, sondern der Europäische Gerichtshof (EuGH).
Kommende Woche urteilt der EuGH außerdem über eine Vorlage des irischen High Courts. Der will wissen, ob ein mutmaßlicher Drogenhändler auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls nach Polen ausgeliefert werden muss. Der Mann fürchte, dass ihm wegen der Justizreformen in Polen ein unfairer Prozess drohe. In ihrer Vorlagefrage deuteten die irischen Richter an, dass sie davon ausgehen, dass es "stichhaltige Beweise" dafür gibt, dass das polnische "Justizsystem nicht mehr im Einklang mit dem Rechtsstaatsprinzip steht".
Polen weist die Kritik der EU meist weit von sich. Anfang Juli sagte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im EU-Parlament: "Bitte erteilen Sie uns keine Lehren!" Und an der Stelle tauchen natürlich die Fragen auf: Wie ist es denn in Deutschland um den politischen Einfluss auf die Wahl der Bundesverfassungsrichter bestellt? Und war da nicht was, als vor wenigen Tagen ein islamistischer Gefährder nach Tunesien abgeschoben wurde, ohne dass die Behörden eine anstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts abwarteten, mit der geprüft werden sollte, ob dem Mann dort Folter droht? Und anschließend in der Exekutive niemand irgendein Bewusstsein dafür hatte, dass das nicht in Ordnung ist?
Gersdorf: "Es geht um den Markenkern der EU"
All das sind berechtigte Fragen, als abwehrende Reaktion auf die Kritik an Polen zielen sie aber in die falsche Richtung. Sie unterstreichen vielmehr, dass die dortige Entwicklung keine rein interne Angelegenheit ist. Für die polnische Krise gebe es Gründe, die auch in Deutschland wahrzunehmen seien, so Limperg. "Populistische Kräfte sind kein rein polnisches oder ungarisches Problem."
Auch Gersdorf betonte, es gehe um "unsere gemeinsame Zukunft", den "Markenkern der EU" - Rechtsstaatlichkeit und die Beachtung der Menschenrechte. Dies dürfe nicht "morgen zu einer traurigen Erinnerung werden".
Zu pessimistisch sollte es dann aber doch nicht werden. Als Gersdorf danach gefragt wurde, ob sie einen polnischen Bürgerkrieg befürchte, wehrte sie ab, das schließe sie aus. Außerdem: "Viele sagen, unser Militär ist auch nicht gerade besonders gut drauf."
Claudia Kornmeier, Polnische Juristin Gersdorf in Karlsruhe: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29911 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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