Die OLG-Präsidenten fordern ein moderneres Zivilverfahren. Außerdem müsse die geplante StPO-Reform schnell umgesetzt werden. Der Vorsitzende der diesjährigen OLG-Präsidentenkonferenz Clemens Lückemann über die wichtigsten Beschlüsse.
LTO: Herr Lückemann, bisher kann man eine Klage beim Amtsgericht nur mit dem De-Mail-Verfahren elektronisch einreichen. Das nutzt vermutlich kaum jemand, oder?
Clemens Lückemann: Ja, das Verfahren ist so kompliziert, dass es von kaum jemandem genutzt wird. Wir müssen die digitale Erreichbarkeit der Justiz verbessern. Eine Möglichkeit wäre es, die Bürgerportale der Länder auch für die Nutzung durch die Justiz zu öffnen. Insgesamt sollte der Gesetzgeber es jetzt angehen, das Zivilverfahren an die technischen Möglichkeiten anzupassen und bürgerfreundlicher zu gestalten.
Anwälte und Behörden können den elektronischen Rechtsverkehr schon nutzen. Wo gibt es aus Sicht der OLG-Präsidenten noch Nachholbedarf?
Auf jeden Fall sollten auch Sachverständige in den elektronischen Rechtsverkehr einbezogen werden, die Akten heute noch auf Papier oder auf Datenträgern bekommen. Außerdem könnten wir viele Vorteile der E-Akte stärker nutzen, etwa um anwaltliche Schriftsätze besser zu strukturieren, um Videoaufnahmen von mündlichen Sachverständigengutachten aufzunehmen oder um Zeitpläne für das Verfahren mit den Beteiligten festzulegen.
Sie könnten sich auch komplett elektronisch geführte Verfahren vorstellen?
Bei Massenverfahren, die oft gleichförmig ablaufen, etwa bei Bahn- und Flugreiseentschädigungen oder bei einfachen Mietsachen könnte ich mir ein digitalisiertes Verfahren vorstellen, in dem der Fall auch automatisiert geprüft wird. Das könnte ein niederschwelliges und preisgünstiges Angebot für Bürger sein. Wenn eine Partei mit dem Ergebnis nicht einverstanden ist, muss sie aber natürlich einen Richter anrufen können. Auch in Bagatellsachen kann es immer Einzelfälle geben, die eine Software eben nicht richtig erkennt.
BGH soll sich auf grundsätzliche Rechtsfragen konzentrieren können
Außerdem fordern Sie – auch nicht zum ersten Mal – eine Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in der Zivilprozessordnung. Damit wollen Sie dem Bundesgerichtshof helfen?
Bisher gilt eine Übergangsvorschrift, wonach eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum BGH nur möglich ist, wenn es um einen Wert von mehr als 20.000 Euro geht. Diese Regelung wird seit Jahren immer wieder verlängert, im Moment gilt sie noch bis Ende 2019. Hier sollte es aber endlich eine dauerhafte und sich an die Preisentwicklung anpassende Vorschrift in der ZPO geben. Denn wenn die Wertgrenze wegfällt, könnten selbst Streitigkeiten um wenige hundert Euro ohne grundsätzliche Bedeutung und ohne sonstige Revisionszulassungsründe vor den BGH gelangen, der ohnehin schon überlastet ist. Das entspricht einfach nicht seiner Aufgabe, er sollte sich darauf konzentrieren können, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären und für eine einheitliche Rechtsprechung zu sorgen.
Bei komplexen Handelssachen zeigt sich dagegen, dass die Parteien zunehmend auf Schiedsverfahren setzen. Wie könnten die Handelsgerichte wieder attraktiver werden?
Die Verfahren an den Kammern für Handelssachen werden immer komplexer. Wir könnten uns deshalb und zur Akzeptanzsteigerung vorstellen, stärker auf das Kammerprinzip zusetzen, so dass bei Bedarf zwei oder drei Berufsrichter mit zwei Handelsrichtern zusammen entscheiden. Der Handelsrichter ist für viele Praktiker sehr wichtig, er ist kein Jurist, sondern kennt sich im Geschäftsverkehr gut aus. Wir denken aber auch an eine Spezialisierung der Kammern für Handelssachen jeweils für bestimmte Materien.
Drei Instanzen für den Eierdieb?
Das Strafverfahren wurde erst gegen Ende der letzten Legislaturperiode reformiert, nun soll eine zweite Reform kommen, das Kabinett hat sich auf Eckpunkte geeinigt. Sie haben solche Reformen seit langem gefordert.
Ja, und wir hoffen jetzt darauf, dass die Eckpunkte schnell umgesetzt werden, damit das Strafverfahren besser und effektiver wird. Trotzdem bleiben auch dann noch einige Punkte offen. Wir haben zum Beispiel ein unglaublich perfektionistisches Regelwerk, das das Recht auf den gesetzlichen Richter sicherstellen soll.
Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist immerhin verfassungsrechtlich verankert.
Natürlich ist das ein wichtiges Grundrecht. Aber in dieser Ausgestaltung ist es für die Gerichtspräsidien oft viel zu risikoreich, auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren und während des Jahres die Geschäftsverteilung zu ändern. Deshalb schlagen wir unter anderem vor, dass Änderungen der Geschäftsverteilung nur noch daraufhin geprüft werden, ob sie willkürlich erfolgt sind. Außerdem sollten Änderungen zur Jahresmitte auch ohne besonderen Grund zulässig sein, also ein Halbjahresprinzip anstelle des Jährlichkeitsprinzips gelten.
Sie schlagen außerdem eine grundlegende Reform der Rechtsmittel im Strafverfahren vor.
Ja, zumindest sollte man das Rechtsmittelrecht grundlegend überprüfen. Das System ist über 100 Jahre alt. Ich persönlich könnte mir durchaus eine Zulassungsrevision, selbstverständlich mit der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde, vorstellen. Es ist doch eigentlich schwer erklärbar, dass der berühmte "Eierdieb" drei Instanzen zur Verfügung hat.
26 Teilnehmer, darunter 12 Frauen
Wir haben viel über Verfahrensrecht gesprochen. Aber auch das beste Verfahrensrecht hilft Ihnen nichts, wenn Sie zu wenig Richter haben. Was müsste man gegen den Nachwuchsmangel in der Justiz tun?
Noch ist die Situation in den Ländern sehr unterschiedlich. Aber die Zeit ist absehbar, in der sich der Nachwuchsmangel verschärfen und ausbreiten wird. Die Justiz muss sich Referendaren, aber auch schon Studenten als attraktiver Arbeitgeber darstellen. Der Richterberuf ist nicht nur sehr verantwortungsvoll und wichtig für unsere Mitbürger, sondern auch ein sehr schöner und abwechslungsreicher Beruf. Das müssen wir kommunizieren. Aber um im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht abgehängt zu werden, muss auch die Besoldung stimmen. Hier klafft die Schere zur Anwaltschaft und Privatwirtschaft immer weiter auseinander. In der Eingangsbesoldung für junge Menschen, die eine Familie gründen wollen, muss dringend nachgebessert werden.
Für Frauen ist der Beruf als Richterin interessant, auch wegen der flexiblen und familienfreundlichen Arbeitszeiten. Kommen Sie auch in den Führungspositionen an?
Ja, die Situation ist schon viel besser geworden; unter den 26 Teilnehmern unserer Präsidentenkonferenz waren immerhin 12 Kolleginnen. Aber der Anteil von Frauen in Führungspositionen bleibt ein Problem, das uns weiterhin beschäftigt. Wir müssen zum Beispiel schauen, wie wir Frauen für Führungspositionen vorbereiten können, etwa indem man schon junge herausragende Richterinnen anspricht und gezielt fördert.
Clemens Lückemann ist Präsident des OLG Bamberg und Vorsitzender der OLG-Präsidentenkonferenz 2019. Auf der jährlichen Tagung beraten die Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Bayerischen Obersten Landesgerichts, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs über aktuelle rechtspolitische Fragen und Themen der Gerichtspraxis.
OLG-Präsidentenkonferenz 2019: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35681 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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